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Horror-Nebenjob: Kellnern beim Flying Buffet

Manche Jobs sind schlimmer als andere – an diesen erinnert sich unser Autor noch besonders gut.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Manche Jobs sind schlimmer als andere – in dieser Serie erzählen wir von schrägen Nebenjobs. 

Horror-Stufe: 6 von 10

Chef: Möchtegern-Diktator

Bezahlung: 8,50 Euro die Stunde

Erlernte Skills: Bessere Balance 

Die Anweisungen für meinen ersten Catering-Job waren relativ strikt und schon am Abend vorher wusste ich, dass ich sie nicht einhalten würde. Schick angezogen solle ich kommen, ordentlich frisiert und auf jeden Fall glatt rasiert, las ich und blickte von meinem Handy in den Spiegel, aus dem ich mir selbst entgegen schaute: Das linke Auge blau und geschwollen, eine frisch-genähte Wunde über der Lippe – Drei Stiche. Ein blöder Unfall am Abend zuvor. Keine Chance, dass ich irgendeinen Rasierer in die Nähe der Fäden lassen würde. 

Als ich am nächsten Tag also gut gekleidet, aber doch mit verunstaltetem Gesicht zu einer prunkvollen Location in der Münchner Innenstadt ging, war die Narbe über meiner Lippe nicht die einzige Sorge, die ich mit mir herum trug. Ich hatte noch nie gekellnert. Mein Gleichgewichtssinn gleicht dem eines neugeborenen Fohlen, das versucht seine ersten Schritte zu gehen und nun sollte ich mich stundenlang mit einem Tablett voller Sektgläser durch hochrangige Mitarbeiter*innen eines großen Automobilherstellers schlängeln.

Als ich eintrat und mich vorstellte, merkte ich, wie mein Chef mich genervt musterte, überlegte mein Aussehen zu kommentieren, sich aber schließlich für ein harsches „Komm mit!“ entschied. Auf dem Weg in die Küche erklärte mir der Chef, dass alles heute „Zack, Zack, Zack“ gehen müsse. Tabletts raustragen, Menschen bedienen, wieder zurück, nächstes Tablett: „Ich will hier niemanden sehen, der sich ausruht.“ Mein erstes Tablett war relativ leicht, ein paar Amuse-Gueules, doch ein Kollege bemerkte, dass ich beim Hochheben unsicher wirkte, nahm mich beiseite und erklärte mir ein paar Trage-Techniken.

„Na, ist schwer, oder?!“

Dann ging der Stress los. Es war Hochsommer, die Veranstaltung in einem Dachgeschoss. 30 Grad, langes Hemd, ständig in Bewegung. Je länger die Veranstaltung dauerte, desto schwerer wurden die Tabletts. Aus Amuse-Gueules wurden Sektgläser, aus Sektgläsern Vorspeisen und aus Vorspeisen schließlich Hauptspeisen in großen Tellern. Jede kurze Verschnaufpause in der Küche wurde nach wenigen Sekunden von einem bellenden „Los, los, los!“ des Chefs unterbrochen. Schweiß rann von meiner Stirn über mein Gesicht, meine Arme begannen nach vier Stunden zu zittern – zur Belustigung der ohnehin schon angeheiterten Gäst*innen, die sich irgendwann einen Spaß daraus machten, möglichst lang zu überlegen, welches Gericht sie nehmen sollten, während ich nach vorne gebeugt, das Tablett in einer Hand haltend wartete. „Na, ist schwer, oder?!“ fragte einer und wurde mit Gelächter aus der Gruppe belohnt, was ihn noch mehr motivierte: „hm, hm, hm … was nehm’ ich denn, was nehm’ ich denn. Trüffelrisotto! Ah ne, doch nicht! Das Steak nehm ich“, um sich dann bei mir gönnerhaft mit einem Augenzwinkern und „kleiner Spaß“ zu entschuldigen.

Als ich irgendwann wieder im Stechschritt in die Küche kam, hörte ich den Chef rufen: „So, jetzt hatte jeder seine Pause, oder?!“ Ich war vorab nicht informiert worden, bekam auf meine Meldung ein Augenrollen und mit den Worten: „In 10 Minuten bist du wieder hier“, ein mittlerweile kaltes Essen, das beim Catering übrig geblieben war. Während ich neben dem Kollegen saß, der mir gezeigt hatte, wie ich ein Tablett halten soll, und Essen in meinen Mund schaufelte, kotzte er sich über den Chef aus. Er erzählte mir, dass er regelmäßig beim Catering arbeitete, aber noch nie so respektlos behandelt wurde. „Und das alles für 11 Euro die Stunde …“ Ich fragte noch einmal nach, ob ich richtig gehört hatte und bekam als Antwort: „Ja, die anderen kriegen auch alle 11 Euro. Was kriegst du?“ „8,50.“ „Dann musst du auf jeden Fall nochmal mit dem Chef reden.“

„Pause wird von der Arbeitszeit abgezogen. Hast leider Pech gehabt” 

Wie zu erwarten war, zeigte der sich allerdings nicht allzu verhandlungsbereit: „Ich hab dich halt über ein anderes Portal gebucht als den Rest. Vertrag ist Vertrag.“ Die restlichen Stunden arbeitete ich also nicht nur gegen die Hitze, meine zitternden Muskeln und verächtliche Kund*innen an, sondern auch mit der Gewissheit, ungerecht bezahlt zu werden. Endlich kam die Ansage, dass wir aufräumen sollten. Ich wurde losgeschickt, um die Kerzen in der ganzen Location auszumachen, weshalb ich zehn Minuten später als alle anderen Feierabend hatte. Zehn Minuten, die mir allerdings laut Vertrag 17 Euro einbringen würden, weil ich für eine eventuelle achte Stunde doppelt bezahlt werden würde – ab der ersten Minute. Triumphierend ging ich also zu dem Chef, den Vertrag in der Hand, um ihn auf die Klausel hinzuweisen: „Vertrag ist Vertrag.“ Er las sich die Klausel durch, überlegt kurz und fragte: „Wie lang hast du Mittag gemacht?“ – „10 Minuten.“ – „Tja, Pause wird von der Arbeitszeit abgezogen. Hast leider Pech gehabt.“

Kochend vor Wut stiefelte ich die Marmortreppen hinab zum Ausgang, wo mich die Maximilianstraße mit einer kühlen Brise der Abendluft empfing. Auf der Straße stand der Rest der Crew in einer Runde und rauchte. „Ey, wo warst du? Wir haben auf dich gewartet! Wir gehen alle noch in der kubanischen Bar um die Ecke tanzen, komm mit!“ Drei Stunden später hatte ich zwar gut die Hälfte meines Lohns in Drinks investiert, dafür war aber die schlechte Laune verschwunden. 

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