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Woher kommt der Hass auf Influencer*innen?

Illustration: Julia Schubert, Foto: Photocase

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Niemanden kann man leichter hassen als Influencer*innen. Allein schon ihr Job: Sie posten und posieren aus Eitelkeit und für die Bestätigung von Fremden! Damit sind sie ganz offensichtlich den Menschen in der realen Welt moralisch unterlegen, oder? Unter anderem deswegen lieben wir es auch, wenn Influencer*innen scheitern. Freuen uns, wenn wir erfahren, dass ihr Leben doch nicht so perfekt ist, wie es auf den Bildern scheint, sondern alles nur gestellt ist und dass auch ihr Kaffee kalt wird, wenn sie zu lange versuchen, ihn in das richtige Fotolicht zu rücken. Influencer*innen sind das neue Hassobjekt im Netz: Sie gelten als faul, egoistisch, selbstverliebt und oberflächlich.

Manchmal wird dieser Hass auch richtig heftig. Nämlich dann, wenn er in Form von Gewalt aus dem Internet hinaus in die echte Welt getragen wird. Im März dieses Jahres haben sich beispielsweise die verfeindeten Youtuber ThatsBekir und Bahar Al Amood mit rund 400 ihrer Follower*innen auf dem Berliner Alexanderplatz verabredet. Das Ganze endete in einer Massenschlägerei. Aber auch wenn es online und bei einem sogenannten „Shitstorm“ bleibt, kann das sehr krass und für Influencer*innen psychisch belastend sein. Aber muss das wirklich sein? Warum sind wir so streng? Woher kommt dieser Hass auf Influencer*innen?

Annekathrin Kohout von der Forschungsstelle „Populäre Kulturen“ der Universität Siegen sagt, dass der Hass auf Influencer*innen der klassischen Kultur- und Konsumkritik sehr ähnlich sei: „Was online gezeigt wird – so der gängige Vorwurf –, gilt als oberflächlich, banal und nur Schein. Influencer*innen erschaffen natürlich auch nur eine Illusion davon, wie schön ihr Leben ist. Wenn dann herauskommt, dass es nicht so ist, fühlen sich die Zuschauer*innen getäuscht.“

„Das Internet hilft dabei, den Hass auf Influencer*innen großflächig zu streuen“

Man könnte meinen, das mit der Illusion wäre ein Abmachung, mit der man sich beim Betreten der sozialen Medien einverstanden erklärt und an der auch nicht zu rütteln ist: Das alles hier ist unecht. Fake. Not real! Und dennoch scheint dieser Deal nicht zu funktionieren. Influencer*innen zeichnen das Bild eines sorglosen Alltags und die Zuschauer*innen halten

das in ihrem eigenen, weniger schönen Leben kaum aus und machen den Influencer*innen dann ihres mit Hasskommentaren zur Hölle.

„Ein Teil des Hasses beruht auch einfach auf der Aversion gegenüber dem Klischee: Weil Influencer*innen im Allgemeinen einen schlechten Ruf haben, stimmen viele in den Chor der Kritiker*innen mit ein – ohne den Hass zu reflektieren“, sagt Kohout. Deswegen lieben wir auch alles, aus dem wir herauslesen können, dass Influencer*innen Fehler machen und dass auch ihre Realität nicht perfekt ist: Wir freuen uns, wenn sie den doppelten Preis für eine Eiskugel bezahlen müssen, regen uns auf, wenn sie bei ihren Fotosessions die Umwelt zerstören, oder glauben, sie hätten es nicht anders verdient, wenn sie auf einer angeblich kostenlosen Reise verarscht werden. Auch bei jetzt werden Geschichten über Influencer*innen-Hass viel gelesen.

Influencer*innen sind dabei ein leichtes Ziel. Zum einen, weil es so verdammt einfach ist, ihre Arbeit nicht als solche wahrzunehmen. Zum anderen, weil das Internet dabei hilft, den Hass auf sie großflächig zu streuen: Man kann sie in den Kommentarspalten aufs Übelste beschimpfen – ohne sich mit einem Klarnamen erkennbar zu machen, geschweige denn, die Kritik in irgendeiner Form begründen oder rechtfertigen zu müssen. Diejenigen, die sich entschieden haben, Influencer*innen zu hassen, schreiben dann Dinge wie „Influencer sind das Produkt eine degenerierten Menschheit“ oder „die modernen Nutten der Gesellschaft“ in das Internet. Darauf lässt sich dann als Influencer*in kaum etwas antworten – hauptsächlich, weil es so wahnsinnig viele Kommentare sind. Aber auch, weil sie ja niemand gezwungen hat, online zu sein. Offenheit macht eben auch angreifbar.

