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Ich kann den Dialekt meiner Heimat nicht sprechen

Unsere Autorin ist zwar Bayerin, spricht aber nur Hochdeutsch. Das findet sie schade.
Illustration: Katharina Bitzl

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Hinweis: Dieser Text wurde zum ersten Mal am 26.07.2017 veröffentlicht und am 26.10.2020 noch einmal aktualisiert.

Vor einigen Jahren war ich mit Freund*innen und deren Bekannten Ski fahren. Als wir beim Mittagessen auf der Hütte saßen, fragte mich jemand, wo ich genau herkäme. Ich nannte meinen Heimatort im Münchner Umland. Danach kam die Frage, wo meine Eltern aufgewachsen seien. Ich sagte, dass sie beide aus Bayern kämen. Kurze Pause, dann: „Hä, echt? Aber du redest ja NULL Bairisch.” Danach wusste ich irgendwie nicht mehr, was ich antworten sollte.

Das lag daran, dass jetzt alle ganz genau hinhören würden, ob ich wirklich dialektfrei spreche. Außerdem finde ich es selbst ein bisschen traurig, dass ich die Mundart meiner Heimat nicht richtig kann. Ich verstehe zwar auch tiefstes Bairisch, weil ich in meiner Kindheit fast jedes Wochenende in einem Dorf verbracht habe, in dem auf 20 Kühe ein Einwohner kommt und ausschließlich Bairisch geredet wird. Aber flüssig sprechen kann ich es nicht. Meine Eltern können das beide sehr gut, haben aber mit meinen Geschwistern und mir fast ausschließlich Hochdeutsch gesprochen, als wir klein waren.

Wenn ich mich dann darüber beklage, dass ich schon wieder für eine Norddeutsche gehalten wurde, bringen sie jedes Mal das Argument, dass sie viele Erwachsene kennen, die nicht dialektfrei sprechen könnten und das im Endeffekt noch viel trauriger sei.

Das klingt jetzt, als wären sie solche Unser-Kind-soll-Karriere-machen-Eltern, die mich vier mal die Woche zum Geigenunterricht und ab der Grundschule in einen Mandarin-Sprachkurs geschickt hätten – damit ich optimal auf das Berufsleben vorbereitet bin und adäquat Hochdeutsch spreche. So ist das aber nicht. Sie haben wohl einfach nicht damit gerechnet, dass es mich so stören könnte und sich deswegen für die Hochsprache entschieden.

Kein Bairisch zu sprechen, fühlt sich oft sehr traurig an

Dass es wichtig ist, gutes Deutsch zu sprechen, leuchtet mir ein. Warum das aber ausschließt, nebenher den in unserer Gegend üblichen Dialekt zu lernen, kann ich nicht nachvollziehen. Schließlich wachsen viele Kinder mit zwei komplett unterschiedlichen Sprachen auf. Oft können sie zwar die eine Sprache besser als die andere, aber ich wäre ja schon zufrieden, wenn ich Bairisch nur so mittelmäßig könnte. Dann würde ich auf Volksfesten von den Leuten aus dem Nachbarort endlich nicht mehr schräg angeschaut werden. Könnte in der Wirtschaft souverän a Schweinshaxn mid zwoa Kartoffegnedl und Bronsoß bestellen, ohne mir wie eine Ausländerin vorzukommen.

Am meisten stört mich an meinem Nicht-Können, dass ich Hochdeutsch so oder so noch gelernt hätte: Viele meiner Freund*innen sind aus dem Norden zugezogen. Der Großteil meiner Lehrer*innen in der Schule hat ausschließlich Hochdeutsch gesprochen. Und der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, liegt im unmittelbaren Einzugsgebiet einer Großstadt. Ich hätte die Aussprache dieser Anderen doch sicher früher oder später aufgesogen. Das konnten meine Eltern vermutlich nicht wissen – dennoch finde ich es schade, dass sie sich aktiv dagegen entschieden haben, mich mit Dialekt zu erziehen.

