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Wie viel Schmerz muss ich aushalten?

Foto: CL./photocase.de; Illustration: Katharina Bitzl

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Die schlimmsten Schmerzen, die ich jemals hatte, waren einmal Kopf- und einmal Nierenschmerzen. Im ersten Fall besorgte mir ein Freund ein Migränemittel beim Apotheken-Notdienst, im zweiten bekam ich ein Schmerzmittel vom Arzt. Beide Male war der Moment, als das Medikament wirkte, unglaublich erlösend. Ich hätte es sonst nicht ausgehalten. Dachte ich damals zumindest.  

Wenn ich mich daran erinnere, zum Beispiel, wenn ich bei „normalen“ Kopfschmerzen eine Tablette nehme, frage ich mich: Wie viel Schmerz muss ich eigentlich aushalten? Woher weiß ich, wann es wirklich schlimm ist und wann ich nur wehleidig bin? Nehme ich zu schnell ein Medikament? Wann muss ich zum Arzt? Und: Wieso tut es das eine Mal so verdammt weh, wenn ich mir das Knie stoße, und das nächste Mal fast gar nicht?

Dr. Stefanie Förderreuther ist Oberärztin an der Neurologischen Klinik der Universität München und Vizepräsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Die Definition für „Schmerz“, die sie mir nennt, ist erst mal sehr simpel: Es sei „eine unangenehme Empfindung“. Allerdings unterscheide man akuten und chronischen Schmerz: Akuter Schmerz ist ein Symptom für eine Verletzung oder eine Krankheit, chronischer Schmerz hingegen ist selbst zu einer Erkrankung geworden.

Während der chronische Schmerz körperlich und psychisch extrem belastend ist, ist der „normale“, akute Schmerz zunächst einmal sehr wichtig, weil er eine Warnfunktion hat. Menschen, die durch einen genetischen Defekt kein Schmerzempfinden haben, leben sehr gefährlich: Wenn sie auf eine heiße Herdplatte fassen, merken sie erst, dass etwas falsch läuft, wenn es seltsam riecht – und dann ist das Gewebe schon schwer beschädigt.

Zum Glück können die meisten von uns Schmerzen empfinden. Das allerdings so individuell, dass es keine Möglichkeit gibt, objektiv zu messen und zu beurteilen, ob ein Schmerz noch erträglich ist oder behandelt werden muss. „Jeder von uns hat eine eigene interne Schmerzschwelle, an der er sagt: Jetzt ist der Reiz nicht mehr warm, sondern heiß – und tut mir weh“, sagt Stefanie Förderreuther.

Frisch verliebt tut ein angestoßenes Knie weniger weh als mit Liebeskummer

Um die Schmerzen eines Patienten einigermaßen beurteilen zu können, geben Ärzte meist eine Skala vor. „Sie reicht von Null, also kein Schmerz, bis zu Zehn, dem schlimmsten akuten Schmerz, den man für gewöhnlich kennt“, sagt Förderreuther. Dabei bleibt man erst mal im Bereich sehr „alltäglicher Schmerzen“: Stufe zehn wäre also etwa das, was man manchmal ohne Betäubung beim Zahnarzt empfindet oder wenn man sich mit Schwung das Schienbein anstößt. 

Natürlich verändert sich diese Skala durch individuelle Schmerzerfahrungen. Wer schon mal eine schwere Verletzung hatte, für den steht das angestoßene Schienbein nicht mehr an der Spitze der Schmerz-Skala. Zusätzlich wird das Empfinden durch die sogenannte „affektive Komponente“ beeinflusst. „Die Frage ist: Wie schlimm ist der Schmerz in der aktuellen Situation?“, sagt Förderreuther. Bin ich gerade verknallt und knalle mit dem Knie ans Tischbein, ist mir das fast egal. Wurde mir grade das Herz gebrochen, fühlt sich auch das Knie nach Totalschaden an.

