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Warum Julia Kremer Miss Germany werden will

Foto: Klein Aber

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Julia Kremer ist Model, erfolgreiche Influencerin und Mutmacherin für viele Frauen. Und sie ist dick. Auf Instagram folgen der 31-Jährigen mehr als 87 000 Menschen. In den vergangenen Jahren setzte sie sich immer wieder öffentlich dafür ein, dass die Plus-Size-Community medial besser repräsentiert wird und Vorurteile abgebaut werden. Unter dem Hashtag #meinkoerperistkeinkostuem kritisierte sie etwa Barbara Schöneberger, die in einem Fat-Suit posiert hatte, mit Verena Prechtl startete sie die Social-Media-Kampagne #RespectMySize. Mit ihrer Bewerbung als Miss Germany ist Julia eine der top fünf Kandidatinnen Hamburgs im Wettbewerb. Mit jetzt spricht Julia darüber, warum sie dort mitmacht, wie es ist, als Plus-Size-Model bekannt zu sein und welche unangenehmen Fragen ihr schon in Interviews gestellt wurden.

jetzt: Du bist jetzt unter den Top 32. Wie siehst du deine Chancen, die nächste Miss Germany zu werden?

Julia Kremer: Eins zu 32! Ich habe schon einige der anderen Kandidatinnen kennengelernt und da sind viele sehr beeindruckend. Was mir schon auffällt, ist, dass ich seit meiner Bewerbung viel in den Medien präsent bin und die Leute das Thema interessant finden. Wir werden sehen, wie die Jury sich entscheidet – am Ende ist es auch Geschmacksache. Dank meiner starken Community habe ich es sehr gut durch das Zuschauer-Voting geschafft.

Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, dich zu bewerben?

Ich habe den Aufruf in einer Zeitschrift gesehen und war total überrascht: Miss Germany zieht den Wettbewerb seit dem vergangenen Jahr völlig neu auf, es gibt etwa keinen Bikini-Lauf mehr und auch bei Alter und Kleidergröße haben sich die Richtlinien verändert. Da dachte ich: Wenn nicht jetzt, wann dann? Und tatsächlich bin ich als einzige Plus-Size-Kandidatin dabei.

Wie ist das: die Einzige zu sein?

Ich bin nicht nur für mich da, sondern für ganz, ganz viele Frauen in Deutschland, die wirklich mal gesehen und gehört werden sollen und müssen. Es macht mich total stolz, diese Community und so viele Frauen repräsentieren zu dürfen. Über 50 Prozent der Frauen in Deutschland tragen die Kleidergröße 42 oder mehr. Darauf, dass Frauen sich schlecht und ungesehen fühlen, baut eine riesige Industrie auf. Wenn wir uns alle in unseren Körpern wohlfühlen würden, könnte man unsere Unsicherheiten nicht so einfach ausnutzen.

Aber ist das nicht ein Gegensatz, die Schönheitsindustrie anprangern und dann beim Miss-Germany-Wettbewerb mitmachen?

Nein, ich kann schließlich nicht das ganze System stürzen. Aber ich kann Marken unterstützen, die Menschen eine Stimme geben, die man sonst nicht hört. Das kann einen Unterschied machen: Ich selbst hätte vielleicht keine Essstörung gehabt, wenn ich unterschiedliche Frauenkörper-Vorbilder gehabt hätte. Stattdessen habe ich einen langen Weg zurücklegen müssen und eine Therapie gemacht, um meine Diskriminierungstraumata aufzuarbeiten und mit meinem emotionalen Essen besser umzugehen. 

Was bedeutet denn emotionales Essen?

In Kürze: wenn man unbewusst seine Gefühle betäubt und dafür Essen und Trinken benutzt. Dahinter steckt ein ähnlicher Mechanismus wie beim Rauchen, Alkohol trinken und exzessiven Shoppen. 

Siehst du deinen Erfolg beim Miss-Germany-Contest als ein Zeichen dafür, dass sich gerade tatsächlich gesellschaftlich etwas tut?

