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„Über unglückliche Mütter muss viel mehr gesprochen werden“

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Vater + Mutter = Kind – das war einmal. Heute ist die Frage nach der Familienplanung hochpolitisch. Will man überhaupt welche? Was bedeutet das für die Beziehung? Und wenn man sich dafür entscheidet – geht das dann so einfach? In dieser Kolumne erzählen Menschen von ihrer Entscheidung für und gegen Kinder. 

Erik*, 33, hat zwei Kinder (5 und 3) mit seiner Ex-Frau, die am Borderline-Syndrom erkrankt ist. Dadurch sieht er sich in der Mutterrolle gefangen.

Meine Ex-Frau hat Borderline und ist eine extrem unglückliche, überforderte Mutter. Wir teilen uns zwar das Sorgerecht, aber ich bin Hauptansprechpartner für meine Kinder. Das hat dazu geführt, dass ich die klassische „Mutterrolle“ übernehme. Sie kommen mit emotionalen Problemen zu mir und wissen, dass ich immer für sie da bin.

Meine Ex-Frau genießt die Aufmerksamkeit in der Schwangerschaft, kann aber mit der Verantwortung, die nach der Geburt kommt, nicht umgehen. Je nachdem, wie ihre Laune ist, geht es den Kindern besser oder schlechter. Das sind die Züge von Borderline: Es gibt nur Extreme. Sie ist meist total ruppig und hektisch, das tut den Kindern nicht gut. Wenn sie mit unseren Kindern in den Urlaub fährt, ruft sie mich an, wenn sie überfordert ist wenn sie schreien. Auch wenn sie vor der Trennung alleine mit den Kindern zu Hause war und ich bei der Arbeit, rief sie mich an: „Du musst jetzt sofort kommen!“ Meine Ex ist extrem unsicher und versucht das durch ihre herrische Art zu kompensieren. Mich hat sie während unserer Beziehung total klein gemacht und systematisch mein Selbstbewusstsein zerstört. Ich weiß, wie schädigend es sein kann, mit ihr unter einem Dach zu leben. Davor muss ich meine Kinder schützen.

Ich musste die Mutterrolle notgedrungen übernehmen

 

Meine Ex-Frau ist sehr streng. Sie sagt: „Die Kinder brauchen Disziplin“ und ich sage: „Die Kinder brauchen Liebe und Zuwendung!“ Wenn sie bei mir im Bett schlafen wollen, dürfen sie das. Meine Ex-Frau versteht zum Beispiel nicht, warum ein Kind in letzter Zeit sehr liebesbedürftig ist. Ich sag dann: „Vielleicht, weil die Geburt des Geschwisterchens ansteht?“ Sie hört gar nicht auf mich. Aber wie soll sie auch etwas geben können, das sie in ihrer Kindheit selbst nicht bekommen hat? Sie ist Scheidungskind und nennt ihren Vater nur „Erzeuger“. Als sie ihrer Mutter von unserer Scheidung erzählte, sagte die: „Hätte ich gewusst, was alles kommen wird, hätte ich nie Kinder gekriegt.“

Ich musste die Mutterrolle also notgedrungen übernehmen. Nur mit mir kann unsere Tochter zum Beispiel darüber reden, dass sie sich für die Trennung verantwortlich fühlt. Mir geht es darum, dass die Kinder so wenig Narben von der Trennung haben, wie möglich und als Erwachsene die Chance auf eine gesunde Beziehung haben. Typische „Vatersachen“ mache ich kaum. Ich kümmere mich mehr, bestärke meine Kinder auf einer hohen emotionalen Ebene. Ich empfinde es schwer, den Kindern ein für mich gesundes Männerbild vorzuleben, da ich in so in die behütende und umsorgende Mutterrolle schlüpfe.

