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Masken sind keine schicken Accessoires

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Sachsen hat sie schon, Thüringen ab Freitag, alle anderen Bundesländer führen sie kommende Woche ein: die Maskenpflicht, zumindest in Geschäften und in Bus und Bahn. Ich finde das gut und richtig. Weil ich den Wissenschaftler*innen vertraue, die die Masken empfehlen. Ich hoffe aber auch, dass dadurch der Gruppendruck und das stylische Gepose in den sozialen Medien aufhören. Und dass ein Startdatum für eine Pflicht bedeutet, dass es auch ein Enddatum geben wird – und die Masken wieder verschwinden, sobald wir die Corona-Pandemie besser in den Griff bekommen haben. 

In den vergangenen Wochen hat sich die Bevölkerung in drei Gruppen gespalten: die, die aus Angst eine Maske tragen; die, die in den sozialen Netzwerken schicke Fotos mit Maske posten; und die, die sich weigern, eine zu tragen. Es mag an meinem Medienkonsumverhalten liegen, aber die zweite Gruppe ging mir dabei gehörig gegen den Strich. Ich hatte nichts gegen den oft mit den Fotos verbundenen Appell, dass man Masken aus Solidarität tragen sollte. Aber die Inszenierung schien mir häufig total daneben: besonders hübsche oder lustige Stoffe, tolles Augen-Make-up, Influencer*innen-Pose mit schief gelegtem Kopf, mit tollem Lichteinfall von hinten, die Maske kombiniert mit einem passenden Outfit. 

Immer mehr Fotos kamen und kommen dazu. Mittlerweile werden auf Instagram Webinare zum Thema „Schön geschminkt mit Maske“ angeboten. Es gibt Masken-Gewinnspiele, bei denen die Masken auf einmal „Facies“ heißen. Ein Shop bietet „Basis-Masken“, teurere „Premium-“ und noch teurere „individuelle Masken“ an. Ein anderer Modelle, die zum maßgeschneiderten Hemd passen. Ab und zu kann man fast den Eindruck gewinnen, nicht in einer Pandemie, sondern auf der Fashionweek zu sein und langsam in den Masken-Kommerz abzurutschen. Vor Kurzem bekamen diese ganzen Trendsetter*innen dann auch noch Unterstützung von der Leopoldina: Die Masken müssten „das neuen Cool“ werden, sagte einer der Wissenschaftler. Ich war entsetzt.

Nicht, weil ich zu eitel wäre, um eine Maske zu tragen. Ich habe ja selbst eine, aus festem Baumwollstoff, blassgelb, Gummibänder für die Ohren (an dieser Stelle ein Dank an alle – unter anderem die Mutter meines Partners – die aktuell wie verrückt nähen, um dem Bedarf gerecht zu werden!). Sondern weil ich finde, dass Masken einen riesigen Nachteil haben, der von kaum jemandem angesprochen wird – vor allem von denen nicht, die damit jetzt Modenschau spielen: Masken sind extreme Kommunikationsbarrieren. Nicht nur, weil man sich durch dem Stoff vorm Mund akustisch schlechter versteht. Sondern auch, weil Menschen mit halben Gesichtern herumlaufen. Mimik, um eine Aussage einzuordnen? Fehlanzeige. Lippenbewegungen, die beim Verstehen helfen? Nicht erkennbar.

Masken sind Kommunikationsbarrieren. Sie vereinzeln uns und entfernen uns voneinander

Masken vereinzeln uns, sie entfernen uns voneinander. Und Vereinzelung ist nicht cool. Distanz auch nicht. Sie ist bloß das Gebot der Stunde. Darum dürfen Masken niemals „das neue Cool“ werden. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen und es auch nicht abfeiern, sie zu tragen, sondern müssen uns stets bewusst sein, dass wir uns in einer  Ausnahmesituation befinden. Die Maske sollte kein schickes Accessoire sein, sondern ein Symbol dafür bleiben, dass wir akut ein großes Problem haben. Und eine Erinnerung daran, dass wir alles dafür tun müssen, wieder an den Punkt zu kommen, an dem wir uns nicht mehr gegenseitig vor unserem Atem schützen müssen.

Menschen aus ostasiatischen Ländern runzeln schon länger die Stirn über uns. Dort werden Masken oft aus Höflichkeit getragen. Ich finde das Argument schwierig, weil ich es nicht höflich finde, sich nicht offen anschauen oder anlächeln zu können. Aber ich sehe ein, dass es rücksichtsvoll ist, eine Maske zu tragen, wenn man erkältet ist, damit man nicht alle Menschen in der U-Bahn mit infektiösen Tröpfchen beregnet. Vor allem ist der Umgang mit den Masken dort aber insgesamt eher pragmatisch: Sie sind kein modisches „Must-Have“, sondern einfach nur ein „Must“. Masken mit Accessoire-Charakter sieht man kaum. Sie werden aus echter Solidarität getragen, nicht, weil es „cool“ ist. An diesen Punkt müssen wir auch kommen: aufhören mit dem Social-Media-Maskenball, der oft auch nur ein Zeichen von Hilflosigkeit ist, weil man ja sonst nichts tun kann. Und anfangen, die Dinger zu tragen, ohne so einen modischen Affentanz darum zu veranstalten.

Die Maskenpflicht hilft dabei hoffentlich, denn sie nimmt den Druck raus. Den Gruppendruck, um genau zu sein. Sie stoppt den Prozess, bevor die Maske endgültig zum It-Piece oder Statussymbol werden kann. Denn wenn alle eine tragen müssen, wird es vermutlich bald nicht mehr so wichtig sein, wie sie aussieht – man muss dann eben nehmen, was man kriegen kann. Nicht alle haben die Ressourcen und die Muße, sich um modische Masken zu kümmern. Vor allem aber wird die Pflicht dem Ernst der Lage gerecht. Maske tragen ist nicht cool, es ist nötig. Und irgendwann wird es dann hoffentlich eine weitere Ansage aus der Wissenschaft und der Politik geben: „Wir haben die Lage im Griff. Zieht die Dinger wieder aus.“

Wenn Maske tragen bedeutet, dass das soziale und gesellschaftliche Leben schrittweise wieder anlaufen kann: okay. Wenn wir dann unsere Freund*innen treffen, unsere Eltern und Großeltern besuchen können: okay. Wenn das Virus sich dadurch nicht weiter verbreitet: okay. Aber wenn Maske tragen bedeutet, dass es wichtig ist, die schönste, die eigene Augenfarbe am besten unterstreichende, individuellste zu haben, dann ist das falsch. Denn eine Pandemie ist kein Modetrend.

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