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Sexismus hat mir mein Zuhause genommen

Illustration: Julia Schubert

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Ich bin sieben Jahre alt, als ich das erste Mal die Wäsche der Familie alleine verantworten soll. Das Abhängen überfordert mich, weil die Unterhosen meines Vaters, meines Bruders und sogar meiner Mutter für mich irgendwie alle gleich aussehen. Schwarz und groß eben. Ich falte daher auf je einen Stapel, was für mich nach Papa, Bruder, Mama aussieht, und lege ihn vor die jeweilige Zimmertür. Zwei Stunden später liegen Unterhosen im Vorgarten verteilt. Mein damals bereits erwachsener Bruder hat sie wutentbrannt und brüllend aus dem Fenster geworfen – weil sie zwar in seinen Stapel sortiert waren, aber nicht ihm gehörten.

Die Rollenverteilung bei uns Zuhause war schon früh klar und besteht bis heute: Mutter und Tochter bedienen den Vater und zum Großteil auch den Sohn. Wenn wir dabei nicht schnell genug sind oder etwas schiefgeht, rasten die Männer aus. Besonders heftig traf und trifft es meine Mutter, die wohl die meiste Zeit der Ehe als „nichtsnutziges Arschloch“ beschimpft und nach der gelegentlich sogar Essen geworfen wurde. Ich wurde „lediglich“ durchgehend angeschrien – und habe meinen Vater noch nie selbst einen Teller aus dem Küchenschrank nehmen sehen.

Ich hatte den Großteil meines Lebens Angst vor Männern. Ich stellte sie mir lange alle vor wie meinen Vater: Ein Mann war für mich im Privaten laut, grob und aggressiv. Er rülpst und schmatzt, kommandiert herum. Ich dagegen war nur ein Mädchen und würde zu einer Frau werden. Ich war dazu verdammt, zu bedienen. Zumindest dachte ich das damals – und schäumte meinem Vater jeden Morgen vor der Schule die Milch für seinen Cappuccino auf.

„Ja, genau, so weit kommt’s noch, dass das jetzt die Männer machen müssen“

Heute bediene ich niemanden mehr. Denn ich habe eine gute Entscheidung getroffen: sehr viel lernen – und dann abhauen. Zum Studieren ging ich weit weg und war plötzlich nur noch für meinen eigenen Dreck zuständig. Ich lernte Männer, sogar Väter von Freundinnen und Freunden kennen, die sanftmütig und entspannt waren, die Respekt vor mir und anderen Frauen hatten.

Ich kenne inzwischen mehr Feministen und Feministinnen als Sexisten und Sexistinnen. In dem Haus, in dem ich aufwuchs, ist das Machtgefälle zwischen Mann und Frau aber noch immer alive and well. Genau wie in der Gegend drum herum. Die meisten Familien, die ich dort als Mädchen kennengelernt habe, funktionieren wie meine, nur nicht ganz so extrem.

Manchmal kehre ich trotzdem noch in die Region zurück, die viele mein „Zuhause“ nennen würden, zu Feiern von Familie und Freundinnen zum Beispiel. Dann merke ich immer wieder, wie festgefahren der Sexismus dort eigentlich ist – während er im Rest meiner Lebenswelt immer weiter zerbröselt.

Zuletzt merkte ich es bei einer Familienfeier, die verlief, wie jedes andere Fest bei uns verläuft: Alle Frauen fanden sich früher oder später in der Küche wieder. Sie deckten den Tisch, kochten das Essen, betreuten anwesende Kinder und räumten am Ende wieder ab. Letztlich immer wieder auch ich, denn ich wollte die Arbeit nicht auf sie abwälzen. Die Männer saßen währenddessen auf ihren Stühlen, trommelten mit den Fingern, beschwerten sich immer mal wieder, warum noch nicht gegessen werden könne und wieso nicht nachgeschenkt werde. Der Freund, den ich mitgebracht hatte, wollte bei den vermeintlichen „Frauenaktivitäten“ helfen. Mein Vater lachte nur darüber: „Ja, genau, so weit kommt’s noch, dass das jetzt die Männer machen müssen.“

Ich habe für diesen Ort keine Liebe mehr

„Ja, Vater, so weit kommt’s noch!“, raunte ich. Ich spürte, wie das Adrenalin in mir arbeitete, ich in Schweiß ausbrach und meine Unterlippe vor Aufregung zitterte. Denn egal, wie frei ich in meinem anderen Leben auch bin – „Zuhause“ werde ich wieder ganz klein und dieser Mann wird ganz groß. Er sah mein Zittern gar nicht. Mein Spruch war ihm so egal, er hielt ihn offenbar für einen Witz, den er nicht verstand, denn er guckte verwirrt in die Runde. Ich hatte so viel Angst vor einem Streit mit diesem aggressiven Mann, dass ich mich mit meinem Satz als Widerrede schon geschlagen gab.