Ja, absolut. Ich merke seit Corona und der „Black Lives Matter“-Bewegung, dass Menschen wacher werden. Sie reflektieren, fangen an, über sich nachzudenken, über ihr Leben, über Sprache.

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Foto: Vierfotografen

Warum denn seit Corona? 

In den vergangenen Monaten haben sich einfach viele Abläufe in den Leben von Menschen geändert – und so entsteht die Möglichkeit, Dinge noch einmal zu überdenken.

In einem Interview mit dem Tagesspiegel hat der Geschäftsführer  der Miss-Germany-Wahlen gesagt, dass es nun gar nicht mehr primär ein Schönheitswettbewerb sei, sondern ein Personality-Contest. Hast du Angst, da in die „Dick aber nett“-Falle zu tappen?

Ich glaube, die meisten Frauen im Wettbewerb stehen dafür, von Äußerlichkeiten wegkommen zu wollen und darum geht es mir auch. Von klein auf schaut man bei uns Frauen auf das Aussehen. Bei Jungs geht es vielmehr darum, welche Interessen oder Talente sie haben. Unsere Gesellschaft muss generell ein besseres Verhältnis zu Frauenkörpern entwickeln: Wir müssen lernen, wie man eine gesunde Beziehung zu seinem Körper aufbauen kann. Aussehen ist so oder so vergänglich. Und auch schlanke Frauen erfahren ständig Body Shaming. Das geht absolut gar nicht!

Wie meinst du das?

Kommentare wie: „Hast du abgenommen? Das sieht aber klasse aus! Jetzt siehst du richtig gut aus.“ Menschen nehmen auch ab, wenn es ihnen schlecht geht. Bekommen sie dafür dann Komplimente, verstärkt sich der Teufelskreis, in dem sie stecken könnten. Da sollte man sehr vorsichtig sein.

Wie ist es für dich, immer wieder öffentlich über dich und dein Verhältnis zu deinem Körper sprechen zu müssen?

Früher habe ich mich nie getraut, über diese Themen zu sprechen. Nach und nach habe ich dann aber meiner Community von meinem Weg erzählt und habe gemerkt, wie vielen Frauen ich damit helfen kann. Und ich würde mir wünschen, dass die Medien da auch dazu lernen. Bei einem Interview vor Kurzem war es für die Moderatorin wirklich schwierig zu sagen, dass ich dick bin, weil der Begriff für sie so stigmatisiert ist. Dabei ist es nur eine Beschreibung, genau wie „dünn“ – erst die Gesellschaft macht daraus eine Wertung. Oft werden mir sehr diskriminierende Fragen gestellt, ohne dass es den Leuten klar ist. Neulich hat mich jemand als erstes direkt gefragt, wie viel ich wiege. Das würde man eine schlanke Frau niemals fragen.

Was ist die größte Schwierigkeit für dich in deinem Kampf für Repräsentation?

Die Leute haben oft das Gefühl, dass ich Übergewicht promote, also dass ich sage, dass Dicksein gesund sei. Das ist natürlich Quatsch, ich kenne auch keinen aus der Plus-Size-Branche, der sagt: Bitte werdet alle dick, dick sein ist super. Aber andersrum gibt es das massig. Die Diät-Branche macht weltweit jedes Jahr einen Umsatz im dreistelligen Milliardenbereich. Wir leben in einer Diätkultur und das sollte uns allen viel bewusster sein.

Dabei wissen wir alle, wie gut Diäten funktionieren …

Genau, nämlich gar nicht. Es sind es ganz oft psychologische Faktoren, die dazu führen, dass Menschen dick sind. Aber dieser Diät-Mythos führt dazu, dass dicke Menschen noch mehr Vorurteilen begegnen: Du bist nicht willensstark genug, du bist faul, du bist selber schuld. Selbst wenn: Das ist kein Grund, einen Menschen zu diskriminieren oder nicht zu respektieren.

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