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1570 Euro brutto für die Erzieherin im Frauenhaus in Teilzeit

Anna studiert Soziale Arbeit und arbeitet nebeher im Frauenhaus.
Foto: Studioline Photography / Illustration: jetzt

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Was ich als Erzieherin im Frauenhaus mache

Ich arbeite in einem Frauenhaus in Remscheid in Nordrhein-Westfalen. In der Einrichtung leben etwa acht Frauen mit ihren Kindern, sofern sie welche haben. Untertags bekommen sie Unterstützung von Sozialarbeiter:innen und Erzieher:innen. Ich betreue die Kinder der gewaltbetroffenen Frauen, während diese mit den Sozialarbeiterinnen einen Beratungstermin haben oder ein therapeutisches Gruppenangebot wahrnehmen. Ich bin auch für Schul- und Kindergartenanmeldungen zuständig. Außerdem mache ich Arzttermine für die Kinder aus und versuche in der Zeit, in der die Frauen mit ihren Kindern bei uns sind, ein Netzwerk für sie aufzubauen. Wenn ein Kind krank wird, helfe ich den Müttern sie zu versorgen oder Arzttermine auszumachen, weil die Frauen oft sehr stark belastet sind und viel mit sich selbst beschäftigt sind. Zudem führe ich Gespräche mit den Müttern dazu, wie sie ihre Kinder erziehen möchten und wie sie ihre Rolle als Mutter wahrnehmen. Ich mache immer nur das, was die Mütter sich wünschen, und nehme den Frauen nicht die Erziehung oder die Verantwortung für ihre Kinder ab. 

Wie ich Erzieherin im Frauenhaus geworden bin

Während meines Studiums der Sozialen Arbeit habe ich mein Praxissemester in einem Frauenhaus verbracht. Eigentlich konnte ich mir nie vorstellen, langfristig in so emotional belastenden Einrichtungen zu arbeiten. Doch die Arbeit hat mich fasziniert und ich bin im Frauenhaus geblieben. Ganz besonders fasziniert mich der riesige Entwicklungsfortschritt, den die Kinder machen, sobald sie in einer gewaltfreien Umgebung leben.

Wie mein Arbeitsalltag aussieht

Das ist jeden Tag unterschiedlich und von den Bedürfnissen der Frauen und der Kinder abhängig. Manchmal habe ich 15 Kinder im Alter von null bis 17 Jahren zu betreuen. Dann versuche ich, dass alle Kinder möglichst friedlich miteinander spielen. Die Jugendlichen in unserer Einrichtung sind wie andere Gleichaltrige schulpflichtig und besuchen bis mittags eine nahegelegene Schule. Für die Hausaufgabenbetreuung sind die Mütter zuständig, sie können sich aber immer mit Fragen oder Anliegen an uns Erzieherinnen wenden. An anderen Tagen habe ich nur drei Kinder in der Einrichtung, dann kann ich die Kinderbetreuung ganz anders gestalten und auf alle Kinder einzeln eingehen. Wenn es die Zeit zulässt, mache ich gerne Ausflüge. Einmal pro Woche fahre ich mit den Kindern in eine Naturschule. Dort geht eine Naturpädagogin zusammen mit mir und den Kindern in den Wald.

Welche Eigenschaften man als Erzieherin im Frauenhaus braucht

Ganz viel Resilienz, um die verschiedenen Lebensgeschichten gut verarbeiten zu können. Bei der Arbeit mit traumatisierten Menschen braucht man viel Empathie und Einfühlungsvermögen. Für die Arbeit mit Kindern finde ich es wichtig, offen zu sein und ihnen jeden Tag aufs Neue mit einem Lächeln zu begegnen. Mein Ziel ist es, den Kindern hier einen sicheren und gemütlichen Ort zum Wohlfühlen zu schaffen. Außerdem braucht man für die Arbeit viel Geduld. Man sollte nicht zu hohe Erwartungen an die Kinder haben. Das Ziel muss sein, die Kinder dabei zu unterstützen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.