In solchen Situationen steigt immer wieder die Wut (auch auf mich selbst) in mir auf. Ich merke: Während andere oft „Heimweh“ haben, wenn sie weg vom Ort ihrer Kindheit sind, habe ich „Heimweh“, wenn ich dort sein muss. Der Sexismus hat mich entwurzelt. Ich habe für diesen Ort keine Liebe mehr. Vor allem nicht für den Patriarchen, der ihn dominiert.

Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass mein Vater sein Weltbild doch noch ändert. Inzwischen ist er ein alter Mann, noch sturer denn je, und ich kann niemanden mehr vor ihm retten. Meine feministischen Botschaften richten sich heute eher an andere, die sich selbst dort rausziehen müssen.

Er kann den Vorwurf, dass er selbst sexistisch sei, nicht ertragen

Ich streue sie zum Beispiel vor meinem Bruder aus. Denn der will eigentlich ein guter Kerl sein. Aber das Macho-Gehabe, das er von seinem Vater gelernt und das seine Mutter toleriert hat, kriegt er nicht raus.

Wenn ich mit ihm in Ruhe über Feminismus spreche, versteht er eigentlich, dass Frauen gleichberechtigt sein sollten. Aber sobald es konkret um ihn und die Familie geht, wird er wütend und rastet aus. Er kann den Vorwurf, dass er selbst sexistisch sei, nicht ertragen. Er habe schließlich nichts anderes gelernt. Er sei eben so, wie er erzogen wurde.

Ich erkläre also meiner Mutter, dass das aufhören, dass sie wegziehen sollte. Schon allein, weil sie doch zu schlau ist, um sich herumkommandieren zu lassen. Dabei weiß ich, dass sie all das schon lange weiß, nur irgendwie gelähmt ist. Wäre sie dann nicht treulos? Wie soll sie ihr Leben finanzieren? Wo soll sie hin? All diese Fragen besprechen wir immer und immer wieder. Ich flehe sie an, in meine Gegend zu ziehen. Ich glaube, manchmal überlegt sie es sich tatsächlich.

Durch meine eigene Geschichte und die meiner Mutter fühle ich mich oft, als müsste ich auch andere auf diese Ungerechtigkeit gegenüber Frauen aufmerksam machen. Selbst, wenn die gar nicht aufmerksam gemacht werden wollen. Zum Beispiel die Frauen, die ich seit der Schule Freundinnen nenne. Sie gehen zwar alle Vollzeit arbeiten genau wie ihre Männer, den Haushalt machen sie aber trotzdem alleine. Bei „Mädelsabenden“ wird nur „angestööößchent“ und hauptsächlich darüber philosophiert, was Männer eigentlich (beim Sex) wollen. Sie erfüllen dabei nicht meine Vorstellung von emanzipierten Frauen, die Rollenklischees unter keinen Umständen erfüllen wollen. Manchmal kritisiere ich sie dafür.

Ich bin dort die Hardcore-Feministin, die keinen in Frieden lassen will

Für sie bin ich in solchen Momenten die „Hardcore-Feministin, die keinen in Frieden lassen will“. Ich habe die Freundinnen für diesen Text einzeln gefragt, warum sie mich oft so sehen. Ihre Antwort: Manchmal sei Feminismus einfach übertrieben, es gehe ihnen ja nicht besonders schlecht damit, dass sie den Haushalt machen, High Heels tragen und den Mann in der Regel für beide bestellen lassen. Das sei einfach so und man müsse ja nicht hinter allem Böses vermuten.

Vielleicht haben sie recht. Vielleicht bin ich wirklich zu missionarisch. Vielleicht sind klassische Rollenverteilungen nicht überall so schlimm wie in meinem Elternhaus und vielleicht wehren sich deshalb nicht alle so heftig gegen jedes Zeichen von Sexismus, wie ich es heute tue. Mir ist trotzdem wichtig, auch anderen Mädchen und Frauen ihren eigenen Wert sehr deutlich aufzuzeigen. Klarzumachen, dass sie mit ihrem Partner gleichberechtigt sind, ihr Essen selbst bestellen können, nicht immer perfekt aussehen oder irgendwelche Klischees erfüllen müssen.

Ich war 18 Jahre alt, als ich endlich nur noch für meine eigene Wäsche und mein eigenes Leben verantwortlich war. Und es hat mich unfassbar glücklich gemacht.

*Die Autorin ist der Redaktion bekannt, will hier aber nicht namentlich genannt werden, weil nicht jeder die Umstände ihres Aufwachsens kennen muss.

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