Männer haben oft das Problem, Gefühle zu zeigen oder über sie reden zu können. Deshalb hab ich mir die Frage gestellt: Bin ich weniger männlich als die anderen? Ich glaube, dass Männer und Frauen immer mehr voneinander übernehmen und wir als Gesellschaft androgyner werden – und ich weiß nicht, ob das besser oder schlechter ist als früher. Trotzdem finde ich es manchmal schade, dass ich durch die Persönlichkeit der Mutter meine männliche Seite nicht so ausleben kann. Ich finde es schön, wenn die Mutter die Wurzeln gibt und der Vater die Flügel.

Mütter können es keinem recht machen

Ich finde, über unglückliche Mütter muss viel mehr gesprochen werden. Es gibt eine völlig überzogene Erwartung an Mütter, perfekt sein zu müssen. Wie soll eine Frau bitte arbeiten, ein Kind großziehen, den Haushalt machen und sexy sein? Dieses Ideal ist immer noch da. Für mich ist das absurd: Als Vater, der gerade mal ein bisschen mehr macht, als der Durchschnittsmann, werde ich von meinem Umfeld respektiert und gelobt. Viele Frauen sagen sowas wie: „Toll, wie gelassen du mit den Kindern umgehst!“ Aber würde eine Mutter genau dasselbe machen, wie ich, würde sie dafür vermutlich kritisiert. Mütter können es keinem Recht machen. Am wenigsten einander. Die Anfeindungen unter Müttern sind heftig. Ich finde, das ist ein kulturelles Problem: Im Deutschen gibt es den Ausdruck „Rabenmutter“ – den gibt es nirgendwo sonst. „Rabenvater“ gibt es nicht. Dabei gibt es so viele Typen, die einfach abhauen. Aber das wird als normal aufgefasst.

Als meine Ex-Frau ausfiel und ich kurzfristig zu meinen Kindern musste, sagte mein Chef: „Das geht nicht!“ Ich hab ihn angeguckt und gesagt, er könne mich mal. Chefs haben noch nicht kapiert, dass sich auch Männer, nicht nur Frauen, um Kinder kümmern. Und zwar auch Führungskräfte. Wichtig für ein Umdenken wäre, dass es mehr machen. Warum es den Gender Pay Gap gibt, ist auch klar: Wenn ich einen frisch verheirateten Mann um die Dreißig einstelle, kriegt er das Kind? Nee, das macht seine Frau. Wenn die Kinder krank sind, geht natürlich auch die Frau.

Ein Kind ist ein Vollzeitjob

Evolutionär ist es gar nicht normal, dass ein Mann oder eine Frau ein Kind erzieht. Man braucht ein Dorf! Ein Kind ist ein Vollzeitjob, mehr als jeder andere. Du hast keinen Arbeitsbeginn und Arbeitsende. Das ist eine riesige Verantwortung und Dienst für die Gesellschaft. Bevor man als Paar ein Kind bekommt, muss man gemeinsam darüber reden, warum man das Kind will. Es darf nicht darum gehen, Erwartungen ins Kind zu legen, egal welcher Art. Sei es, gesellschaftlichem Druck zu weichen oder die Beziehung retten zu wollen. Man muss sagen können: „Unser Leben ist schön und wir möchten es gerne mit einem weiteren Wesen teilen.“

Meine Ex-Frau hat sofort nach der Trennung einen neuen Partner gefunden und war zwei Monate nach der Trennung wieder schwanger. Ich wünsche ihr wirklich, dass sie dieses Mal das Glück findet, dass sie sich wünscht. Für mich war die Trennung jedenfalls das Beste, was passieren konnte. Viele psychosomatische Beschwerden und auch mein Übergewicht sind weg. Nach der Trennung habe ich fast 30 Kilo abgenommen.

Ich liebe meine Kinder und würde alles für sie tun. Aber ich habe auch gelernt, daß ich Liebe und Glück in mir finden muss – mit mir im reinen sein - um wirklich so für die Kinder da zu sein, wie sie es brauchen. Und ich hoffe, daß ich so irgendwann einmal eine vitale Partnerschaft führen darf.

*Name von der Redaktion geändert.

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