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Welche Auswirkungen die Corona-Krise auf Influencer*innen hat

Illustration: FDE

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Ständig auf Reisen, die angesagtesten Events besuchen und immer top gestylt – so sieht der Lifestyle aus, den viele Influencer*innen in den sozialen Medien normalerweise präsentieren. Seit Corona ist das schwierig geworden – nicht nur reisetechnisch, auch ethisch. Denn darf man weiterhin mit dem eigenen Leben prahlen, während in Deutschland viele Menschen um ihren Arbeitsplatz oder sogar ihr Leben bangen? Der Comedian Oliver Pocher kritisierte vor Kurzem einige Influencer*innen scharf, da sie sich nicht an die empfohlenen Einschränkungen während der Corona-Krise hielten oder seiner Meinung nach zu unsensibel mit der Lage umgingen und weiterhin Werbung machten. Der Influencerin Sarah Harrison warf er Heuchelei vor, weil sie sich zunächst noch in Dubai am Strand gezeigt hatte, kurze Zeit später aber vom Sofa aus den Hashtag #stayathome promotete. Die Videos wurden millionenfach geklickt. Sarah Harrison und weitere Influencer*innen reagierten auf die Kritik mit dem Vorwurf, Oliver Pocher würde in diesen sowieso schon schwierigen Zeiten Hass verbreiten. Denn bei aller Häme: Auch Influencer*innen müssen weiter Geld verdienen. Wie also umgehen mit dem Konflikt?

„Influencer*in ist kein anstrengender Beruf, im Vergleich zu dem was andere gerade leisten“

Ann-Katrin Schmitz ist Dozentin für Medienmanagement, Unternehmenskommunikation und Journalismus an der HMKW Frankfurt und selbstständige Beraterin im Bereich Social-Media- und Influencer-Marketing. Die Expertin kann die Kritik an den Influencer*innen ein Stück weit verstehen. Es sei nachvollziehbar, dass viele Menschen sensibel darauf reagierten, wenn Influencer*innen trotz der kritischen Lage weiterhin Werbung posteten oder sich über abgesagte Reisen beklagten. „Influencer*in ist kein anstrengender Beruf im Vergleich zu dem, was viele andere gerade in der Pflege oder in Krankenhäusern leisten müssen,“ sagt die Expertin.

Gleichzeitig kann es auch ein Zeichen von Normalität sein, wenn im Netz alles läuft wie bisher. In einem Video auf ihrem Instagram-Kanal hatte Ann-Katrin Schmitz deshalb ihre über 100 000 Follower*innen gefragt, ob sie es moralisch in Ordnung fänden, wenn Influencer*innen weiterhin Werbung machten. Die Nutzerin s_a_b_z_i schreibt: „Ganz klar: keine Werbung im Moment! So viele Leute haben aktuell finanzielle Sorgen- da ist ständige Werbung nicht angebracht.“ Aylinkarakiz kommentiert: „Ich finde alle Influencer/ Creator/ Blogger sollen so weiter machen wie bisher. Online können wir trotzdem immer noch bestellen.“ Die Expertin erklärt sich die verschiedenen Standpunkte damit, dass jeder unterschiedlich stark von der Krise betroffen sei. Außerdem hätten viele Menschen falsche Vorstellungen davon, wie viel Arbeit das Leben als Influencer*in wirklich bedeutet: „Viele lassen sich nicht in die Karten schauen. So können Außenstehende kaum beurteilen, wie viel Arbeitsaufwand hinter einem Post oder Video wirklich steckt und unterschätzen das“, sagt Ann-Katrin Schmitz.

Dass es aktuell scheinbar besonders schwer ist, als Influencer*in den richtigen Ton zu treffen, thematisieren einige auch auf ihren Accounts. Die Influencerin Karo Kauer schreibt zum Beispiel: „Auch wir müssen lernen, mit dem Thema sensibel umzugehen und den Spagat zwischen Krisensituation und unserem Job gut hinzubekommen.“

Denn auch dieser Job könnte bedroht sein: Eine Untersuchung der Influencer Marketing Agentur „Intermate“ zeigte, dass die Zahl der Werbepostings auf Instagram in Deutschland durch die Krise bereits gesunken ist. Die Expertin bestätigt das. Nicht nur die Kritik in den Medien, sondern auch die aktuelle Stimmung wegen der Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt hätten dafür gesorgt, dass sich Influencer*innen mit Werbung zurückhielten. Zudem hätten viele Marken ihre Kampagnen verschoben oder abgesagt. Die Bloggerin Luisa Lion berichtete schon Mitte März auf ihrem Instagram-Kanal von abgesagten Jobs und Reisen.

