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Die Serie „Abgenabelt“ soll den Alltag einer jungen Hebamme zeigen

Paula Kroh wird Laura spielen, eine Hebammenstudentin und alleinerziehende Mutter. Paula hat aus zweiter Hand Erfahrung mit dem Job: Ihre Mutter ist Hebamme.
Foto: Deutsche Hebammenhilfe e.V.

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Manchmal bräuchte Jessica sechs Hände, acht wären sogar noch besser. Denn bei einem Dienst im Kreißsaal, wenn ein Kind geboren wird, passiert so vieles gleichzeitig, dass sie kaum hinterherkommt. Zum Glück gibt es aber auch immer erfahrene Hebammen, die ihr helfen und kleine, scheinbar banale Tipps geben. Zum Beispiel: „Jessica, leg das Handtuch gleich rechts neben dich, dann kommst du schneller dran.“ Seit sie das weiß, geht es mit zwei Händen schon ein bisschen besser.

Jessica Breninek, 29, ist Hebammenstudentin im dritten Jahr und steht kurz vorm Examen. Die Anekdote mit dem Handtuch, aber auch die vielen anderen kleinen Aha-Erlebnisse, die sie in den vergangenen Jahren hatte, werden womöglich bald Teil einer Serie sein: Der Verein „Deutsche Hebammenhilfe e.V.“ hat ein Crowdfunding gestartet, um „Abgenabelt“ zu produzieren, vier Folgen über den Alltag der fiktiven Hebammenstudentin Laura. In das Drehbuch, an dem unter anderem Giulia Becker vom „Neo Magazin Royale“ und die Poetry Slammerin Ninia LaGrande mitarbeiten, sollen die Geschichten und das Detailwissen der vielen jungen Hebammen einfließen, die Mitglieder im Verein sind.

„Wir alle kennen das Hollywood-Gedöns“, sagt Julia Henning, Vorstandsmitglied der Deutschen Hebammenhilfe, und meint damit die Geburten, die uns in Hochglanz-Filmen präsentiert werden. „Da sieht man immer eine Frau in Rückenlage, die drei Mal presst, und schon kommt ein Kind raus. Und dabei ist sie auch noch super gestylt.“ Diesem Bild wollen sie mit der Serie etwas entgegensetzen. Zwar ohne dokumentarisches Material, aber mit nachgestellten Geburten, die zeigen, was im Kreißsaal in Wirklichkeit passiert: Frauen, die aufstehen und herumlaufen, sich an die Wand stützen, die im Hocken, im Stehen, auf allen Vieren oder in einer Wanne gebären. Gleichzeitig wolle man schwangeren Frauen Mut machen, dass ihr Körper das meiste schon von alleine richtig machen werde, sagt Julia Henning. Und nicht zuletzt soll „Abgenabelt“ auch das Ansehen des Hebammen-Berufs verbessern und junge Menschen dafür gewinnen. 

Um die Produktion finanzieren zu können, will die Deutsche Hebammenhilfe bis Anfang Juni 12 000 Euro Spenden einsammeln, fast die Hälfte haben sie nach knapp drei Wochen schon erreicht (Stand 05. Mai, 10:30 Uhr). Von dieser Summe könnten die Gagen der Mitwirkenden gezahlt werden – übrigens fast ausschließlich Frauen, von den Autorinnen über die Kamerafrau bis zur Oberbeleuchterin. Das zweite Funding-Ziel von 20 000 Euro würde dann auch die restlichen Produktionskosten decken. 

Der kleine Verein hat sich also ziemlich viel vorgenommen. Er wurde 2017 gegründet und stellt seitdem für Interessierte und Hebammen Infos zu Ausbildung und Studium zusammen, gibt Bewerbungstipps, vernetzt Hebammen und Kliniken und bietet auf Instagram und Youtube Einblicke in den Berufsalltag. Die heute etwa 100 Mitglieder sind hauptsächlich Hebammenschülerinnen und -studentinnen, aber auch erfahrene Hebammen – und Eltern. Vorstandsmitglied Julia Henning zum Beispiel ist selbst keine Hebamme, aber Mutter. „Wir haben den Verein damals aus Dankbarkeit gegründet, weil wir wissen, wie wichtig es ist, bei der Geburt und im Wochenbett begleitet und unterstützt zu werden“, sagt sie. „Und wir finden, dass dieser Beruf, der seit Jahren in der Krise ist, unterschätzt wird.“

