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64 Euro pro Tag für den Nomaden-Tourguide

Der 26-jährige Lkhagvasuren erzählt, warum er Tourist:innen gerne den Alltag der Nomad:innen zeigt.
Foto: Privat / Illustration: jetzt

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Der Werdegang 

Ich bin als Nomade in einer kleinen Provinz im Süden der Mongolei aufgewachsen. Jetzt, wo ich studiere, arbeite ich in den Semesterferien als Tourguide, um Tourist:innen das nomadische Leben zu zeigen. Dafür bin ich bei einer Agentur in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar angestellt. Da in der Mongolei ein großer Teil der Bevölkerung in einem Nomadenhaushalt lebt, ist das Nomaden-Leben für viele von uns Alltag. Es gibt schätzungsweise noch 300 000 solcher Haushalte und mehrere Agenturen, die Touren in diese Haushalte anbieten.

Der Job als Tourguide ist perfekt für mich, da ich das Leben als Nomade gut kenne. Ich kann Menschen aus anderen Ländern die nomadische Kultur näher bringen und viel von meiner Kindheit erzählen. Denn ich bin damit aufgewachsen, auf Kamele und Schafe aufzupassen, mehrmals im Jahr umzuziehen und in Jurten zu schlafen. Ich liebe das nomadische Leben und die Natur. 

Der Arbeitsalltag als Nomaden-Tourguide 

Bei manchen Touren bin ich bis zu 21 Tage am Stück mit der Truppe unterwegs. Unsere Kund:innen besprechen die Tour vorher mit unserer Chefin. Es gibt ganz verschiedene Angebote: Besuche bei Nomadenhaushalten in der Wüste Gobi, die Reise zu Rentieren im Norden der Mongolei oder Pferdeausritte. Von den Besuchen in die nomadischen Haushalte profitieren dann auch die Nomaden selbst, denn diese kriegen auch Geld von der Agentur. Die meisten Touren finden im Sommer statt, denn im Winter wird es hier bis zu minus 30 Grad kalt – das ist vielen zu kalt. Bei der Tour selbst sieht jeder Tag anders aus. Wir planen je nach Tour verschiedene Events, es gibt die Möglichkeit, auf Kamelen oder Pferden zu reiten, Sanddünen runter zu rutschen, Dumplings mit einem Nomadenhaushalt zuzubereiten oder wilde Pferde zu beobachten. 

Oft stehen wir früh auf, um den Tag mit der Truppe auszunutzen. Manchmal müssen wir mehrere Stunden Auto fahren, um den Ort zu wechseln oder wir reiten den ganzen Tag durch, wenn die Tour auf Pferden stattfindet. Abends spiele ich oft traditionelle Nomaden-Spiele mit den Tour-Gästen. Wir haben ein paar Würfelspiele, für die wir Knochen aus der Schafswirbelsäule benutzen. Auch das sind traditionelle Spiele, die ich noch aus meiner nomadischen Kindheit kenne.

Die Herausforderung 

Zu meinem Arbeitsalltag zählt auch das Kochen – und das war am Anfang ziemlich schwer. Da wir besonders viele Gäste aus Südkorea haben, musste ich die Gerichte anpassen. Besonders Südkoreaner:innen essen unsere traditionellen mongolischen Gerichte nicht so gerne. Denn diese sind oft mit Schafs- oder auch Kamelfleisch und das hat einen starken Eigengeschmack. Aber ich habe mir schon von einigen Kund:innen koreanische Gerichte beibringen lassen und kann die jetzt auch selbst kochen.

Eine weitere Herausforderung ist das Wetter in der Mongolei. Wir haben zwar kaum Touren im Winter, aber die wenigen, die im Winter stattfinden, sind anstrengend. Ich kann mich noch gut an meine kälteste Nacht erinnern: Ein Niederländer hatte eine Rentier-Tour gebucht und wir haben eine nomadische Familie besucht, die in Tipis schläft und auf ihre Rentiere aufpasst. Wir haben dann auch in einem Tipi geschlafen, ohne Plane auf dem Boden, bei minus 35 Grad. Ich habe in drei Schlafsäcken aus Schafswolle geschlafen und hatte vier wollene Pullover an, und mir war immer noch kalt. Das war das erste Mal, dass mir die Kälte zugesetzt hat.

Die Faszination am Nomadenleben

Am schönsten finde ich an meinem Job, dass ich in der Natur sein kann. Wir Mongol:innen lieben und schätzen die Natur sehr, und das Leben im Einklang mit der Natur ist ein großer Bestandteil unserer Kultur. Viele meiner Kund:innen sind zum Beispiel überrascht, wie viel Fleisch wir essen. Doch zum Nomadentum gehört es, dass wir nur unsere eigenen Kamele, Schafe, Ziegen oder Pferde essen, und wir lieben unsere Tiere auch. Wir achten darauf, dass wir wirklich alles vom Tier verwenden: Wir machen uns Kleidung aus dem Fell, verwerten jegliches Stück Fleisch, achten darauf, die Knochen immer abzunagen, damit wir nichts wegwerfen. Und wir basteln Spiele aus den Knochen. Für Andere mag das befremdlich wirken. Ich finde das aber schön. Die Kamele lassen wir tagsüber laufen und sie kommen von selbst abends zur Jurte zurück. 

Die Anekdote, die ich auf Partys immer erzählen kann 

Ich kann anderen Leuten viele Anekdoten von meinem Job erzählen, denn jede Tour ist einzigartig. Eines meiner verrücktesten Erlebnisse war eine siebentägige Reittour. Ein deutsches Pärchen hatte die Tour gebucht, sie wollten an einen See reiten. Wir waren insgesamt zu fünft: das Paar, zwei Leute für die Pferde und ich. Und dann waren noch acht Pferde dabei. Die Frau konnte sehr gut reiten, doch ihr Mann leider nicht. Es war sein erster längerer Ritt. Letztendlich haben wir es nicht geschafft, an den See zu reiten, weil der Mann nach ein paar Tagen nicht mehr auf einem Pferd sitzen konnte. Er konnte auch nicht mehr laufen, weil seine Beine so geschmerzt haben. Also haben wir langsamer gemacht, damit er sich erholen konnte. Trotzdem hatten wir eine sehr schöne Zeit und das Paar möchte auf jeden Fall noch einmal in die Mongolei kommen. 

Wie viel ich verdiene

Pro Tour-Tag verdiene ich etwa 64 Euro. Dabei bin ich mit meinen Kund:innen Tag und Nacht zusammen. Ich kann nur in den Ferien als Tourguide arbeiten. Die meisten Tourist:innen kommen im Sommer in die Mongolei, das heißt, in den Winterferien finden leider kaum Touren statt. Ein weiteres Problem ist Covid. Ich hatte seit zwei Jahren keine Tour mehr, weil kaum Tourist:innen aus dem Westen kommen. 

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