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Wenn die Pandemie eine Ausbildung schwierig macht

Philipp Thimm hat seinen vorigen Ausbildungsplatz kurz vor der Abschlussprüfung verloren. Im Albrechtshof hat er einen neuen gefunden.
Foto: Amelie Berboth

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Ein sonniger Tag, Berlin-Mitte, elf Uhr vormittags. In der Restaurantküche des Hotels Albrechtshof steht Azubi Philipp Thimm an einer großen Kochplatte, bekleidet mit weißer Kochjacke, dunkelroter Schürze und der obligatorischen Maske. Kräftig schlägt der 25-Jährige mit dem Schneebesen in einer Schüssel eine gelbe Masse schaumig: Sauce Hollandaise – auf der Karte steht Spargel. Denn es gibt wieder Gäste zu bekochen.

Seit dem 11. Juni dürfen Berliner Hotels alle, nicht nur Geschäftsreisende, beherbergen. Die Sitze im Innenhof des Restaurants sind wieder ohne Tests zugänglich, mit negativen Test darf auch im Innenraum des Restaurants gegessen werden. Ein fast normaler Betrieb. Doch die vergangenen Pandemie-Monate waren für die Hotel- und Gastronomiebranche ziemlich hart, vor allem für die Auszubildenden. Dass Philipp Thimm im ALvis am Herd steht und nicht längst einen anderen Job hat, ist fast schon ein kleines Wunder für ihn. Erst seit April kann er wieder kochen. Davor saß er länger als ein Jahr lang zu Hause rum, erzählt er.

Eigentlich war Philipp als auszubildender Koch in einem Restaurant im Berliner Tiergarten angestellt. Doch dann ging im Februar 2020 die Corona-Pandemie los und damit auch die Spekulationen, ob Restaurants schließen müssen: „Da kam einfach die Kündigung per Brief nach Hause, das wurde auch nicht weiter kommuniziert, mir hatte niemand irgendwas gesagt. Ich glaube, fast die gesamte Belegschaft ist entlassen worden“, erzählt er. Besonders bitter: Es war sein letztes Ausbildungsjahr, die Entlassung kam kurz vor seinen Abschlussprüfungen. Die konnte er dann nicht antreten. „Das war richtig scheiße. Dich stellt ja auch keiner mehr an, den anderen Restaurants geht es ja genauso. Und dann steht man da ohne fertige Ausbildung.“

Philipp musste daraufhin zur Arbeitsgentur gehen. Zunächst sei er noch motiviert gewesen, sich eine neue Stelle zu suchen. Als ihm klar wurde, dass er als auszubildender Koch nichts finden würde, habe er überlegt, als Verkäufer in den Einzelhandel zu gehen, auch wenn ihm das nicht so viel Spaß machen würde. Letztendlich habe er aber auch in dieser Branche keine Stelle gefunden. Da habe er die Motivation komplett verloren: „Man sitzt dann da, weiß halt nicht wohin mit sich und hat auch irgendwann einfach keine Lust mehr. Man hängt dann den ganzen Tag nur noch zu Hause rum. Da fehlt einem irgendwann einfach die Perspektive.“

Der Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge während der Pandemie war im Hotel- und Gastgewerbe am größten

Ähnlich wie Philipp geht und ging es vielen Auszubildenden während der Corona-Pandemie, vor allem im Hotel- und Gastgewerbe und der Veranstaltungs- und Tourismusbranche. In diesen Branchen war der Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit mehr als 40 Prozent am stärksten. Insgesamt 28 Prozent der Betriebe im Gastgewerbe gaben bei Betriebsbefragungen des IAB, des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, im Februar 2021 an, dass sie zukünftig weniger ausbilden können als geplant oder die Ausbildung komplett einstellen. Aus diesem Grund wurde im vergangenen Herbst das Sofortprogramm „Ausbildungshotel“ von der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, dem Hotel- und Gaststättenverband Berlin und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ins Leben gerufen, finanziert mit 2,7 Millionen Euro des Senats. Ziel des Programms ist es, Plätze zu schaffen für Auszubildende, die aufgefangen werden müssen. Ursprünglich war die Idee, coronabedingt gekündigte Auszubildenden ans Ausbildungshotel zu vermitteln.

