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„Junge Dame, da ist doch Pfand drauf!“

Als unsere Autorin von Wien nach München kam, wunderte sie sich doch über so einiges.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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„Deutschland kann sich doch nicht so stark von Österreich unterscheiden.“ – Diesen naiven Gedanken hatte ich, als ich mich für ein Praktikum in München entschied. Die Wienerin in mir musste jedoch bereits am ersten Abend feststellen, dass sie falsch lag: 

Ich lief durch die Straßen und zündete mir eine Zigarette an. Kurz vor meinem letzten Zug suchte ich nach einem Mülleimer, um meine Zigarette auszumachen. Vergeblich. In München gibt es nämlich gefühlt in jedem Stadtteil nur eine Mülltonne. Also lief ich mit meinem Zigarettenstummel in der Hand verzweifelt durch mehrere Gassen. Nach ungefähr fünf Minuten sichtete ich endlich eine blaue Tonne, jedoch ohne extra Fach für Stummel, so wie es in Österreich oft der Fall ist. Irritiert warf ich die Zigarette in meine fast leere Dose. „Junge Dame, da ist doch Pfand drauf“, rief mir ein älterer Herr kopfschüttelnd zu, während ich die Dose in der Tonne entsorgte.  

Es fühlte sich für mich befremdlich an, das „Leergut“ in einen Beutel zu packen

Wie oft ich dGefühl, alles falsch zu machen, in den folgenden zwei Monaten noch haben sollte, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Deutschland unterscheidet sich nämlich sehr wohl von Österreich. 

Nicht nur der ältere Herr von meinem ersten Tag, sondern fast alle in meinem Umfeld haben mich mindestens einmal auf das Pfandsystem aufmerksam gemacht. In Wien kaufe ich eine Dose, und wenn sie leer ist, werfe ich sie einfach in den Müll. In München offenbar eine Todsünde. Im ersten Monat in der neuen Stadt haben sich daher Dosen und Flaschen in meiner Wohnung gehäuft. Es fühlte sich für mich befremdlich an, das „Leergut“ in einen Beutel zu packen und zum Supermarkt zu bringen. Als ich mich dann doch dazu überwinden konnte, bekam ich gut 40 Euro zurück. Gar nicht so schlecht. Da ich jeden Tag Menschen mit großen Ikea-Tüten voller Pfandflaschen sah, verschwand auch mein Schamgefühl. 

Womit ich mich allerdings nicht so gut anfreunden konnte, war das öffentliche Verkehrsnetz. Offensichtlich bin ich von den kurzen Wartezeiten in Wien verwöhnt. Meist steht man dort nur wenige Minuten an einer Haltestelle, bis der nächste Bus kommt. In München fuhr der Bus zur Arbeit dagegen nur drei Mal die Stunde. Wenn ich ihn verpasste, musste ich den Weg zu Fuß gehen oder 20 Minuten auf den nächsten warten. Doch auch das U-Bahn-Netz war mir ein Rätsel. Wie kann es sein, dass auf einem Bahnsteig drei verschiedene Linien einfahren können? In Wien gibt es für jede Linie eigene Bahngleise. Sich zu verfahren, ist hier so gut wie unmöglich. In München war ich dagegen häufig den Tränen nahe, wenn ich plötzlich an der Silberhornstraße statt am Candidplatz landete. 

Und dann war da noch die Sprache. Tüte statt Sackerl, Mülleimer statt Mistkübel 

Und dann war da noch die Sprache. Tüte statt Sackerl, Mülleimer statt Mistkübel und, ganz schlimm: Zigarette statt Tschick. Das sind nur ein paar Beispiele von Wörtern, die ich mir erst antrainieren musste. Ich habe in diesen zwei Monaten aufgrund meines Wiener Dialekts unverschämt oft die Frage gestellt bekommen: „Ach, wo kommen Sie denn her?“ Sei es von der Kassiererin im Supermarkt, wenn ich nach einem Sackerl gefragt habe, oder vom Passanten, bei dem ich mich nach dem Weg zum nächsten Tschickautomaten erkundigte. In den meisten Fällen entstand eine kurze, manchmal auch lustige Konversation über meinen Dialekt. Nach einer Weile war es allerdings auch anstrengend. Ich wollte mich nicht jedes Mal erklären und entschied, mich zu assimilieren. Ich packte meinen Dialekt bei Seite und sprach im besten Hochdeutsch, das mir über die Lippen kommen konnte. Im Nachhinein fühlt es sich so an, als hätte ich für eine Zeit einen Teil meiner Identität abgelegt, nur um nicht aufzufallen.  

Doch nicht alles, was mir befremdlich vorkam, ist schlecht. In Wien ist ein Großteil der Menschen immer genervt und unhöflich. In Österreich nennen wir das liebevoll „Wiener Grant“ und ich bin absolut kein Fan davon. In München ist das anders. Die Menschen auf der Straße haben mich ohne Grund angelächelt und manche, die ich zum ersten Mal sah, haben mich direkt mit einer Umarmung begrüßt. Mein innerer Grant musste diese Nettigkeit erst verarbeiten, doch am Ende habe ich gelernt, die Stadt und ihre Menschen zu lieben. Aber bitte stellt mehr Mülleimer auf.  

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