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Wie es ist, als Erwachsene den eigenen Vater kennenzulernen

Foto: Hella Wittenberg

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Auf Twitter und Instagram ist sie schon längst eine Berühmtheit: Ilona Hartmann. Die freie Autorin und Texterin haut in den sozialen Netzwerken in erstaunlicher Frequenz Qualitäts-Gags an Tausende Follower*innen raus. Nun hat die 29-jährige Wahl-Berlinerin ihren ersten Roman veröffentlicht. Er heißt „Land in Sicht“ und erzählt die Geschichte von Jana, die ihren Vater nie kennengelernt hat. Eines Tages entdeckt sie seinen Namen in einem alten Notizbuch ihrer Mutter und findet durch eine kurze Internetrecherche heraus, dass er als Kapitän eines Flusskreuzfahrtschiffes arbeitet. Um ihren Vater zu treffen, mischt sie sich unter die Passagiere einer Passau-Wien-Passau-Schiffsreise.

„Land in Sicht“ ist nicht nur ein lustig-ergreifender Familienroman, sondern erzählt zum Teil auch Ilona Hartmanns Biografie: Auch sie selbst lernte ihren Vater spät kennen – auf ähnliche Weise. Uns hat sie erzählt, wie sie ihre eigene Geschichte in ihren Roman einfließen ließ und wie die Arbeit daran ihren Blick auf Familienmodelle geprägt hat.

jetzt: In einem Interview mit dem Tagesspiegel hast du kürzlich erzählt, dass dein Vater ebenfalls kurz vor deiner Geburt verschwunden ist. Inwiefern hat es dir geholfen, deine Erfahrungen in einem Roman zu verarbeiten?

Ilona Hartmann: Das hat total geholfen, weil es eine Distanz schafft. Ich hätte das Buch natürlich auch als Ich-Erzählerin erzählen können und die Protagonistin heißt Ilona Hartmann. Das habe ich aber bewusst nicht gemacht. Die Fiktionalisierung hat mir zum einen erlaubt, dass die Geschichte mehr Tempo bekommt, weil eben alles, was in acht Tagen auf diesem Schiff passiert, eine schlüssige, gut lesbare Erzählung ist, wohingegen sich meine private Geschichte über mehrere Jahre erstreckt. Ich habe die Geschichte an den Stellen mit persönlichen Erfahrungen bereichert, wo ich sie relevant fand. Aber ich fühle mich immer noch gut geschützt. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mein Innerstes nach außen gekehrt und mich komplett ausgezogen habe.

Wie kam es dazu, dass du das Buch ausgerechnet auf einem Passau-Wien-Passau-Kreuzfahrtschiff hast spielen lassen? Schon mal selbst ausprobiert?

Das ist der wahre Teil der Geschichte! Ich habe diese Reise tatsächlich gemacht. Mein Vater hat zur damaligen Zeit auf einem dieser Schiffe gearbeitet und wir haben uns in dieser fürchterlich bedeutungsschweren Stadt Passau, wo mehrere Flüsse ineinanderfließen und alles so grenzwertig kitschig ist, zum ersten Mal getroffen. Daraus ergab sich dann doch eine relativ unkitschige, erwachsene Annäherung. Dieses Setting des Schiffes war für mich zunächst interessant, weil ich das nicht kannte und weil ich es spannend fand, meinen Vater bei der Arbeit zu besuchen. Später habe ich festgestellt, dass das auch für das Buch sehr gut funktioniert. Durch die räumliche Begrenzung hat es etwas Kammerspiel-artiges – die Hauptfiguren können sich nicht einfach aus dem Weg gehen. Und es erhöht natürlich die Absurdität der ohnehin schon absurden Situation den fremden Mann zu treffen, der der eigene Vater ist.

Kurz vor der Veröffentlichung hast du dich bei Twitter gefragt, wie du deinen 25 000 „gag-geilen Followern“ beibringen sollst, dass dein Buch „nicht primär lustig“ ist. Bei den meisten bist du eher für deine Witze bekannt. Wie schwer war es nun für dich, eine dramatischere Thematik in Romanform zu behandeln?

Das war für mich nicht schwierig; der Spagat ist mir erst hinterher aufgefallen. Ich mache Twitter schon ganz lange und es ist für mich normal, dass ich da lustig bin. Den Roman habe ich so geschrieben, wie er sein musste, nämlich als eine Mischung aus schwer und leicht, melancholisch und sanft, ehrlich und gleichzeitig persönlich. Als ich dann den Roman fertig hatte, habe ich noch mal abgeglichen, woher mich die Leute eigentlich kennen und worauf sie am meisten Bezug nehmen, nämlich auf meinen Humor. Da ist mir erst aufgefallen, dass ich kein richtig witziges Buch geschrieben habe. Es gibt witzige Stellen und es hat auch einen süffisanten Unterton. In der Arbeit selbst war es aber keine Hürde. Eher im Marketing danach.

