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Was macht ein Schwangerschaftsabbruch mit einer Beziehung?

Illustration: Julia Schubert

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Als Sophie* das positive Ergebnis des Schwangerschaftstests bekam, fühlte sie sich wie benommen. Denn mit einer Schwangerschaft hatte die damals 37-Jährige nicht gerechnet. Ihr Partner Jonas* war zehn Jahre älter als sie, kam aus einer langjährigen Ehe und hatte drei erwachsene Kinder. Sie selbst befand sich im Zweitstudium und setzte sich seit einiger Zeit damit auseinander, vermutlich nicht mehr Mutter zu werden. Als Sophie Jonas von der Schwangerschaft erzählte, stand für ihn fest: Das Kind möchte er nicht behalten. Sophie ging es anders.

Jährlich werden in Deutschland etwa 100 000 Schwangerschaftsabbrüche registriert, am häufigsten bei Frauen zwischen 18 und 30 Jahren. Mehr als die Hälfte der betroffenen Frauen sind unverheiratet. Laut einer Studie, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2012 durchgeführt hat, brachen etwa ein Drittel der 335 befragten Frauen ihre Schwangerschaft unter anderem deswegen ab, weil sie sich in einer „schwierigen Partnerschaftssituation“ befanden. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass bei zwei Dritteln die Partnerschaft keine negative Rolle bei der Entscheidung spielte. 

„Meiner Erfahrung nach werden Schwangerschaftsabbrüche tendenziell von Männern gewünscht“, sagt Tirza Schmidt. Die 34-Jährige ist Hebamme und Heilpraktikerin (Psychotherapie), sie begleitet Frauen und Männer im Zuge eines Schwangerschaftsabbruchs therapeutisch in der VillaVie Bochum – einem eigenständiges Projekt des Sozialwerks der Credo Kirche Wuppertal. Sie denkt, dass Männer eine Schwangerschaft häufig schwerer greifen können. „Frauen hingegen spüren sie am eigenen Körper und bauen dadurch eine emotionale Bindung zu dem Kind auf.“

„Ich verlor die Energie, die ich gebraucht hätte, um für mich und mein Kind zu kämpfen“

So ging es auch Sophie. Doch wenn sie versuchte, mit Jonas über die Möglichkeiten zu sprechen, blockte er ab oder wurde wütend. „Ich fühlte mich alleine“, erinnert sie sich. „Durch die ständigen erfolglosen Diskussionen verlor ich die Energie, die ich gebraucht hätte, um für mich und mein Kind zu kämpfen.“ Da Sophie intuitiv gespürt hatte, dass sie schwanger war, befand sie sich zum Zeitpunkt des Schwangerschaftstests erst in der zweiten Schwangerschaftswoche. Sie wusste: Sobald das Herz des Kindes in der fünften Woche anfängt zu schlagen, behält sie es. Sie hatte also nicht viel Zeit.

„Es kommt gelegentlich vor, dass ein Mann seine Partnerin aktiv unter Druck setzt, die Schwangerschaft abzubrechen – das ist laut Strafgesetzbuch verboten“, erklärt Heike Pinne, die seit 20 Jahren als Schwangerschaftsberaterin tätig ist und mittlerweile die „pro familia“-Beratungsstellen in Offenbach und Dietzenbach leitet. Häufiger sei es, dass der Mann sagt, dass er selbst das Kind nicht bekommen möchte und damit die Partnerschaft auf dem Spiel steht. „Damit stehen die Frauen vor der Frage, ob sie mit der Austragung der Schwangerschaft alleinerziehend sein werden – ein Risiko, vor dem viele Frauen Angst haben.“

Als auch eine „pro familia“-Beraterin äußerte, dass es für Sophie eventuell kein guter Zeitpunkt sei, um das Kind zu bekommen, war das für sie ein weiterer Schlag. Ihre Kraft schwand. „Jemand hätte den Mut haben müssen, mir zu sagen: ,Ich glaube, du möchtest dieses Kind haben‘“, sagt Sophie. „Das hat aber niemand.“ Sie machte einen Termin für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch aus – eine Erfahrung, die sie traumatisierte. „Es ist furchtbar, sein Kind in die Toilette zu bluten. In dem Moment wusste ich: Die Beziehung ist vorbei“, erzählt Sophie.

Obwohl sie sich von Jonas unter Druck gesetzt und im Stich gelassen fühlte, hat Sophie das Gefühl, dass die Situation ihm nicht egal war – auch wenn er es nicht zeigen konnte. „Ich glaube, dass seine Sprachlosigkeit ein Zeichen dafür war, wie hilflos er sich fühlte“, sagt sie. Heute ist der Abbruch etwa zwei Jahre her, Jonas verweigert Sophie seitdem jeglichen Kontakt. Sie selbst sprach mit Freund*innen darüber, ließ sich therapeutisch begleiten und verarbeitet das Erlebnis immer noch. 