In Deutschland betreut eine Hebamme etwa 120 Geburten pro Jahr – in Norwegen sind es nicht mal halb so viele

Diese Krise ist für werdende Mütter spürbar: Eine Hebamme betreut in Deutschland etwa 120 Geburten pro Jahr, in Norwegen sind es nicht mal halb so viele. Vor allem in deutschen Großstädten finden Frauen darum oft keine Betreuung mehr. Hinzu kommen die  Belastung durch den hohen bürokratischen Aufwand, die hierzulande sehr teure Haftpflichtversicherung, und ein Gehalt, das sich nach Abschluss der Ausbildung zwischen 2000 und 2800 Euro bewegt. Das ist nicht sehr viel für einen fachlich, physisch und psychisch anspruchsvollen Job, der zudem hohe Flexibilität erfordert.

Fachverbände wie der Deutsche Hebammenverband begrüßen darum die Ausbildungsreform, die vergangenes Jahr vom Bundesrat beschlossen wurde: Seit Januar 2020 ist das Studium für Hebammen verpflichtend (die laufenden Ausbildungen an den 62 deutschen Hebammenschulen können aber natürlich noch abgeschlossen werden). Damit ist Deutschland das letzte EU-Land, das den Beruf der Hebamme akademisiert hat. Viele hoffen, dass sich Ansehen und Bezahlung dadurch verbessern. Zudem haben die Hebammen mit einem Studium bessere Karrierechancen, weil sie zum Beispiel auch im Ausland arbeiten können.

Auch die Hebammenstudentin Jessica hofft durch die Reform auf Besserungen. Aber allein eine geänderte Ausbildung wird nicht alle Probleme beheben. Sie wünscht sich zum Beispiel auch, dass der Beruf familienfreundlicher wird und etwa die Schichtdienste in Klinken so geregelt werden, dass auch noch Zeit für die Familie bleibt. Jessica selbst hat zwei Kinder und merkt, wie schwierig es ist, alles unter einen Hut zu bringen. „Manchmal ist es wirklich eine Zerreißprobe, wenn du dich so sehr über das freust, was du im Job machst, aber gleichzeitig daheim deine Kinder weinen, weil sie dich vermissen.“ Mittlerweile seien ihre beiden aber groß genug, um zu verstehen, was sie den ganzen Tag oder auch mal in der Nacht macht. „Und dann sagen sie manchmal: Ich freue mich, wenn du Babys auf die Welt bringst!“

In das Drehbuch von „Abgenabelt“ fließen die persönlichen Erfahrungen junger Hebammen ein

In der Protagonistin von „Abgenabelt“, sollen sich all diese persönlichen Anekdoten junger Hebammen, ihre Hochs und Tiefs des Alltags verdichten: Laura ist eine junge Frau, die sich gerade auf das Hebammenexamen vorbereitet und nebenher als alleinerziehende Mutter für ihren kleinen Sohn sorgt. Gespielt wird sie von der 24-jährigen Paula Kroh, die auch schon im „Tatort“ mitgewirkt hat – und deren Mutter ebenfalls Hebamme ist.

„Sie hat immer viel mit Müttern telefoniert, die Hilfe brauchten, und ich hörte dann als Kind Sätze wie: ,Mach Quark auf die Nippel!’“, sagt Paula am Telefon und lacht. Gerade ist sie für erste „Abgenabelt“-Probeaufnahmen im Studio in Berlin. „Mich macht es heute noch glücklich, wenn meine Mutter von ihrem Job erzählt und ich mitkriege, wie sie darin aufgeht. Und von meinen Erfahrungen mit ihr kann ich auf jeden Fall für meine Rolle profitieren, weil ich den Alltag einer Hebamme gut einschätzen kann.“ An der Figur Laura gefalle ihr besonders, dass sie ihren Beruf so sehr liebt und es für sie darum außer Frage steht, ihn aufzugeben. Obwohl er ihr so viel abverlange.

Jessica, die „echte“ Hebammenstudentin, sieht das ähnlich. „Das ist ein ultrakreativer, abwechslungsreicher Beruf, man erlebt jeden Tag was anderes“, sagt sie. „Und es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass man Mutter und Kind bei ihrem gemeinsamen Start helfen kann.“ Von der Serie erhofft sie sich vor allem, dass sie authentisch wird. Dass sie also zeigt, wie unterschiedlich Geburten laufen können. Und wie wichtig es sein kann, das Handtuch auf der richtigen Seite liegen zu haben.

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