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Zeitschleifen sind ein billiger Plot-Trick

Wenigstens ist die Protagonistin auch ordentlich genervt von ihrer doofen Zeitschleife...
Bildrechte: Netflix

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Ich will „Matrjoschka“ lieben. Wirklich. Und eigentlich ist es ja auch eine sehr gute Serie. Acht Folgen à 25 Minuten – perfekte Länge. Natasha Lyonne in der Hauptrolle ist großartig, man kann gar nicht anders, als sich in diese schlagfertige, mutige Frau zu verknallen. Das Setting macht auch Spaß, viele Szenen spielen auf einer Party, auf der man gerne eingeladen wäre, oder in einer New Yorker Bodega, in der man gerne regelmäßig einkaufen würde. Es gibt sogar eine niedliche Katze in einer Nebenrolle. Und lustig ist die Serie auch, mit gutem, feinsinnigem Humor und schnellen, gewitzten Dialogen.

Trotzdem hat mich „Matrjoschka“ enttäuscht. Und das hätte ich eigentlich vorher wissen können. Denn der Plot basiert auf einer uralten, hunderte Male durchgenudelten Idee, die mich jedes Mal aufs Neue frustriert: Die Protagonistin Nadia ist in einer Zeitschleife gefangen. Sie stirbt immer und immer wieder und findet sich danach jedes Mal auf der Party wieder, die ihre Freunde zu ihrem Geburtstag organisiert haben. Da steht sie im Bad am Waschbecken und muss von vorne anfangen, nur, um nach wenigen Minuten die Treppe hinunter zu stürzen und sich das Genick zu brechen, oder Stunden später an einem Hühnerknochen zu ersticken.

Sie weiß nie, wie sie zu Tode kommen wird, und genauso wenig, ob sie dieser Schleife jemals entkommen kann (ob sie ihr entkommt oder nicht, soll hier nicht verraten werden – wer aber Angst vor Spoilern hat, sollte an dieser Stelle trotzdem nicht weiterlesen). Und immer, wenn ein Film oder eine Serie mit dem Raum-Zeit-Kontinuum spielt – wie etwa der Klassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“ oder zuletzt „Dark“ –, bin ich genervt. Und fühle mich verarscht von denen, die sich diese Geschichte ausgedacht haben.

Serien und Filme mit Zeitschleifen und -reisen werden oft bejubelt. „Mindblowing!“, rufen dann alle, weil sie es nunmal gewohnt sind, dass die Zeit linear verläuft und dass Raum und Zeit keine voneinander unabhängigen Dimensionen sind. Und klar können solche Geschichten Spaß machen, aber eigentlich ist die Idee dahinter nicht besonders kreativ. Die Erzähler machen es sich damit im Gegenteil ziemlich leicht: Man nehme die Grundstruktur des Universums und zerstückele sie – schon kriegen die Hirne der Zuschauer ein Problem.

Geschichten über Zeitreisen wirken elaboriert, ohne, dass man sich dafür viel Mühe geben muss

Aber genau das macht die ganze Geschichte am Ende eben überhaupt nicht „mindblowing“. Dieses Prädikat verdienen viel eher jene Geschichten, die  das Universum nicht aushebeln, aber es trotzdem schaffen, dass einem der Mund offen stehen bleibt und man etwas hinterfragt, was einem bisher logisch erschien. Die innerhalb der Grenzen, an denen wir nicht rütteln können, an Grundüberzeugungen und Sicherheiten rühren. Sich so etwas auszudenken und es logisch und schlüssig zu präsentieren, ist nämlich viel, viel schwieriger (aktuell gelingt das zum Beispiel „Homecoming“ oder „Bodyguard“ gut).