Als Timothy vom Schwangerschaftsabbruch seiner Freundin erfuhr, fiel er in ein Loch

Auch Timothy hatte lange mit dem Schwangerschaftsabbruch seiner Freundin Lisa* zu kämpfen. „Wir befanden uns zwar noch im Studium, aber es war uns sehr ernst miteinander“, erzählt er. „Wir planten sogar, zu heiraten und eine Familie zu gründen.“ Plötzlich verließ Lisa die Stadt, drei Monate lang hörte er nichts von ihr. Bis sie ihn anrief und sagte: „Du warst gerade drei Monate lang Vater.“ Zum Zeitpunkt des Anrufs hatte sie die Schwangerschaft bereits abgebrochen.

Lisa sagte, sie habe durch die Schwangerschaft realisiert, dass sie doch keine Kinder mit Timothy bekommen wollte. Die Beziehung war damit vorbei. Der 20-Jährige fiel in ein Loch. „All meine Kraft verschwand und ich wurde depressiv“, erzählt er. Er verschanzte sich zu Hause, ging nicht mehr zu seinen Kursen, seine Noten wurden immer schlechter. „Ich schämte mich dafür, dass ich zurückgewiesen worden war. Mir wurde einfach die Entscheidung genommen.“

Pinne erklärt, dass eine ungewollte Schwangerschaft für Männer besonders dann schwer sei, wenn sie das Gefühl hätten, kein Mitspracherecht zu haben. „Im Falle einer Schwangerschaft sind Männer der Entscheidung der Frau ausgeliefert“, sagt sie. „Wenn ein Mann Vater werden möchte und seine Partnerin die Schwangerschaft abbricht, ist er mit der eigenen Hilf- und Machtlosigkeit konfrontiert und trauert eventuell sehr.“

„Mein einziger Gedanke war: Wie mache ich das so schnell wie möglich ungeschehen?“

Auch Timothy belastete es sehr, dass Lisa nicht mit ihm über den Schwangerschaftsabbruch gesprochen hatte. „Ich fragte mich ständig, was ich hätte ändern können, hätte sie mir erlaubt, für sie da zu sein“, erzählt er. Erst vier Jahre später fing er an, die Erfahrung zu verarbeiten, unter anderem in einer Beratungsgruppe für Menschen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchgemacht haben. Dass er dort endlich erfahren konnte, wie es Frauen in der Situation geht, half ihm. „Sie erzählten, dass sie ihr ungeborenes Kind liebten, obwohl sie sich gegen es entschieden hatten“, sagt Timothy. „Der Gedanke, dass es Lisa auch so ging, tat mir gut.“

Für Leslie war die Situation einfacher. Sie war 22, als sie unerwarteterweise schwanger wurde. Mit ihrem damaligen Freund war sie erst seit drei Monaten zusammen, die beiden sahen sich hauptsächlich auf Partys und am Wochenende. „Als ich erfuhr, dass ich schwanger war, war ich in der neunten Woche“, erzählt Leslie. „Das Kind zu behalten, war für mich keine Option. Mein einziger Gedanke war: Wie mache ich das so schnell wie möglich ungeschehen?“

Von der Schwangerschaft erzählte Leslie ihrem Freund erst nach dem Beratungsgespräch, auch er war für den Abbruch. „Unsere Zukunftsplanung war zu dem Zeitpunkt total offen“, erzählt sie. „In dem Alter hätte ein Kind nicht in mein Leben gepasst. Ich glaube, in der Situation kann eine Schwangerschaft schlimmere Auswirkungen haben als ihr Abbruch.“ Leslie und ihr Freund blieben danach noch ein paar Monate zusammen, der Schwangerschaftsabbruch kam nicht mehr zur Sprache. „Für uns beide war das überhaupt keine Belastung“, erzählt sie.

Ob und wie es nach einem Schwangerschaftsabbruch mit der Beziehung weitergeht, hängt laut Pinne vor allem davon ab, wie stabil die Partnerschaft im Vorfeld war. „Ist die Beziehung vorbelastet, kann ein Schwangerschaftsabbruch eine weitere Belastung darstellen“, erklärt sie. „Wenn die Beziehung stabil ist und die Entscheidung zum Abbruch einvernehmlich war, ist das meistens nicht der Fall.“ Außerdem stelle die Geburt eines Kindes immer auch eine Belastung für die Beziehung dar – eine, die bewältigt werden kann, wenn der Wille dazu da ist. „Die Gründe, eine Schwangerschaft abzubrechen, sind vielfältig“, sagt Pinne. „Es ist selten so, dass Paare nur auf die Beziehung fokussiert ihre Entscheidung treffen. Aber die Partnerschaft ist immer ein wichtiger Faktor.“

*Die Betroffenen möchten anonym bleiben, ihre Namen wurden von der Redaktion geändert. Aufgrund mehrerer, aus unserer Sicht berechtigter Hinweise zur Neutralität des Textes wurde er zudem im Januar 2020 überarbeitet.

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