Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Frauen, lernt endlich, zu verhandeln!

Photo: marshi / photocase.de

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Es gibt Dinge, auf die kann man sich verlassen, auch wenn die Welt um einen herum explodiert. Zum Beispiel, dass Frauenmagazine gebetsmühlenartig jedes Jahr folgende Themen wiederholen: Im Januar sagen sie den Weihnachtspfunden den Kampf an. Im Februar bereiten sie die Leserinnen mental auf den Frühling und die Mythen der damit untrennbar verbundenen Gefühle vor. Und im März monieren sie anlässlich des Equal Pay Days, dass Männer immer noch mehr verdienen als Kolleginnen in vergleichbaren Positionen.

Ich weiß, wovon ich rede, ich arbeite als freie Journalistin oft und auch gerne für Frauenmagazine. Und ich kriege das kalte Kotzen, wenn ich sehe, dass dieses Thema jedes Jahr wiederkehrt, weil es immer noch nicht an Aktualität verloren hat. Im Schnitt verdienen Frauen im Moment circa 21 Prozent weniger als Männer.

Der ätzendste aller Gründe, weil er selbst verschuldet ist: Frauen verhandeln einfach scheiße!

Woran das liegt? Bevor ich lospoltere, erstmal ein paar gesellschaftliche Gründe: Frauen arbeiten viel öfter in Sozialberufen. Die werden grundsätzlich schlechter bezahlt als geiler Kapitalismus-Support. Wissen wir alle: Banker, Unternehmensberater — ich fasse sie mal zusammen als ‚Business-Kasper’ — fahren besseres Gehalt ein als Altenpfleger, Erzieher oder Streetworker. Dann kommt das Ausbildungsproblem. Frauen zwischen 25 und 35 sind heute meist besser ausgebildet als Männer. Hurra. Aber: Frauen ab 40 eben nicht und das sind die, die eher in Entscheiderpositionen arbeiten. Und natürlich last but not least: Erst vor kurzem hat der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wieder kleinlaut festgestellt, dass immer noch mehr Frauen als Männer in eine Babypause gehen oder sich um pflegebedürftige Verwandte kümmern. So, und jetzt darf ich mich endlich ganz persönlich aufregen. Trommelwirbel, bitte, hier kommt der ätzendste aller Gründe, weil er selbst verschuldet ist: Frauen verhandeln einfach scheiße!

Ich bin das beste Beispiel. Mein 23-jähriges Ich hat damals so verhandelt: „Hey, jetzt, wo ich den Text abgegeben habe, wollte ich noch kurz fragen, wie viel Honorar es eigentlich gibt.“ Antwort: „Du, wir haben echt ein total knappes Budget, mehr als 80 Euro sind leider nicht drin.“ Ich: „Okay, cool, danke, dass ihr an mich gedacht habt!“ Ende.

Wir halten fest: Alles falsch gemacht. Ich habe erst nach dem Honorar gefragt, nachdem ich geliefert hatte. Und mich dann mit dem zufrieden gegeben, was geboten wurde. Fehlte nur noch, dass ich einen Kuchen gebacken und dem Redakteur aus Dankbarkeit, dass ich für ihn arbeiten durfte, vorbeigebracht hätte. "Frauen arbeiten oft mehr und bekommen dafür weniger", sagte Familienministerin Katarina Barley der SZ in diesem Interview. "Bei der Verteilung von Belastungen und Chancen zwischen den Geschlechtern geht es in unserer Gesellschaft immer noch ungerecht zu."

Demut, Loyalität, Empathie, Kooperationswille — das sind alles Attribute, die Frauen zugeschrieben und eben auch anerzogen werden. Die BWL-Professorin Isabell Welpe der TU München hält diese Eigenschaften sogar für kulturübergreifend, also kein rein deutsches Problem, sondern ein weltweites. Frauen, nein, die hauen nicht auf die Kacke, wenn sie etwas wollen. Die erreichen ihre Ziele mit ausgefuchsten Strategien und freundlicher Zu-Arbeit, aber nicht, indem sie auf etwas bestehen oder es gar einfordern. So wurde ich als Kind und Jugendliche geprägt, so werden auch heute noch trotz aller feministischen Anstrengung die meisten Mädchen konditioniert.

Über Jahre habe ich mich mit Friss-oder-Stirb-Honoraren durchlaviert

Über Jahre habe ich mich mit Friss-oder-Stirb-Honoraren durchlaviert. Auch bei Festanstellungen schluckte ich anstandslos Bezahl-Ultimaten: „Das ist unser einziges Angebot. Wir hätten dich gern in unserem Team, aber mehr als 2,5 brutto monatlich sind nicht drin.“ Dieses ‚Mehr ist nicht drin‘ war die konstante Basis meines Kontoeinganges. Da half es auch nichts, dass ich selbst genau zu diesem Thema Artikel schrieb und Experten interviewte, wie man als Frau besser verhandelt. Den simpelsten Ratschlag traute sich nämlich offenbar keiner zu sagen: Frag doch einfach nach mehr! Und zwar immer!

Auf den ersten Blick ein riskanter Ratschlag, denn es gibt Studien, die ganz klar zeigen, dass Frauen, die zu hart verhandeln, seltener eingestellt werden. Das wird als Verbissenheit gewertet, bei Männern als Führungskompetenz. Oder wie Hildegard Knef einmal sagte: „Brüllt ein Mann, ist er dynamisch, brüllt eine Frau, ist sie hysterisch.“ Dann also lieber klein beigeben, damit man einen Job überhaupt bekommt? Aber will man einen Job haben, bei dem man verarscht wird? Ich nicht.

