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Mit „The Big Bang Theory“ endet die Ära der Vorabend-Sitcom

Illustration: Julia Schubert

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In den USA ist die finale Episode von „The Big Bang Theory“ über die Bildschirme geflimmert. Zum Abschied gab es noch ein letztes Mal Rekordquoten: 18 Millionen Zuschauer sahen sich das letzte Abenteuer der Nerds an. Mit 12 Staffeln und 276 Folgen geht „The Big Bang Theory“ als langlebigste amerikanische Sitcom in die Geschichte ein. Dass dieser Rekord in Zukunft nochmal gebrochen wird, ist unwahrscheinlich, denn mit „The Big Bang Theory“ endet auch ein geliebtes Kapitel der Fernsehgeschichte: Die Ära der Vorabend-Sitcom.

Es ist noch nicht lange her, da dominierten Sitcoms die Fernsehlandschaft. Die Kinder der Achtziger und Neunziger verbrachten zahllose Abende in den Wohnzimmern unterschiedlichster Fernsehfamilien. Ein Publikum fanden sie alle: „Wer ist hier der Boss?“, „Full House“ und „Friends“ genauso wie später „Eine schrecklich nette Familie“ oder auch „Two and a Half Men“. Auch die ersten Staffeln der „Simpsons“ lassen sich problemlos diesem Genre zuordnen. Die Protagonisten der einzelnen Sitcoms unterschieden sich stark, das Konzept aber war stets dasselbe: einschalten zum Abschalten.

Und eben das findet heute so nicht mehr statt. Klar: Wenn wir von der Arbeit nach Hause kommen, lassen wir uns immer noch gern aufs Sofa fallen. Aber wir schalten nicht mehr als erstes den Fernseher ein. Wir schauen nach, was neu bei Netflix ist, bei Amazon oder bei Sky, machen uns daran, unsere ohnehin endlosen Watchlists abzuarbeiten. Wir sind nicht darauf angewiesen, was gerade läuft – wir entscheiden, was läuft. Und wann.

Für eine Generation von Zuschauern war 18 Uhr „Simpsons“-Zeit, ohne wenn und aber

Früher war ein prominenter Sendeplatz im Vorabendprogramm oder im Nachmittagsblock am Wochenende ein riesiger Vorteil für jede Sitcom. So konnten die Fernsehfamilien ihre Zuschauer genau im passenden Moment abholen. Nach einem langen Tag nach Hause zu kommen und verlässlich eine neue Folge der Lieblings-Sitcom zu sehen, war ein bisschen wie ein Treffen mit Freunden. Nur, dass die wenigstens von uns ihre Freunde jeden Abend zur selben Zeit treffen können. Für eine Generation von Zuschauern war 18 Uhr „Simpsons“-Zeit, ohne wenn und aber. Auch der Montagabend mit den Nerds aus „The Big Bang Theory“ war noch vor wenigen Jahren ein Pflichttermin für viele Fans. Im Streaming-Zeitalter ist die Sendezeit beinahe irrelevant geworden.

Nun müssen Sitcoms sich vorher nie dagewesener Konkurrenz stellen. Und machen wir uns nichts vor: Die durchschnittliche Sitcom-Clique schneidet im direkten Vergleich mit modernen Serien doch eher schlecht ab. Wer will weichgespülte Alltagsprobleme mit seichten Witzen und schnellen Lösungen sehen, wenn preisgekrönte Dramen, tagesaktuelle Satire und kinoreife Action nur einen Klick entfernt sind? Die immer gleichbleibende heile Sitcom-Welt hat 2019 ausgedient.

Das Sitcom-Genre versucht sich seit Jahren neu zu erfinden

 

Ausnahmen bestätigen – wie üblich – die Regel. Der „Roseanne“-Nachfolger „The Connors“ fährt durchaus solide Quoten ein. Auch der „Big Bang Theory“-Ableger „Young Sheldon“ ist gut angelaufen. Diese Serien profitieren natürlich auch von einem beeindruckenden Stammbaum: Die Connors waren schon in den Neunzigern Kult. Und Superhirn Sheldon Cooper gilt als der beliebteste unter den „Big Bang Theory“-Nerds. Vier Emmys hat der Schauspieler Jim Parsons für die Rolle bekommen. Da ist es kaum verwunderlich, dass die Spin-Offs an die Quotenerfolge der großen Vorgänger anknüpfen konnten. Dieser Erfolg ist allerdings längst nicht so selbstverständlich und spürbar wie früher. Die neuen Serien werden offensichtlich gern gesehen, aber sie sind nicht mehr Gesprächsthema auf den Schulhöfen oder im Büro. Must-See-Fernsehen sieht heute anders aus. Die gute alte Sitcom hat es schwer – selbst unter besten Startvoraussetzungen.

„Sitcom“ bedeutet „situational comedy“, also „Situationskomik“. Und im Streaming-Zeitalter müssen die Situationen zunehmend ausgefallener sein, um das verwöhnte Publikum noch begeistern zu können. Deshalb versucht das Sitcom-Genre sich auch seit Jahren neu zu erfinden. Die Erfolgsserie „Modern Family“ beleuchtet gleich drei unkonventionelle Familien, die auf unterschiedlichste Art und Weise miteinander verstrickt sind. „Unbreakable Kimmy Schmidt“ erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die aus den Fängen einer Weltuntergangs-Sekte entkommt, und in „Brooklyn Nine-Nine“ dreht sich alles um ein komplett durchgedrehtes New Yorker Polizeirevier.

So zu Hause wie früher werden wir uns in Fernseh-Wohnzimmern wohl nie wieder fühlen

Klingt spannend. Ist es auch. Trotzdem haben die neuen Sitcoms ihren Platz im Programm nie so sicher wie ihre großen Vorgänger. Sie müssen sich Folge für Folge neu beweisen. Stimmen die Quoten nicht mehr, droht das schnelle Ende. Trotz positiver Resonanz wurde „Kimmy Schmidt“ nach vier Jahren auf Netflix eingestellt. Offene Fragen werden nun mit etwas Glück in einem abschließenden Film beantwortet. „Brooklyn Nine-Nine“ entging dem Aus nach der fünften Staffel nur durch einen Wechsel zum US-Sender NBC. Wie lange der sich die Cop-Comedy mit den überschaubaren Quoten leisten wird, bleibt abzuwarten.

Die Financial Times hat schon 2017 ein neues goldenes Zeitalter des Fernsehens ausgerufen. Seitdem haben wir eine Vielzahl von großartigen Serien gesehen, die diese These untermauern. Aber dieses goldene Zeitalter ist eben auch ein Zeitalter der Nische. Das Publikum verteilt sich immer breiter; Blockbuster-Serien werden die Ausnahme.

Für die Qualität des Fernsehens ist diese Entwicklung sehr positiv. Die Macher müssen immer mehr liefern, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das bedeutet aber auch, dass es für klassische Genres und vertraute Geschichten wie die Vorabend-Sitcom kaum noch Platz gibt. Mit „The Big Bang Theory“ endet auch die Zeit der Fernsehfamilien, die wir alle kennen. So zu Hause wie früher werden wir uns in Fernseh-Wohnzimmern wohl nie wieder fühlen. Und das ist bei allen Vorzügen doch ein bisschen traurig.

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