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Instantkaffee ist viel besser als sein Ruf

Unsere Autorin nennt Instantkaffee nur liebevoll „Krümelkaffee“.
Illustration: FDE

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Das Konzept eines Specialty Coffee Shops ist einfach: Coole Leute machen guten Kaffee, ebenfalls coole Leute trinken guten Kaffee. Gerne setze ich mich mit Freund:innen in eines dieser fancy Cafés, trinke Flat White, Iced Cappuccino oder auch mal einen Americano, wenn der Barista darauf besteht: „Unser Kaffee ist so gut. Den musst du eigentlich schwarz trinken.“ Ich schlürfe dann an meinem (zugegeben: meist überteuerten) Getränk, plaudere und genieße für einen kurzen Moment das Lebensgefühl, das dieses Heißgetränk vermittelt.

Aber ich hege ein dunkles Geheimnis. Wahrscheinlich würden sich viele wahre „Coffee Lover“ in ein Abbild von Munchs Schrei verwandeln, wüssten sie davon. Wenn ich zu Hause bin, alleine, gehe ich der Barista-Kultur fremd. Dann greife ich nicht einmal zu der Bialetti, die ich vor Jahren geschenkt bekam. Nein. Dann greife ich zu Instantkaffee.

Ich wurde schon oft von Freund:innen gefragt, ob ich nicht lieber „richtigen“ Kaffee trinken wolle. Biete ich ihnen meinen Instantkaffee an, kommt meist nur ein kurzes „Ne, danke“, zusammen mit einem irritierten Seitenblick auf meine Tasse. Für die meisten Menschen, die ich kenne, ist Instantkaffee, wenn überhaupt eine Option, die absolute Notlösung. Nur wenn es gar nichts anderes gibt und die Koffeinsucht zu sehr auf Erleichterung drängt, erwägen sie den Gebrauch der gefriergetrockneten Krümelchen. Für mich hingegen ist Instantkaffee Kaffee in seiner sympathischsten Form. Er will nämlich nicht größer sein, als er ist. Selbst die Verpackung ist ehrlich zu dir: ein Glas voller brauner Krümelchen – von mir deshalb liebevoll nur Krümelkaffee genannt. Er raschelt, wenn man ihn hochnimmt, ist schnell zubereitet (zwei bis drei Teelöffel in die Tasse schaufeln, heißes Wasser drauf, umrühren, fertig) und macht mich zuverlässig wach. Und, ja, ich gebe auch das jetzt zu: Er schmeckt mir. Wirklich.

Ich trinke Kaffee in jedweder Form. Sogar der abgeranzte Uni-Automatenkaffee im braunen Becher hat es während meines Studiums regelmäßig in meinen Körper geschafft. Aber nichts catcht mich so wie Krümelkaffee.

Kaffee, das ist heute auch Statussymbol

Ich verbinde ihn mit meiner Familie, meiner Kindheit. Er bringt Erinnerungen zurück. An die Besuche bei den iranischen Freund:innen meiner Mutter, wenn wir auf dem Boden um ein ausgebreitetes Tuch, das Sofre, saßen und die Mütter sich mit ihren dampfenden Tassen in der Hand Geheimnisse zuflüsterten und laut lachten. An meinen Onkel, von dem ich heute weiß, dass er gar nicht mein Onkel ist, sondern nur ein guter Freund. Wenn er von seiner Schicht als Taxifahrer nach Hause kam, rührte er die Krümel mit seiner ganz eigenen Technik in das Wasser: Zuerst langsam und dann ganz schnell. An die Nachmittage am Simssee, wo wir illegal grillten, und wo die Erwachsenen nach dem Essen Vanilleeis in den abgekühlten Krümelkaffee rührten.

Krümelkaffee, das bedeutete für sie alle Kaffeegenuss, ohne sich eine teure Maschine anschaffen zu müssen. Stattdessen kaufte man einen Fernseher mit Satellitenschüssel, ein Auto, Schulsachen für’s Kind. Sachen, die man eben brauchte. 

