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Fünf Tipps gegen die Informations- und Gewalt-Überdrüssigkeit

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Ich war für 48 Stunden offline. Als ich dann die Instagram-App öffnete, realisierte ich: Es ist zu viel. All die Nachrichten, die Videos, die Bilder, die Stories, die Sequenzen, die Meinungen, der Schmerz, die Bagatellisierung, die Dämonisierung, die Nachrichten, die Sprache – einfach alles. Also schaltete ich alles wieder aus. Auch Whatsapp. Denn in Zeiten von Corona ist die Omnipräsenz von digitalen Technologien so weit in meine Erholungszeit übergegangen, dass meine Bildschirmzeit ins Unzählbare steigt. Doch das ist unsere Welt. Ich kann nicht die Augen vor George Floyds Tod, vor dem strukturellen Rassismus oder der Polizeigewalt verschließen. Das sollte keine*r. Doch es ist zu viel. Wie also kann man mit der Informations- und teilweise schon Gewaltflut umgehen? Hier folgen Selfcare-Tipps, aber nicht für die Bequemlichkeitsfanatiker*innen, sondern für alle, die diesen Schmerz spüren, aber in die richtige Bahn lenken möchten. 

1) Kenne deine Grenzen und sei mit ihnen konsequent

Manchmal wünschte ich, ich wäre dumm. Nicht buchstäblich und vermutlich ist es ein schlechter Begriff, um das zu beschreiben, was ich fühle: Eher sehne ich mich nach der Fähigkeit, all das, was dort draußen passiert, die Gewalt, den Hass, den strukturellen Rassismus, zu verdrängen. Einfach die Augen verschließen und so tun, als wäre es nicht existent. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich meinen digitalen Geräten den Rücken kehrte, mich entschloss, darüber nachzudenken, wie Schwarze Menschen es schaffen, in einem System, das sie strukturell benachteiligt, diskriminiert und tötet, zu bestehen. Doch das ist die Welt, in der wir leben und darin müssen wir lernen zu überleben. Auch mental. Daher lautet der erste Tipp: Kenne deine Grenzen. Wie viel ist zu viel? Wann erschüttern dich die Nachrichten so sehr, dass der emotionale Stress überschwappt? Wenn du ausgebrannt bist, kannst du nicht viel verändern. Mit Veränderung meine ich nicht die ganze Welt, sondern dein eigenes Universum.

2) Du musst gar nichts!

Ich muss immer wieder an Toni Morrison denken, die sagte, dass die Existenz von Rassismus dafür da ist, Schwarze Menschen abzulenken. Rassismus ist ein Kreislauf, der immer wieder von Neuem beginnt, die Empörung ist jedes mal da, doch strukturell verändert sich nicht viel. Es ist wie „Täglich grüßt das Murmeltier “. Nur handelt es sich nicht um eine Komödie, sondern um eine Tragödie. Oder eher um einen schlechten Horrorfilm, weil darin sterben Schwarze Menschen doch stets als erstes, oder? Diesen Kreislauf musst du auch immer wieder durchlaufen, emotional. Daher ist es in Ordnung, wenn du das nicht mitmachst. Du musst deine Gefühle nicht erklären, du musst nicht darüber sprechen, du kannst darüber sprechen, du darfst schreien, weinen oder einen Spaziergang im Wald machen. Rassismus ist ein Kreislauf und den zu durchbrechen, ist ein langer Weg. Also, teile deine Kräfte ein.

3) Sei wütend! Aber so richtig wütend!

Ich schreibe viel über Wut und wie wichtig sie ist. Wie gefährlich sie ist, wenn sie heruntergeschluckt wird. Denn all die Energie muss irgendwo hin. Sie verpufft nicht. Die Folgen unterdrückter Wut können Depressionen, Selbstverletzung, mangelndes Selbstwertgefühl, Kopfschmerzen, Stress sein. Und wozu all das? Damit man seine Contenance behält, dem stereotypen Bild der „Angry Black Woman“ entgegenwirkt? Nein, sei wütend. Wut tut gut. Sie sorgte dafür, dass wir heute überhaupt wählen oder ein Bankkonto eröffnen können. Ohne Wut wären wir nicht vorangekommen und wir haben verdammt viele Gründe, so richtig wütend zu sein. Also, lass sie raus. Am besten mit anderen Menschen, die ähnlich fühlen, die die gleiche Schwere spüren. Auf einer Demo, gemeinsam am Telefon, im Protest oder in diesem Text, den ich hier gerade schreibe. Schrei sie heraus.

4) Umgebe dich mit Menschen, die dir gut tun 

Du bist nicht allein. Mit deinen Gefühlen, mit der Angst, Wut und all den Gedanken. Also verbinde dich mit anderen. Weine mit ihnen, tanze, singe, rede mit Personen, die du liebst, bei denen du du selbst sein kannst. Wenn man als Schwarze Person isoliert in einer weißen Gesellschaft aufwächst, bekommt man das Gefühl, man sei paranoid. Die meinen es nicht so. Du weißt doch, wie er oder sie es meint! Das sind Sätze, die du vermutlich oft gehört hast. Wenn du jedes Mal einen Euro dafür bekommen hättest, wäre dein Konto gefüllt von den Entschuldigungen, den Normalisierungsprozessen von Diskriminierungen. Doch das hast du nicht. Leider. Du bist nicht allein mit den Mikroaggressionen, den kleinen Nadelstichen, die nicht so gemeint sind, aber letztlich zur Polizeigewalt akkumulieren. Du bist nicht empört. Du bist müde. Von den ewigen gleichen Diskussionen mit Menschen, die eh nicht zuhören, sondern sich selbst reden hören möchten. Lass es. Umgib dich mit Menschen, die dir zuhören und dich verstehen. 

5) Du bist wichtig

„Es ist ok, wenn du dich selbst zuerst rettest.“ Das stand auf einem kleinen Kärtchen, das mal an meinem Schreibtisch klebte. Direkt vor meiner Nase. Doch ich habe es weggeworfen. Du siehst, ich bin auch nicht so gut darin, mich selbst zu priorisieren. Aber wenn du ausgebrannt und müde bist, gibt es keinen Weg in eine kraftvolle Zukunft. Flyer verteilen, Plakate malen, schreien, protestieren, organisieren, diskutieren – all das bedarf Kraft und diese ist limitiert. Also, denk immer daran, dich selbst an erster Stelle zu setzen. Das bedeutet auch, sich herauszunehmen, auch wenn es gerade einen wichtigen Aspekt in einer digitalen Diskussion gibt, der so nicht geht. Du willst deinen Senf dazugeben, agieren und handeln. All das ist gut, richtig und essentiell, doch wenn du durch bist, dann hilfst du niemandem. Weder den Leuten beim protestieren, noch dir selbst. Der wichtigste Tipp lautet daher: Du bist wichtig.

*Dieser Text ist zuerst bei RosaMag erschienen, mit dem die jetzt-Redaktion kooperiert. RosaMag ist das erste Online-Lifestylemagazin für Schwarze Frauen und Freund*innen. Und das ist wichtig, denn: Es gibt drei Magazine über Weihnachtsbäume, zwei über UFOS und ZERO über das Leben, die Gedanken und Perspektiven von Schwarzen Frauen im deutschsprachigen Raum. Bis jetzt. Das afrodeutsche Journalistinnen-Kollektiv informiert, inspiriert und empowert.

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