Was der Job mit meinem Privatleben macht

Ich bin durch den Job sehr viel sensibler geworden, weil ich hier so viele unterschiedliche Kinder mit den unterschiedlichsten Geschichten und Lebenserfahrungen kennenlerne. In meinem Privatleben bin ich deswegen im Umgang mit Menschen achtsamer. Die Arbeit belastet mich nach Feierabend zum Glück nicht sehr, weil wir in Teamgesprächen die schwierigen Situationen reflektieren. Besonders schwierig ist es, wenn wir sehr belastete und traumatisierte Kinder haben. Ihren Bedürfnissen können wir leider aus zeitlichen Gründen meistens nicht gerecht werden. Dieses ungute Gefühl, nicht ausreichend unterstützen zu können, ist schwer auszuhalten.

Was ich an meinem Job besonders mag

Schön ist es, wenn die Kinder irgendwann ein soziales Netz haben: Wenn die Frauen mit ihren Kindern wieder aus dem Frauenhaus ausziehen und die Kinder zum Beispiel einen Kitaplatz haben, einmal pro Woche zum Sport gehen und ihre Mutter durch eine flexible Erziehungshilfe unterstützt wird. Dann weiß ich: Die Wahrscheinlichkeit, die Kinder wieder hier im Frauenhaus zu treffen, ist sehr gering. Ich habe dann das Gefühl, meine Arbeit gut gemacht zu haben. Sehr schön ist es auch, wenn man von ehemaligen Klientinnen hört, dass sie zum Beispiel eine Ausbildung angefangen oder ihre Kinder aus dem Kinderheim zurückbekommen haben.

Die Herausforderungen in meinem Job

Eine Frau, die sich nicht an die Hausregeln halten kann, muss das Frauenhaus verlassen. Die Katastrophe ist in dem Fall quasi programmiert. Die Frauen gehen dann oft zu dem Gewalttäter zurück, weil sie keine andere Option haben. Das bedeutet für uns, dass wir es nicht geschafft haben, die Frau aus der Gewaltspirale zu befreien. Für uns Mitarbeiterinnen ist das natürlich schlimm. Wir können aber in so einem Fall nichts weiter für die Kinder tun, als das Jugendamt zu informieren.

Vorstellung vs. Realität

Viele Menschen denken, dass es in einem Frauenhaus chaotisch abläuft und die Kinder ziemlich frech sind. Das stimmt so nicht. Klar, in einer Einrichtung mit Menschen, die akut in einer Krise stecken, läuft nicht immer alles nach Plan, weil man die psychische Stabilität der Klientinnen und der Kinder nicht voraussagen kann. Aber ich stelle auch immer wieder fest, wie viele tolle Eigenschaften die Kinder trotz ihrer Vorgeschichte mitbringen. Sie sind zum Teil schon sehr viel selbständiger als andere Kinder in ihrem Alter. Die Kinder müssen hier lernen, mit dem Erlebten umzugehen. Dass das manchmal etwas holprig abläuft, finde ich sehr nachvollziehbar.

Das verdient man als Erzieherin im Frauenhaus

Da ich neben der Arbeit noch studiere, habe ich eine 50-Prozent-Stelle und arbeite 19,5 Stunden pro Woche im Frauenhaus. Für meine Arbeit bekomme ich 1570 Euro brutto im Monat. Ich kann damit überleben, aber zufrieden bin ich nicht. Ich arbeite mit mehrfach traumatisierten Kindern, dafür finde ich mein Gehalt nicht angemessen.

Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird

Da gibt es keine typische Frage, aber alle reagieren immer ziemlich ähnlich auf meinen Beruf: „Oha, krass, da erlebt man mit Sicherheit aber auch viel Schlimmes.“ Viel mehr kommt meist nicht. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen Angst vor dem Thema haben und sich nicht so gerne damit beschäftigen. Selten stellt jemand Nachfragen. Das ist schade, weil viele ein falsches Bild von Frauenhäusern haben. Die meisten Menschen, mit denen ich dann ins Gespräch komme, dachten bisher, Frauenhäuser seien immer eine stationäre Einrichtung mit einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Wir bieten den Frauen aber nur einen Wohnraum mit Beratungsangeboten an. Nach 19 Uhr trifft man in unserem Haus keine Erzieherin oder Sozialarbeiterin mehr an.

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