Kaffee, das ist heute auch Statussymbol, auch wenn das vielen gar nicht auffällt. Immer mehr Menschen kaufen teure Kaffeevollautomaten, bei denen nur ein Knopf einen vom nächsten Kaffee trennt. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Während 2017 nur 15 Prozent der Haushalte in Deutschland einen Kaffeevollautomaten besaßen, waren es 2022 bereits knapp 25 Prozent. Die Anzahl der Haushalte mit einer Filterkaffeemaschine dagegen sinkt kontinuierlich.

Hobby-Baristas geben ein kleines Vermögen aus, um ihrer Leidenschaft nachzugehen. Immerhin braucht man dafür ganz schön viel Zeug: Die glänzende Siebträgermaschine, die Kaffeemühle, ohne die (so habe ich mir das unfreiwillig sagen lassen) der Kaffee nicht mal halb so gut wird, die Kaffeebohnen, die extra aus Kolumbien oder Brasilien eingeflogen wurden, und nicht zu vergessen den Barista-Kurs, den man belegen muss, um überhaupt fähig zu sein, mit all diesen Sachen umzugehen.

Krümelkaffee mag vielleicht nicht chic sein oder gut aussehen. Meistens trinkt man ihn nicht aus einer minimalistischen Tasse, sondern aus einem möglichst großen Becher. Er vermittelt einem nicht das Gefühl, besonders kreativ oder hip zu sein. Krümelkaffee, das ist der flüssige Kraftriegel der Facharbeiter:innen. Für drei Euro gibt er dir zuverlässig 65 Mal den Kaffee-Kick.

Selbst in meiner Handtasche habe ich immer ein Tütchen Krümelkaffee

Natürlich rebellierte ich in meiner Jugend. Ich wollte eine lange Zeit nichts mit Krümelkaffee zu tun haben. Regelmäßig ließ ich mein Taschengeld im Café, um den Kaffee aus der Maschine zu trinken, so edel mit seiner dünnen Crema-Schicht. Mit zwölf oder 13, als ich anfing, Kaffee zu trinken, zog es meine beste Freundin und mich regelmäßig in den Karstadt. Ihr Cousin arbeitete dort bei den Kaffeemaschinen. „Wollt ihr mal Kaffee aus einer Maschine trinken, die 1000 Euro kostet?“ Natürlich wollten wir. 1000 Euro, unvorstellbar viel Geld. Er schmeckte mir genauso wenig, wie einem Kaffee eben schmeckt, wenn man zwölf ist. Aber ich fühlte mich wahnsinnig erwachsen dabei.

Erst mit Mitte 20, als ich mit meiner besten Freundin zusammenzog, erwachte meine Liebe zum Krümelkaffee wieder. Wir hatten gerade all unser Geld bei IKEA gelassen. Eine „gute“ Kaffeemaschine war da einfach nicht drin. Der Krümelkaffee aus unserer Kindheit fiel uns wieder ein – und half uns von nun an jeden Morgen, die Online-Vorlesungen um acht Uhr zu überstehen. Seitdem ist Krümelkaffee mein treuer Begleiter. Selbst in meiner Handtasche habe ich immer ein Tütchen dabei, ich sammle sie in Hotels oder Ferienwohnungen, wenn sie dort ausliegen. 

Natürlich liebe ich es trotzdem, zu sehen, wie auch die breitschultrigsten Männer vorsichtig Milchschaum in eine Tasse fließen lassen, um einen Schwan auf der Oberfläche zu zeichnen. Das Funkeln in den Augen mancher Menschen, wenn sie ihren Nerd-Talk über Kaffee anfangen dürfen. Ich verurteile auch niemanden, der keinen Krümelkaffee trinkt. Aber ich möchte eben auch nicht verurteilt werden für meine Liebe zu ihm. Vielleicht, ganz vielleicht, stelle ich ihn demnächst meinen Gästen doch einfach mal auf den Tisch, ohne sie vorher vorsichtig zu fragen. Wie man es mit dem Espresso aus der Siebträgermaschine macht.

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