Mein Vater sagt zwar, dass ich Bairisch locker noch lernen könnte, aber leicht fällt mir das nicht. Wenn ich mit Freund*innen rumhänge, die Dialekt sprechen, und ich daher bairisch angehaucht mitrede, hört sich das ähnlich an, als würde ich mein Schulspanisch auspacken: Es wirkt ein wenig unbeholfen, viele Wörter klingen spontan erfunden und jeder hofft, dass ich nur zum Spaß so rede. Dass es mir so schwerfällt, liegt aber vielleicht auch daran, dass mir schon oft genug deutlich gemacht wurde, dass ich eben „NULL” Bairisch kann.

Mit meinem Nicht-Können bediene ich noch dazu einen Trend, den ich nicht gut finde: Die Mundarten sterben aus. Und ich trage nicht unwesentlich dazu bei. Das fühlt sich oft sehr traurig an. An unschönen Veränderungen will schließlich nie jemand schuld sein. 

Mittlerweile habe ich einen Mittelweg gefunden: Ich mische geläufige bairische Worte in meinen Sprachgebrauch. Wadln, Watschn, gscheid, a bisserl oder wurscht sind dann doch hängen geblieben und gehen mir leicht über die Lippen. Das hat vor allem den Vorteil, dass ich nicht mehr für eine Nicht-Bayerin gehalten werde. Und wer den Comedian Harry G kennt, weiß, dass das vor allem in München nicht ganz unwichtig ist. Er beweist in seinen Videos regelmäßig, dass sehr hohes Hochdeutsch schnell viel gruseliger klingt als das urigste Bairisch.

Viele Menschen aus anderen Regionen Deutschlands halten die Bayern für ein rückständiges Bauernvolk 

Die Mischkreation, die ich spreche, heißt (laut Suchmaschinen) Regiolekt und breitet sich immer weiter aus. Jemand aus dem Norden könnte mich deswegen recht schnell und eindeutig als Bayerin identifizieren. Passiert aber selten, denn sobald ich so jemandem gegenüber stehe, rede ich ausschließlich Hochdeutsch. Und versteht mich nicht falsch: Ich bin sehr froh, dass ich das kann.

Nicht gleich als bayerisch identifiziert zu werden, wirkt im ersten Moment auch oft wie ein Kompliment. Meistens fällt mir aber wenig später auf, dass das nur daran liegt, dass viele Menschen aus anderen Regionen Deutschlands die Bayern für ein rückständiges Bauernvolk halten. Eines, das sich nicht richtig ausdrücken kann. Das fühlt sich dann gleich gar nicht mehr nett an. Allzu sehr abheben möchte ich mich deshalb nicht, weil ich eigentlich sehr stolz darauf bin, da herzukommen, wo ich eben herkomme. Irrtümlicherweise für norddeutsch gehalten zu werden, bestätigt mich letztlich nur noch mehr in dem Gefühl, zu Hause nicht zu hundert Prozent dazu zu gehören. Und irgendwo dazugehören, das will doch jeder irgendwie.

Deswegen trage ich auf traditionellen Veranstaltungen gern traditionelle Tracht. Wenn dann jemand in schwarzer Landhaus-Dirndlbluse und pink gefedertem Hut zu Skandal im Sperrbezirk grölt, möchte ich mir am liebsten mit der falchen Hand gegen die Stirn klatschen. Weil ich’s ja so viel besser weiß, wie das in Bayern mit der Tradition geht – bin ja schließlich von hier. Nach diesem kurzen Moment der Überlegenheit kommt dann aber ganz schnell die Erkenntnis wieder: Spricht man nicht mal den „eigenen” Dialekt, fühlt es sich so an, als wäre man selbst derjenige mit dem Federhut.

Wenn ich mal wieder an diesen Punkt komme, trinke ich meistens einfach ein Bier oder zwei. Nicht aus Frust, sondern weil ich dann diese eine Sache kann: flüssig Bairisch sprechen – und wenn’s nur in meinen Ohren ist.

Die Autorin dieses Textes möchte lieber anonym bleiben, damit nicht jede*r ihrer Freund*innen ab sofort einen Versuch startet, ihre Bairisch-Skills zu testen.

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