Trotzdem fallen wir alle immer wieder auf Zeitreise-Geschichten herein. Denn sie geben vor, dass es innerhalb ihrer unlogischen Welt eine Logik gibt, die sehr, sehr schwer zu verstehen ist. Nach dem Ende der ersten Staffel „Dark“ zum Beispiel haben sich die Zuschauer die Köpfe darüber zerbrochen, wie dieses und jenes Zeitreisephänomen zu erklären sei, und sind beinahe daran verzweifelt, wenn sie es nicht geschafft haben. Was einfach daran lag, dass der Plot nunmal so angelegt war, dass er keinerlei Logik verpflichtet ist. Man kann die Geschehnisse nicht erklären, weil sie unerklärlich sind. Oder anders argumentiert: In der Welt, die man sich ausgedacht hat, ist all das möglich, die Erklärung lautet also einfach, dass die Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Geschichte andere sind als die, die wir kennen.

Klar, das nennt man Fantasie und das ist eine feine Sache – aber eigentlich ist es auch nicht umwerfender, als sich sprechende Tiere oder fliegende Menschen auszudenken. Trotzdem bekommt man als Zuschauer von Zeitreise-Geschichten schnell das Gefühl, alles passe zusammen, sei bis ins letzte Detail durchdacht, und man sei nur zu dumm, es zu verstehen. Kurz gesagt: Wer beim Erzählen auf Zeitreisen oder Zeitschleifen setzt, kann seine Geschichte extrem elaboriert und kompliziert erscheinen lassen, ohne sich viel Mühe geben zu müssen. Das ist dem Zuschauer gegenüber ziemlich unfair.

In der Auflösung kommt raus, wie banal alles ist – und dass es nichts Kompliziertes zu verstehen gibt

Deutlich wird das dann meist bei der Auflösung, die darum auch der frustrierendste Moment ist. Denn natürlich muss irgendwie erklärt werden, wie es zum Riss im Raum-Zeit-Kontinuum gekommen ist – und außerdem muss er zugenäht werden. Es braucht etwas, mit dem man das Portal schließen oder aus dem Loop ausbrechen kann. Für diese Auflösung muss die Erzählung dann die mystische, vorgeblich so komplizierte „Wow, das ist ja irre, ich versteh’s nicht, ergibt das Sinn, verdammt, es muss doch irgendwie Sinn ergeben“-Ebene verlassen, auf der sich meist auch die Protagonisten die ganze Zeit über befanden (das Gute an Nadia in „Matrjoschka“: Oft ist sie nicht verzweifelt über ihre Zeitschleife, sondern eher sehr genervt davon – was ich gut verstehen kann). Wenn sie endlich checken, was los ist, wird es auch dem Zuschauer erklärt.

Und dann kommt eben raus, wie banal das alles ist. Dass es nichts zu verstehen gibt, zumindest nichts Kompliziert-Physikalisches oder gar die Relativitätstheorie. Sondern nur das übliche „Protagonist X muss mit seiner Vergangenheit abschließen“ oder „Protagonistin Y hatte noch etwas gutzumachen“. Situationen eben, die in unserem ganz normalen Universum, in unserer Realität und in unseren Gehirnen das Äquivalent zu Zeitschleifen und Zeitreisen sind. Bei „Matrjoschka“ ist das leider auch so. Weshalb dann auch eine Folge lang (zum Glück ist es nicht die letzte) der Humor, das Tempo und der Spaß fast ganz verlorengehen, zugunsten von gruseligen Gestalten aus der Vergangenheit, blutigen Splatter-Momenten und inneren Dämonen, die man gehen lassen muss.

Ein wenig kann ich „Matrjoschka“ verzeihen. Weil ich mit Schwung erzählte Geschichten liebe und weil eine der Kernaussagen dieser Serie zwar auch unendlich banal ist, aber eben auch sehr schön: dass es immer einen Unterschied macht, wenn wir uns dafür entscheiden, Mitgefühl für jemanden zu zeigen und auf ihn zuzugehen. Allerdings würde ich eine Serie, die mir das auf eine neue, überraschende, vielleicht sogar „mindblowing“ Art näherbringt, ohne dafür auf den billigsten aller Plot-Tricks zurückzugreifen, noch sehr viel mehr mögen (vor allem, wenn Natasha Lyonne darin auch wieder die Hauptrolle spielt).

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