„Influencer Marketing ist enger mit dem stationären Handel verbunden, als man vielleicht denkt. Würde die Werbung einfach wie geplant weiterlaufen, würde sie ihren Zweck nicht erfüllen, da die Laufkundschaft fehlt“, sagt Ann-Katrin Schmitz. Wie hoch die Umsatzausfälle für Influencer*innen durch Corona sein werden, kann sie jetzt noch nicht sagen. Die Expertin rechnet mit einem Umsatzeinbruch von 50 bis 70 Prozent im März und April. Wirklich existenziell sei das aber für die wenigsten: „Influencer*innen können so eine Krise viel länger ‚aussitzen‘ als ein kleines oder mittelständisches Unternehmen, das Ladenmiete oder Mitarbeiter bezahlen muss.“ Influencer*innen arbeiteten vor allem mit Freelancer*innen zusammen, die sie im Zweifelsfall einfach nicht dazubuchen könnten.

Wie flexibel die Influencer*innen auch bei ihren Inhalten sind, wird schnell deutlich, wenn man sich durch aktuelle Postings klickt. Die Reisebloggerin Kleinstadtcoco präsentiert auf ihrem Account statt Urlaubsbildern einfach die neuesten Jogginghosen-Kollektionen.

Die Travel-Influencerin Alex teilt auf ihrem Instagram-Kanal Buchempfehlungen übers Reisen oder macht Werbung für Osterspecials vom Discounter.

„Influencer*innen deren Existenz sonst stark auf Reisen und Events gründet, müssen jetzt anderweitig kreativ werden“

Ann-Katrin Schmitz glaubt, dass die aktuelle Situation für Influencer*innen auch eine Chance sein kann, wieder enger mit ihrer Community zusammenzurücken: „Werbliche Inhalte stehen jetzt eher im Hintergrund, deshalb ist wieder mehr Platz über Hobbys, persönliche Erfahrungen oder Meinungen zu sprechen.“ Es sei außerdem spannend, zu beobachten wie Influencer*innen deren Existenz sonst stark auf Reisen und Events gründet, jetzt anderweitig kreativ werden müssen. Da Blogger*innen im Moment auch zu Hause festsitzen, nähert sich ihr Alltag ein Stück weit dem der Fans an. Sie kochen, basteln, machen Yoga vor dem Fernseher oder suchen nach neuen Serientipps.

Schmitz glaubt, dass Influencer*innen langfristig auch finanziell von der Krise profitieren könnten. Viele Unternehmen würden jetzt merken, dass sie ihr Geschäftsmodell zumindest ein Stück weit digitalisieren müssen, um Krisen wie diese zu überstehen.

Dass auch Influencer*innen wegen Corona langfristig ihr Geschäftsmodell verändern oder erweitern, glaubt die Expertin nicht. Manche würden aktuell versuchen, andere Kanäle, wie Tiktok zu erschließen „Ob sie es langfristig schaffen, diese Plattformen zusätzlich regelmäßig mit Inhalten zu füllen, bleibt abzuwarten,“ sagt Ann-Katrin Schmitz. Außerdem würde sich auch das nur lohnen, wenn irgendwann Werbedeals für die neuen Plattformen dazukämen.

Einen ganz anderen Weg hat die Influencerin Gemma Marin aus Spanien eingeschlagen. Die gelernte Krankenschwester beschloss wegen der Corona-Krise kurzerhand wieder in ihren alten Beruf zurückzukehren und arbeitet jetzt in einem Krankenhaus in Madrid. Auf Instagram berichtet sie von ihren Erfahrungen und ruft ihre 300 000 Follower*innen dazu auf, zu Hause zu bleiben. Als Influencerin will sie erst nach der Krise wieder arbeiten.

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