Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

2700 Euro netto für den Industriekletterer

„Ich wollte schon immer selbständig sein und eine eigene Firma gründen“, sagt Lennard.
Foto: Max Ruploh / Bearbeitung: SZ Jetzt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was ein Industriekletterer macht 

Ich bin als Industriekletterer selbständig und habe vor knapp sieben Jahren meine eigene Firma gegründet. Im Prinzip führe ich handwerkliche Jobs in der Höhe, in der Tiefe oder an anderen Orten aus, die schwer zu erreichen sind. Die Arbeit ist vielfältig: Ich mache beispielsweise Stahlbaumontagen, baue die Leitern bei Windkraftanlagen ein, inspiziere Fassaden oder Brücken oder putze auch mal Fenster, die sonst niemand erreicht. Ich bin als aufsichtsführender Höhenarbeiter geschult, das heißt, ich trage auf einer Baustelle die Verantwortung. Es kommt auch vor, dass ich von anderen Unternehmen genau dafür gebucht werde. Als Selbständiger habe ich auch Büroarbeit zu erledigen, ich bearbeite zum Beispiel Anfragen oder kümmere mich um Steuerunterlagen. Für Anfragen von Unternehmen habe ich einen kleinen Pool an anderen Industriekletterern, die ich für die Aufträge kontaktiere. So buche ich mir für jeden Einsatz ein kleines Team.

Wie der Arbeitsalltag aussieht 

Eigentlich ist jeder Tag unterschiedlich. Oft bin ich unterwegs und schlafe unter der Woche in Hotels. Die einzige Konstante in dem Job ist, dass ich jeden Morgen zuerst auf eine Baustelle fahre – egal von wo. Dort mache ich zuerst eine Gefährdungsermittlung: Ich schaue, was die Risiken bei dem jeweiligen Einsatz sind, und bespreche das mit den anderen Mitarbeitern. Danach klettern wir los und erledigen die jeweiligen Aufträge. Manchmal ist mein Einsatz schon nach zwei Stunden vorbei, er kann aber auch einen ganzen Tag dauern. In der Regel endet mein Tag zwischen 18 oder 19 Uhr, neulich ist es aber auch mal 22 Uhr geworden. Die Büroarbeit erledige ich am Wochenende von zu Hause aus oder am Abend im Hotel.

Wie ich Industriekletterer geworden bin 

Ich wollte schon immer selbständig sein und eine eigene Firma gründen. Das habe ich dann auch mit 25 getan. Zuvor habe ich zwei Ausbildungen gemacht: zum Straßenbauer und zum Wärme-Kälte- und Schallschutzisolierer. Dabei bin ich einmal mit Industriekletterern ins Gespräch gekommen. Was sie erzählt haben, hat mich gepackt. Eine Ausbildung braucht man für den Job nicht, lediglich eine Fortbildung. Für die habe ich mich also direkt angemeldet und daraufhin eine arbeitsmedizinische Untersuchung gemacht. Darin wird geprüft, ob man gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt, was beispielsweise die allgemeine Gesundheit, den Gleichgewichtssinn und das Blickfeld anbelangt. Anschließend muss man noch einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren. Nachdem ich die Fortbildung bestanden hatte, bin ich direkt mit der Bescheinigung zum Gewerbeamt spaziert und habe mein Ein-Mann-Unternehmen gegründet, ohne vorher je wirklich als Industriekletterer gearbeitet zu haben. Das klingt vielleicht etwas riskant, aber ich war mir ziemlich sicher, den Anforderungen in dem Job gerecht zu werden.

Mein schlimmster und schönster Moment in der Höhe

Einen schlimmen Moment habe ich bei einem Auftrag in Österreich im Dezember erlebt. Es war richtig kalt, es hat gewindet und geschneit und wir mussten auf etwa 100 Metern Höhe bei einem Neubau von Windkraftanlagen helfen. Mir sind fast die Hände abgefroren. Es schneite und stürmte extrem und dann wurde es irgendwann auch noch dunkel. Das werde ich nie vergessen. Einen besonders schönen Moment erlebe ich jedes Jahr bei einem Auftrag in Polen. Dort überprüfen wir auf 150 Metern Höhe die Schrauben einer Windkraftanlage. Für diesen Auftrag muss man immer erst einmal 20 Minuten in den Wald reinfahren. Das ist jedes Mal etwas ganz Besonderes: Um einen herum ist nichts und niemand, es herrscht absolute Stille. Wenn man dort bei gutem Wetter über den Baumkronen hängt, alles überblicken kann und einmal kurz innehält, ist das wirklich beeindruckend. 

Welche Eigenschaften man für den Job braucht

Da wir immer mindestens zu zweit arbeiten, braucht es auf jeden Fall Teamgeist. Man muss sich bewusst machen, dass man immer Verantwortung für den anderen mitträgt, und trotzdem eigenverantwortlich sein. Selbstbewusstsein ist auch wichtig, um dem eigenen Können in Extremsituationen zu vertrauen und Ruhe zu bewahren. Zudem ist es von Vorteil, eine gewisse handwerkliche Expertise zu haben, um die Aufgaben auch richtig ausführen zu können.

Welche Frage auf Partys immer gestellt wird

Oft fragen mich die Leute, ob ich bei dem Job nicht Angst hätte. Angst habe ich keine, aber einen gewissen Respekt. Den sollte man auch haben, denn man befindet sich in Extremsituationen: Neulich musste ich zum Beispiel durch eine dunkle Röhre klettern, in die ich gerade so reingepasst habe. Wenn ich da Angst hätte, könnte ich den Job nicht machen. Irgendwann möchte ich mal mit einem Helikopter zu einem Einsatz geflogen werden. Das kann vorkommen, wenn man an einem Ort arbeiten muss, den man sonst nur schwer erreicht.

Wie viel man als Industriekletterer verdient 

Als Angestellter verdient man wie ein ganz normaler Handwerker, also um die 3000 Euro brutto. Wenn man sich selbständig macht, sieht das natürlich anders aus: Bei mir ist es sehr schwierig, einen monatlichen Betrag festzumachen, den ich verdiene. Ich persönlich mache es so, dass ich mir monatlich 2700 Euro netto auszahle. Den übrigen Gewinn stecke ich in die Firma.

  • teilen
  • schließen