In dem Buch widmest du dich einem klassischen Literaturplot, nämlich einer Vater-Tochter-Beziehung. Warum war es dir wichtig, nicht bierernst an die Thematik ranzugehen?

Es war insofern wichtig, weil Humor für mich selber einfach eine gute Strategie ist, mit herausfordernden Situationen umzugehen. Es hat mir auch bei meiner Beziehung zu meinem eigenen Vater geholfen, einfach um mich daran zu erinnern, wie schräg das ist, was wir hier gerade machen. Ich habe dieses Jahr einen schönen Begriff gelernt, der heißt Ambiguitätstoleranz. Damit ist die Fähigkeit gemeint, widersprüchliche Gefühle, Meinungen oder Zustände auszuhalten. Und ich finde, Humor oder zumindest eine humorvolle Distanz, macht das sehr viel einfacher.

In deinem Buch geht es auch viel um die Perspektive alleinerziehender Mütter. Du schreibst beispielsweise, dass sie auch die „männlichen“ Aufgaben im Alltag erledigen und sowieso den Laden alleine schmeißen. Wieso werden alleinerziehende Mütter trotzdem von der Gesellschaft meist mitleidig angeschaut?

Es herrscht einfach immer noch die Vorherrschaft der monogamen Zweierbeziehung als das große Ideal, wie man am besten zu leben hat. Das hat immer noch das meiste Ansehen. Ich glaube, dass umgekehrt Alleinerziehende mehr für sich einstehen und auf sich aufmerksam machen würden, wenn sie die Zeit und die Kraft dazu hätten. Es kommt mir von außen vor wie eine Art selbsterhaltendes System im negativen Sinne, weil die Energie fehlt, um darauf hinzuweisen, wie viel man gerade leistet und dass man eigentlich mehr Unterstützung bräuchte.

Warum, denkst du, hält die Gesellschaft so zwanghaft am Konzept der Kernfamilie aus Vater-Mutter-Kind fest?

Es ist ja zum einen ein patriarchales Konzept, das die Erblinie erhält, genau wie Monogamie auch ein solches ist. Solange wir in diesen Strukturen leben, wird das eine Hoheit über andere Konzepte haben. Da wird aktuell viel diskutiert und kritisch reflektiert, aber ich sehe nicht, dass da innerhalb der nächsten fünf Monate der große Knall passiert und alle auf einmal sagen, dass alle Familienformen gleichwertig sind. Solche lang gewachsenen Lebensmodelle diversifizieren sich eher langsam, es braucht Zeit und vielleicht auch Geschichten wie meine, um mehr möglich zu machen.

Hast du durch das Buch auch nochmal einen anderen Blick auf die Eltern-Kind-Konstellation bekommen?

Auf jeden Fall habe ich extremen Respekt für alleinerziehende Mütter und Väter.

Für die Protagonistin in deinem Buch war der wichtigste Mann in ihrer Kindheit der Busfahrer. Das ist ja auch ein Indiz dafür, dass man sich die männliche Bezugsperson auch außerhalb der Familie suchen kann.

Das ist auch nochmal ein schöner Vergleich für die Vaterfigur als Ermöglicher. Väter, das sind dem Klischee nach die Typen, die einem im eigenen Betrieb das Praktikum besorgen, dir das Fußballtraining bezahlen – die Dinge ermöglichen. Und im Fall von Jana war das eben der Busfahrer, der den Bewegungsradius in ihrem eigenen Leben zumindest ein wenig vergrößert hat.

Der „wichtigste Mann im Leben“ im Leben eines Kindes kann also auch derjenige sein, der einen in die Schule fährt.

Ja, oder der zumindest die sichtbarste Verbesserung mitbringt.

Was hast du beim Schreiben des Buches über deine eigene Identität gelernt?

Meine Identität war vorher auch schon da und vollständig. Der Vater hat nicht zur Komplettierung gefehlt. Aber mein Narrativ durch das Aufschreiben in die eigene Hand zu nehmen, das war wichtig.

Wie ist heute die Beziehung zu deinem Vater? Hat er das Buch gelesen?

Statt über meine eigene Geschichte möchte ich lieber, dass über die Geschichte von Jana und ihrem Vater Milan geredet wird – die ist auch ein bisschen spannender als die Realität.

Der Roman „Land in Sicht“ ist im Juli bei Blumenbar erschienen. Die Autorin Ilona Hartmann ist auf Twitter (@zirkuspony) sowie Instagram (@ilona_hartmann) zu finden.

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