„Inzwischen ist es so, dass auch Auszubildende teilnehmen können, die noch einen Ausbildungsplatz in ihrem Betrieb haben, aber dort pandemiebedingt nicht richtig ausgebildet werden können oder die auch sehr viel verpasst haben“, erklärt Ulla Bünde von der Bildungseinrichtung kiezküchen, Projektleiterin für das Ausbildungshotel am Standort Albrechtshof. In Berlin haben zwei Hotels, das Hotel Abacus Tierpark und der Albrechtshof, bisher insgesamt 50 Auszubildende übergangsweise aufgenommen – sozusagen als Pop-up-Ausbildungshotel. Die Auszubildenden können hier ihre Ausbildung fortsetzen, bis die Branche genug Kapazitäten hat, um sie wieder weiter auszubilden. Sie werden auf die Prüfungen vorbereitet, die ja weiterlaufen und können, wie im Fall von Philipp Thimm, die Ausbildung auch beenden. 

„Es ist unsere gesellschaftliche Verantwortung, dass wir weiter ausbilden“, sagt der Empfangschef und Ausbilder des Albrechtshofs

Trotz des zusätzlichen Aufwandes, den die Aufnahme von externen Auszubildenden mit sich bringt, beteilige das Hotel Albrechtshof sich gerne an dem Projekt, erzählt Eric Krause, Empfangschef und Ausbilder für die Hotelfachleute: „Es ist auch unsere gesellschaftliche Verantwortung, dass wir weiter ausbilden und das auch in Zukunft nicht einschränken.“ Auch weil dem Hotel als Unternehmen der Berliner Stadtmission, einem christlichen Verein für soziale Großstadtarbeit, und als Mitglied im Verband Christlicher Hoteliers soziales Engagement wichtig sei.

„Wir haben schon letztes Jahr im März, als das alles losging, gesagt: Keine Angst, wir schmeißen keine Azubis raus und wir setzen keinen Azubi auf Kurzarbeit“, ergänzt Ausbildungsleiterin Anne Kahlich. Stattdessen schickte das Hotel die eigenen Facharbeiter*innen in Kurzarbeit. „Aber das schätzen die Azubis auch wirklich wert“, so Anne Kahlich. Das war vor allem deshalb möglich, da das Hotel durch die Zuschüsse vom Senat eine finanzielle Sicherheit hatte. Das Hotel musste während der Coronapandemie nicht schließen, beherbergte Geschäftsreisende und die Ausbildung konnte weitergehen. Sowohl für die eigenen Auszubildenden, als auch die betriebsexterne Auszubildenden vom Programm Ausbildungshotel. Aber natürlich lief auch im Hotel Albrechtshof die Ausbildung während Corona nicht unter gewöhnlichen Umständen ab. 

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Wo im Hotel eigentlich volles Haus ist, war es wegen den Pandemie leer in den vergangenen Monaten.

Foto: Amelie Berboth
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Foto: Amelie Berboth
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Foto: Amelie Berboth
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Foto: Amelie Berboth
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Foto: Amelie Berboth

Sieben Veranstaltungsräume gibt es im Hotel Albrechtshof, im größten ist Platz für 65 Leute. Normalerweise sind die immer ausgebucht, zum Beispiel für Tagungen. Von 98 Zimmern sind momentan im Durchschnitt vielleicht acht belegt. „Normalerweise sind wir immer sehr, sehr gut gebucht. In unserem Haus ist immer viel zu tun, das ist jetzt natürlich relativ eingeschränkt gewesen“, sagt Eric Krause. Durch die besondere Situation bleibe so zwar viel Zeit, um die Azubis in Ruhe einzuarbeiten. Doch einige Aspekte gingen auch unter, erzählen Eric Krause und Anne Kahlich. Schließlich fehle mit den Gästen auch die Praxis zum Üben, genauso wie die Hektik, die die Arbeit im Restaurant und Hotelbetrieb normalerweise präge.

Das sieht auch Küchenchef Wolfgang Kanow so, der sich um Philipps Ausbildung kümmert. Normalerweise wird in seiner Küche mit regionalen Zutaten frisch à la carte gekocht, für Hotel- und Restaurantgäste wie auch für große Veranstaltungen im Haus, außerdem gibt es einen eigenen Catering-Service. Mit Corona fiel das alles weg. Für die Hotelgäste wurde im Restaurant zwar weiterhin gekocht und es gab einen Lieferservice, aber laut Kanow könne man „den Stress und die Fähigkeit zur Stressresistenz so nicht vermitteln.“ Und der gehöre nunmal zur Arbeit in der Küche dazu. Durch das eingeschränkte Angebot seien zudem viele spannende Gerichte und damit verbundene Aufgaben weggefallen. Es sei daher sehr schwierig gewesen, den Auszubildenden die Begeisterung für den Kochberuf zu vermitteln und sie zu motivieren.