Ein anderer Grund, warum gehasst wird: Influencer*innen würden für das viele Geld, das sie verdienen, nicht vernünftig arbeiten, sondern einfach nur Produkte in die Kamera halten und verlogene Kaufempfehlungen geben. In Wahrheit seien sie faule Schmarotzer, weil sie beispielsweise ihr stinkiges Badewasser für horrende Preise verkaufen oder um Spenden betteln, um ihren Lifestyle zu finanzieren. Nicht selten verbindet sich diese Kritik mit der Aufforderung von Leser*innen, sie sollten sich doch gefälligst mal einen „vernünftigen Job“ suchen.

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Annekathrin Kohout glaubt nicht, dass der Hass auf Influencer*innen von Dauer sein wird.

Foto: privat

Für Annekathrin Kohout ist das kein spezifisches Influencer*innen-Phänomen, sondern Kritik an der Werbung an sich: „Mittlerweile haben sich Instagram als Medium und die Influencer*innen so professionalisiert, dass sie auf gleiche Weise wie klassische Plakat- oder Fernsehwerbung funktionieren und zu beurteilen sind.“ Davon seien die Zuschauer*innen genervt – so wie sie es von anderer Werbung eben auch sind. Aber das ist nicht alles: „Mit Sicherheit hat diese Haltung auch mit Motiven wie Neid oder Missgunst zu tun“, sagt Kohout. „Wenn man behauptet, Influencer*innen würden nicht richtig arbeiten, sagt man im Umkehrschluss auch, wie viel härter und ehrlicher der eigene Job ist.“ Am Ende gehe es darum, sich selbst aufzuwerten.

Für Kohout ist der Hass auf Influencer*innen nur ein Übergangsphänomen

Aber auch, wenn sie keine Werbung sind, werden die Posts der Influencer*innen oft kritisiert: Sie seien irrelevant und nicht tiefgründig genug. Influencer*innen würden ihre Macht nicht sinnvoll nutzen, beziehungsweise nicht verantwortungsvoll mit ihrer extremen Aufmerksamkeit und Followerschaft umgehen. Was aber auch auffällt, wenn man sich die Kommentare online ansieht, ist, dass sie meist von älteren Menschen sind. Ist der Hass auf Influencer*innen einfach nur Teil des Generationenkonflikts zwischen denjenigen, die sich in der digitalen Welt so mühelos fortbewegen, weil sie nie etwas anderen kennengelernt haben und denjenigen, die das Internet einfach nicht verstehen (wollen)?

„Die Generation, die mit den sozialen Medien aufgewachsen ist, hat eine viel stärkere Sensibilität dafür, was Werbung ist und was nicht. Sie gestalten ganz bewusst ihren Feed und damit auch ihre eigene Werbeumwelt“, sagt Kohout. Während sich also andere noch online aufregen und hassen, werden junge Menschen aktiv, gehen mit den Herausforderungen des digitalen „schönen Scheins“ ganz selbstverständlich um und nutzen ihn so, wie es für sie am besten ist. „Für viele Jugendliche sind Influencer*innen ihre größten Idole – für sie sind diese Inhalte relevant“, sagt Annekathrin Kohout. Auch das Berufsziel Influencer*in sei unter jungen Menschen sehr beliebt.

Für Kohout ist der Hass auf Influencer*innen daher auch nur ein Übergangsphänomen: „Mit der Zeit wird das Bewusstsein wachsen, dass Influencer*in ein Beruf ist, den man nicht nur lernen kann, sondern in dem man sich auch professionalisieren kann.“ Der Hass wird also von alleine aussterben – spätestens dann, wenn Influencer*in ein Job wie Bürokauffrau oder Marketing Manager geworden ist.

(Dieser Text ist in inhaltlicher Zusammenarbeit mit Die Frage entstanden, einem Format von funk.)

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