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Warum man als Paar weiter wie in einer WG wohnen sollte

Man muss ja nicht gleich ALLES teilen, nur weil man zusammengezogen ist.
Illustration: Julia Schubert

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Zieht man mit Partner oder Partnerin zusammen, scheint klar, dass man alles miteinander teilt. Die Playstation, das viel zu knappe Eisfach, die Kleiderstange, das Lavendel-Duschgel, sogar die geliebte Kuscheldecke im gemeinsamen Bett. Alles, was nicht die Bedürfnisse von beiden erfüllt, landet auf dem Sperrmüll oder in der dunkelsten Ecke des Kellers. Immer. Auch, wenn man die Hantelbank eigentlich ziemlich praktisch fand. Man trennt sich davon, weil man das beim Zusammenziehen nun mal so macht.

Aber wieso eigentlich? Warum ist es für uns selbstverständlich, plötzlich jedes Fleckchen in der Wohnung zu teilen – obwohl wir es im Elternhaus oder der WG ganz anders erlebt haben? Wieso geben wir das plötzlich auf, obwohl wir vor nicht allzu langer Zeit froh waren, ein eigenes Zimmer für uns zu haben? 

Mein Partner und ich finden diese Konvention absurd. Und machten daher zur Bedingung für unser Zusammenziehen, dass wir nicht jeden Millimeter der Wohnung teilen werden. Doch was für uns gut klingt, finden Freund*innen und Arbeitskolleg*innen mäßig bis katastrophal. 

„Wer sich ein eigenes Zimmer einrichtet, ist ziemlich dekadent und egoistisch!“

Wir bekamen also Gegenargumente zu hören, wie: „Wer sich ein eigenes Zimmer einrichtet, ist ziemlich dekadent und egoistisch! Den Teil der Miete könnte man auch in gemeinsamen Urlaub und somit in die Bindung investieren!“ Oder: „Wenn es mal Streit gibt, stellt man sich dem Problem nicht, sondern verkriecht sich in seinem Zimmer!“ Andere behaupteten: „Eigentlich hat man sich nie auf die Beziehung eingelassen, weil man den Partner hier ganz bewusst ausschließt!“ und fragten dann am Ende: „Was hat das schon mit Liebe zu tun?“

Ob unsere Vorstellung vom Zusammenwohnen aber wirklich so schlecht ist, habe ich die Paartherapeutin Nadine Pfeiffer gefragt.

„Eine gesunde Partnerschaft besteht nicht nur aus Bindung, sondern auch aus Autonomie und einem eigenen Territorium“, erklärt Pfeiffer. Denn in jedem Menschen sind diese Gegensätze als Grundbedürfnisse angelegt: Geborgenheit und Selbstverwirklichung, die Nähe des Anderen und die Ruhe in sich selbst. Die von Mensch zu Mensch unterschiedliche Balance zwischen Autonomie- und Bindungsstreben hängt meistens mit früheren Beziehungserfahrungen zusammen.

„Ein Ungleichgewicht erlebe ich als Therapeutin auf beiden Seiten. Wenn ein Paar eher die Autonomie auslebt, kann sich daraus schnell eine Beziehung wie die von zwei Geschäftspartnern entwickeln – oder die Bindung ist zu eng und sie isolieren sich von ihrer Außenwelt.“ Um die Balance zu halten, errichten sich Menschen laut Pfeiffer sehr unterschiedliche Territorien: „Mal reicht der Arbeitsplatz, das Fußballtraining, Stammcafé, die Eckkneipe oder sie wünschen sich ein eigenes Zimmer, in dem sie kreativ und nur für sich sein können.“ Sie selbst würde – wenn das finanziell machbar ist – auch immer zu einem eigenen Zimmer raten.

Es ist okay, zu sagen: „Das ist nur meins“

Aber warum reagieren einige Leute in meinem Freundeskreis dann so schablonenhaft ablehnend auf die Idee mit dem eigenen Zimmer? „Es wirkt auf sie vielleicht so, als wäre die Beziehung eher locker und unverbindlich – als wollten die Partner ihre Autonomie stärker ausleben und wären nicht an einer echten Bindung interessiert“, so Pfeiffer. Viele WGs seien schließlich auch nur Zweckgemeinschaften. Man genießt die gemeinsame Zeit, hat aber im Hinterkopf, dass da noch was Besseres kommt. Das Zusammenziehen wird demnach nicht als Herzensangelegenheit, sondern Teil des Businessplans wahrgenommen.

Ob das jetzt alles in das Weltbild einiger Menschen passt oder nicht: Beziehungen verlieren sich nicht, wenn man die Wohnung anders aufteilt als ein Großteil der Gesellschaft. Beziehungen verlieren sich im Alltag oder unterschiedlichen Lebenswegen. Daran, für den Anderen oder die Andere ohne Widerrede alle Interessen aufzugeben. „Es ist okay, zu sagen, dass man auch andere Bedürfnisse hat, die mit der Beziehung und dem Partner gar nichts zu tun haben. Es ist okay, zu sagen: Das ist nur meins“, sagt Pfeiffer.

Ein eigenes Zimmer für jeden, macht jedenfalls vieles besser: Meine besten Freundinnen können spontan vorbeikommen und erst zur Morgendämmerung wieder gehen. Ich kann mich nach einem harten Arbeitstag stundenlang mit einem Buch zurückziehen, weil sogar Smalltalk zu anstrengend wäre. Ich muss mich nicht von dem grünen Barocksessel trennen, der die erste Schramme bei seinem Transport im alten VW Golf meiner Mutter kassiert hat. Oder von den zig kleinen Dekogläschen, die ich ebenfalls vom Sperrmüll habe und mein Partner einmal irritiert zum Altglas stellte. Und mein Partner kann seine Wände mit Postern seiner Partei, seines Fußballclubs und alten Urlaubsfotos bekleben, ohne dass ich mich dadurch minimal gestört, eingeschränkt oder belästigt fühlen müsste.

Jeder muss natürlich für sich selber entscheiden, was für seine Beziehung das Beste ist. Ob gemeinsame oder getrennte Schlafzimmer, die Ein-Zimmer-Wohnung oder das Versprechen, niemals zusammenzuziehen. Mein Wunsch ist jedenfalls ein eigenes Zimmer – und dass mein Partner und ich unsere Beziehung so gestalten können, wie wir wollen. Ohne dafür direkt als herzlose Pragmatiker abgestempelt zu werden, die in einer lieblosen Beziehung leben.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zum ersten Mal am 24. April 2019 und wurde am 7. Februar 2021 noch einmal aktualisiert. 

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