Bei Philipp Thimm war das zum Glück anders: „Hier habe ich direkt von Tag Eins gemerkt: Die Arbeit als Koch ist absolut meins. Ich bin direkt wieder reingekommen. Also ich freue mich absolut.“ Er sei einfach nur erleichtert gewesen über die Chance, seine Ausbildung zu beenden. Als er die Zusage vom Ausbildungshotel bekam, sei das ein befreiendes Gefühl gewesen: „Ich hatte Lust wieder zu arbeiten. Es ist schrecklich, wenn du keinen Sinn hast. Zwei Wochen zu Hause rumsitzen ist ja schön und gut. Aber wenn ein Monat, zwei Monate, drei Monate vergehen, dann kriegst du irgendwann so eine matschige Birne.“ 

Azubis aus dem Hotel- und Gastgewerbe haben sich während der Pandemie in andere Branchen umorientiert

Doch die Nachfrage nach Plätzen im Programm Ausbildungshotel ist im Moment niedriger als von den Initiator*innen erwartet. Nicht alle Auszubildenden wollen die Chance, die das Programm Ausbildungshotel bietet, nutzen. Anfang Juni waren 35 mögliche Plätze nicht in Anspruch genommen. „Es ist nicht gefragt. Die Azubis sagen, das Geld reicht doch, ich bleibe lieber auf Kurzarbeit, mache die Berufsschule so ein bisschen nebenher und dann schaue ich mal“, so der Eindruck von Anne Kahlich.

Einige Azubis aus dem Hotel- und Gastgewerbe hätten sich laut Ulla Bünde während der Pandemie aus dem Wunsch nach mehr Sicherheit heraus auch in andere Branchen umorientiert. Oder aber aus Not, weil das Kurzarbeitergeld nicht ausgereicht habe. Aber auch die Betriebe seien nun, da die Corona-Lage sich verbessert, verunsichert, was das Programm „Ausbildungshotel“ angeht, so Ulla Bünde: „Jetzt sind die Unternehmen so ein bisschen in Erwartung der Öffnungen und machen sich Sorgen. Sie fragen sich: Wenn ich die Azubis jetzt in das Ausbildungshotel schicke, wann kriege ich sie dann wieder?“

Der Mangel an Auszubildenden sowohl in der Hotelbranche und Gastronomie als auch in anderen Bereichen ist nicht neu. Schon vor Corona gab es Nachwuchsmangel, der hat sich nun allerdings nochmal verschärft. Von Oktober 2020 bis Februar 2021 meldeten sich bei den Arbeitsagenturen  40 000 Bewerberinnen und Bewerber weniger als im Vorjahreszeitraum für eine Ausbildungsstelle. Insgesamt waren 37 000 weniger Ausbildungsstellen als im Vorjahr gemeldet. Zum einen ist es durch die Pandemie schwieriger, die Ausbildung aufrecht zu erhalten. Zum anderen hätten viele junge Leute erst gar keine Ausbildung begonnen sondern gingen nun doch länger zur Schule, meint Anne Kahlich. Oder sie entscheiden sich für eine sicherere Branche.

„Tatsächlich deutet es sich so ein bisschen auch unter den Schülern und Schülerinnen oder denen, die normalerweise jetzt einen Ausbildungsplatz suchen würden, an, dass das Gastgewerbe nicht so hoch im Kurs steht, weil immer noch diese Unsicherheit darüber schwebt“, sagt Ulla Bünde. Hinzu kommen in der Gastronomiebranche generell auch die für viele unattraktiven Arbeitszeiten sowie die im Verhältnis dazu geringen Löhne. „Doch auch die Tarifvergütungen in der Gastronomie sind im Vergleich zu anderen Branchen sehr niedrig“, so Ulla Bünde.

Der Mangel verstärke sich auch dadurch, dass wegen der Pandemie zukünftig mehrere Ausbildungsjahrgänge fehlen werden, da viele Betriebe zu den üblichen Zeiten im Frühjahr und Sommer niemanden eingestellt haben oder die Verträge während der Probezeit wieder aufgelöst wurden. Das wieder aufzufangen, werde eine langfristige Aufgabe der Hotelbetriebe bleiben.

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