Ablenkung kann helfen, besser mit Schmerzen umzugehen

Wie stark ein Schmerz empfunden wird, hat also viel mit dem aktuellen Gesamtbefinden zu tun. Aber auch damit, woher er kommt – und wer schuld daran ist. Über den Katerkopfschmerz ärgere ich mich zwar, aber ich habe ihn kommen sehen und selbst verursacht, also halb so wild. Wenn mir aber jemand mit dem Fahrrad in die Seite fährt, obwohl ich als Fußgängerin gerade grün habe, stecke ich den Schmerz in den Rippen hinterher weniger gut weg. Und der Schmerz während einer Geburt ist zwar sehr stark, aber die Betroffene weiß zumindest, dass er vorbeigeht – und dass er am Ende etwas Gutes hervorbringt. 

Schmerz wird auch als stärker empfunden, wenn man sich auf ihn konzentriert. Ablenkung kann darum helfen, besser mit Schmerzen umzugehen. Aus dem gleichen Grund lenkt man ja auch kleine Kinder ab, die sich wehgetan haben. Und auch Patient*inneen mit chronischen Schmerzen lernen in einer Verhaltenstherapie, ihre Aufmerksamkeit vom Schmerz weg zu lenken.

Wenn ich als Kind Kopfschmerzen hatte, bei denen Ablenkung nicht half, sagte meine Mutter immer: „Nimm eine Para.“ Das stand für Paracetamol, unser Standard-Medikament im Medizinschrank. Vielleicht habe ich darum bis heute keine Scheu, Schmerzmittel zu nehmen, egal ob bei Kopf-, Zahn- oder Regelschmerzen. Aber immer wieder höre ich auch Horrorgeschichten, wie schädlich frei verkäufliche Schmerzmittel seien. Und dass der Körper sich an sie gewöhne und sie dann irgendwann nicht mehr wirken. Ist da was dran?

Nimmt man zu lange Schmerzmittel ein, können sie die Schmerzen verstärken

„Ich halte nichts davon, Schmerzmittel zu verteufeln“, sagt Stefanie Förderreuther.  Wer verantwortungsvoll damit umgehe, die Tageshöchstdosis und den maximalen Einnahme-Zeitraum nicht überschreite, der müsse sich keine Sorgen machen. Den „Gewöhnungseffekt“, den so viele bei Schmerzmitteln befürchten, gibt es unter dieser Voraussetzung nicht.

Nimmt man allerdings zu viele und zu lange Schmerzmittel ein, können sie nicht nur ihre Wirkung verlieren, sondern selbst  die Schmerzen verstärken. Bei Kopfschmerzpatienten kann es durch zu hohen Schmerzmittelkonsum über einen Zeitraum von mehreren Monaten dazu kommen, dass sie einen chronischen, sogenannten „schmerzmittelinduzierten Kopfschmerz“ entwickelt.

Insgesamt gilt: Schmerzmittel sind nicht dafür gemacht, dass man sie täglich nimmt. Darum sollte man erstmal herausfinden, woher der Schmerz kommt. Tut der Kopf eventuell weh, weil man lange in einem Raum mit schlechter Luft saß und wenig getrunken hat? Dann mit einer Flasche Wasser raus an die frische Luft. Oder steht die Periode an und da schmerzt der Kopf vorher immer, wegen der hormonellen Schwankungen? Dann ruhig ein Schmerzmittel nehmen, das muss man nicht aushalten. Oder hat es psychische Ursachen, weil der Job gerade sehr stressig ist? Dann sollte man vielleicht einen guten Ausgleich finden oder etwas an der Lebenssituation ändern.

„Aber man muss auch wissen, wann man zum Arzt muss“, warnt Stefanie Förderreuther. Zum Beispiel bei plötzlich auftretenden, sehr heftigen Schmerzen. Denn dann könnte eine akute und im schlimmsten Fall lebensbedrohliche Erkrankung dahinterstecken.

Dieser Text erschien erstmals am 8. Januar 2018 und wurde am 8. August 2020 aktualisiert.

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