Nach mehr Geld fragen. Wie unangenehm. Das fühlt sich undankbar an, fast schmutzig. Frauen verkennen oft auch, dass die Bezahlung nichts mit ihrem Selbstwert zu tun hat, sondern mit ihrer Leistung. Wer sich klein und inkompetent fühlt, hält eben mal lieber die Füße still. Kein Tadel ist ja auch schon Lob und so. Frauen zweifeln an sich — von morgens bis abends. An die wenigen, die das nicht tun: Glückwunsch!

Von all den Frauen, die ich beauftragte, fragte mich eine einzige nach mehr Geld. Traurig, oder?

Meine Rettung waren zwei Jahre, die ich bei einem Männermagazin arbeitete. Der Ton war rauer, die Konflikte aber wesentlich sachlicher und kürzer — und eigentlich feierten die Typen sich wegen jedem Scheiß selbst. Ein Verhalten, dass Frauen immer noch völlig fremd ist. Manchmal wartete ich darauf, dass einer von den Redakteuren grölend im Flur auf die Knie fiel und sich das T-Shirt wie ein Fußballtrikot über den Kopf riss und auf seine Brust klopfte. Einfach nur, weil er erfolgreich eine Kopie gemacht hatte. Olééé!

Das waren gute Zeiten. Fast befreiende Zeiten. Auch weil ich plötzlich auf der anderen Seite saß. Jetzt verhandelten Autoren ihr Honorar mit mir und nicht andersrum. Bestürzend dabei war vor allem: Von zehn männlichen Autoren fragten neun automatisch nach mehr Geld. Und zwar in dem Moment, in dem sie den Auftrag erhielten. Von all den Frauen, die ich in der Zeit beauftragte, fragte mich eine einzige. Traurig, oder?

Allein, weil ich von ihrem Mut beeindruckt war, gab ich ihr mehr, als sie gefordert hatte. Bis heute zahle ich Autorinnen anstandslos ein höheres Honorar, sobald sie danach fragen. Und zwar nach Möglichkeit genau die Summe, die sie gefordert haben. Bei Männern habe ich da noch einen Rest Basar-Mentalität behalten und versuche mich irgendwo in der Mitte zu treffen. Frauen möchte ich damit zeigen, dass sie sehr wohl das bekommen, was sie wollen, wenn sie nur den Mund aufmachen. Das mag von außen nach küchenpsychologischer Pädagogik aussehen, aber ich bin davon überzeugt, dass eine bestimmte Summe an positiven Erlebnissen dazu führt, dass dieses devote Verhalten von innen heraus zerstört wird.

Eigentlich ist immer ‚mehr drin‘

Denn eigentlich ist immer ‚mehr drin‘. Jeder Auftraggeber hat ein bisschen Spielraum, egal in welcher Branche. Männern ist das klar, Frauen backen lieber blind Dankbarkeitskuchen. Immer noch haben wir verinnerlicht, dass es sich nicht ziemt, Forderungen zu stellen. Parallel erwarten wir aber eigentlich von den Männern, dass sie uns als gleichwertige Partner sehen sollen. Ja, wie denn, wenn wir nicht aus diesen Rollen ausbrechen? Oder immer wieder in sie zurückfallen. Oder noch schlimmer: Wenn wir uns zurückdrücken lassen von Chefs (und Chefinnen), denen es gerade Recht kommt, dass Frauen immer noch so oft so unsicher auftreten, sobald es um Macht und Geld geht. 

Seit meiner Zeit bei diesem Männermagazin frage ich konsequent und ohne Ausnahme bei jedem Auftrag nach mehr Geld. Immer. Ich schwöre, noch nie hat mir mein Gegenüber die Honorarerhöhung abgeschlagen. Die Erfolgsquote liegt bei 100 Prozent. Und unangenehm berührt war auch keiner. Ein bisschen kommt es mir so vor, als wäre die Forderung nach mehr Geld ein Muskel, den wir Frauen nie trainiert haben. Als müsste man einfach nur ein paar Runden regelmäßig laufen, damit man nicht mehr mit rotem Kopf und Atemnot ankommt, nur weil man mal ein paar Treppen hoch muss. Durch meine Arbeit als Freelancerin bin ich gezwungen, jede Woche mehrmals zu verhandeln. Mir ist schon klar, dass jemand, der von einer Festanstellung in die nächste möchte, darin weniger Übung hat. Dann muss man eben mangelnde Routine mit Mut kompensieren. Das geht. Ist aber eine echte Überwindung.

Wir Frauen tragen eine Verantwortung für zukünftige Generationen. Wir müssen gute Vorbilder sein, damit dieses Sich-nicht-verarschen-lassen für unsere Töchter möglichst schnell selbstverständlich wird. Und der Equal Pay Day irgendwann ein Frauenmagazin-Mythos wie die easy-Methoden gegen die Weihnachtspfunde.

Anm. d. Redaktion: Zum ersten Mal erschien dieser Text am 28.07.2017 im Themen-Schwerpunkt „Was wir verdienen“. Am 17. Juni 2020 haben wir ihn noch einmal aktualisiert veröffentlicht.

  • teilen
  • schließen