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0 bis 30 000 Euro brutto für den Zauberer

Foto: Jean-Ferry / Bearbeitung: jetzt

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Der Job

Zauberei ist viel mehr, als nur auf einer Bühne aufzutreten. Man überlegt sich Kunststücke, muss sich Tricks ausdenken. Ich bin Bastler und habe eine Werkstatt, in der ich drechsle, löte, klebe und meine Utensilien selbst baue. Für die Auftritte muss ich auch Musik raussuchen und Texte schreiben. Ich probe und arbeite mit einem Regisseur zusammen, um meine Nummern abzurunden. Dazu kommt alles, was man als Selbstständiger zu tun hat: an Kund*innen kommen, mit den Theatern in Kontakt treten, Verträge abschließen und sich um die Buchhaltung kümmern.

Vorstellung vs. Realität

Früher dachte ich, es ginge mehr ums Zaubern, weniger ums Geschäft. Bei meinen ersten Zaubershows als Teenager sah das Programm jedes Mal verschieden aus. Heute ist das anders: Meine Online-Show habe ich jetzt mehr als 100 Mal vorgeführt. Die habe ich mir einmal ausgedacht und nicht mehr verändert, denn alle neuen Ideen kommen in eine neue Show. Im Varieté habe ich vor Corona in vier Monaten 150 Mal die gleiche Show aufgeführt; teilweise sogar drei Mal an einem Tag. Natürlich passiert Spontanes und das ist, wie der Auftritt selbst, sehr schön. Trotzdem ist Zaubern letzten Endes wie jeden Tag ins Büro zu gehen, bloß gehe ich auf die Bühne.

Der Alltag

Wenn ich auf Tour bin, fahre ich quer durch Deutschland zu einem Auftritt. Im Theater habe ich etwa eine Stunde, um auf der Bühne auszupacken. Mit dem*r Techniker*in gehe ich meine Show durch und richte beim Soundcheck den Ton, die Musik und das Licht ein.

Dann gehe ich backstage, ziehe mich um und schminke mich. In guten Häusern kriege ich währenddessen ein kleines Abendessen. Ich mache zwei Stunden Programm. Anschließend verabschiede ich das Publikum im Foyer und packe alles wieder ein. Ich mache die Abrechnung mit dem*r Theaterchef*in und fahre zum Hotel, wo ich normalerweise direkt einschlafe.

Als Künstler in der Pandemie

Da die Theater wegen der Pandemie geschlossen sind, zaubere ich jetzt fast täglich im Internet. Die Technik dafür, also eine Kamera und das Licht, hatte ich schon. In meinem Arbeitsraum streame ich meine Shows über Zoom-Meetings. Ich bin quasi mein eigenes Theater und muss mich deswegen selbst um alles kümmern, was früher das Theater gemacht hat. Dazu zählen Werbung machen, Tickets verkaufen und die Technik während der Vorstellungen bedienen. Tagsüber beschäftige ich mich viel mit der Buchhaltung, abends zaubere ich dann digital. Finanziell funktioniert das zwar sehr gut, trotzdem freue ich mich riesig, wenn die Theater wieder öffnen.

Der Weg

Begonnen hat alles mit einem gebrauchten Zauberkasten unter dem Weihnachtsbaum als ich sechs Jahre alt war. Auf Geburtstagsfeiern im Familienkreis habe ich die Tricks vorgeführt. Irgendwann waren es Veranstaltungen von Leuten, die ich nicht mehr persönlich kannte. So konnte ich schon als Jugendlicher mit der Zauberei nebenher ganz gut Geld verdienen. Mit 16 Jahren bin ich in den Magischen Zirkel von Deutschland, eine Vereinigung von Zauberkünstler*innen, aufgenommen worden. Nach der Schule habe ich noch eine Berufsausbildung zum Grafiker gemacht und in diesem Job gearbeitet. Nebenher habe ich immer mehr gezaubert, bei Wettbewerben mitgemacht und bei der deutschen Meisterschaft den ersten Platz geholt. Das war dann der Punkt, an dem ich an Theaterauftritte gekommen bin und den Schritt vom Grafiker zum Berufszauberer gewagt habe.

Die Selbstständigkeit

Ich liebe die Selbstständigkeit, denn ich bin mein eigener Chef. Wenn ich mehr arbeite, verdiene ich mehr und habe auch mehr Erfolg. Das habe ich bei meinem früheren Beruf vermisst. Nur als die Corona-Krise begonnen hat, wäre ich gerne angestellt gewesen, um eine gewisse finanzielle Sicherheit zu haben.

Das Gehalt

Es gibt Monate, vor allem im Sommer, da habe ich mal keine Auftritte und verdiene nichts. Und dann gibt es einen Monat, da arbeite ich viel im Varieté und habe noch einige Firmenauftritte nebenher. Dann verdiene ich 30 000 Euro brutto. Wie ein Maler den Wert seines Bildes bestimmt, so bestimme ich den Wert meiner Shows. Dabei sind die Gagen je nach Auftrittsform sehr unterschiedlich. In einem kleinen Theater, in dem 60 Leute sitzen, die 15 Euro Eintritt gezahlt haben, sind diese Eintrittsgelder meine Gage, die ich noch mit dem Theater teilen muss. Wenn mich eine Firma für einen Auftritt oder eine Moderation bei ihrer Firmenfeier anfragt, fängt meine Gage in der Regel bei 2800 Euro an.

Die Herausforderung

Es gibt Theaterbesucher*innen, die wegen mir kommen und mir gespannt zuschauen. Das ist das tollere Publikum. Dann gibt es Events, für die ich nur gebucht werde, weil mein Titel im Programm gut klingt. Da sind Leute, die keine Ahnung haben, wer ich bin und sich erst einmal nicht für mich interessieren. Manchmal sitzen sie an runden Tischen mit dem Rücken zu mir und gucken mich nicht an, während ich zaubere. Trotzdem ist es mein Job, die Gäste zu unterhalten. Das ist zwar viel schwieriger, macht es für mich aber auch sehr spannend. Dazu kommt: Wenn ich auf der Bühne stehe, mache ich mich angreifbar. Was ich sage und präsentiere, wird sehr oft kritisiert; sowohl im persönlichen Gespräch danach als auch per E-Mail. Manche sagen etwa, sie hätten erkannt, wie ich ein Tuch verschwinden lassen habe. Das muss man auf Dauer ertragen können und nicht zu ernst nehmen.

Die Frage auf der Party

Wenn ich Leute kennenlerne, sage ich natürlich, dass ich Zauberer bin. Wenn ich es niemandem erzähle, bucht mich keiner. Aber in der nächsten halben Stunde muss ich in der Regel alles dazu erzählen. Die Standardreaktion ist natürlich: Zeig‘ mal einen Trick. Da kommt es sehr auf meine Laune an. Wenn es eine coole Runde ist und ich Lust habe, zeige ich einen. Wenn nicht, verweise ich auf meine Vorstellungen.

Das Schönste am Beruf

Obwohl ich Zauberer bin und mein Publikum täusche, habe ich einen sehr ehrlichen Beruf. Ich sage den Leuten, ich werde sie betrügen, sie wollen es auch und kommen ins Theater. Es macht mir Spaß, die Leute zu unterhalten und für die schönen Momente im Leben zuständig zu sein.

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