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Wenn jemand „Mutig von dir!“ sagt, kriege ich Angst

Illustration: Julia Schubert

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Neulich bin ich umgezogen. Von München ins Ausland. Oder besser gesagt: ins „Ausland“. In einen EU-Staat, Nachbarland zu Deutschland und näher an der Region, aus der ich ursprünglich komme, als mein voriger Wohnort. Ich habe es vor allem gemacht, weil ich keine Lust auf eine Fernbeziehung hatte und ich von überall arbeiten kann. Meine Wohnung ist größer als jede, die ich mir in München hätten leisten können, ich spreche die Landessprache gut genug, um mich im Alltag verständigen zu können, das Essen ist lecker und die Menschen sind freundlich.

Nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, hatte ich natürlich manchmal Sorge, dass ich den Umzug bereuen könnte, aber das Gefühl, irgendeine Art von Risiko einzugehen, hatte ich nicht. Bis zu dem Zeitpunkt, als jemand zu mir sagte: „Ganz schön mutig von dir!“

Es war nicht das einzige Mal. „Wow, das finde ich mutig“ oder etwas Ähnliches habe ich mehrfach gehört. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, was genau diese Menschen mutig fanden: den Umzug ins Ausland (beziehungsweise „Ausland“)? Dass ich meinem Freund folgte, was man sich als emanzipierte Frau ja dreimal überlegen sollte? Die (nicht besonders große) berufliche Veränderung, die mit dem Umzug zusammen hing? Ich hätte nachfragen können, aber die direkte Reaktion auf diese Aussage nahm zu viel Platz in meinem Kopf ein – nämlich Angst. Zweifel. Verunsicherung.

Es klang so, als müsste es ein Risiko geben, das ich bisher übersehen hatte

In dem Moment, in dem jemand etwas, das ich mache, als „mutig“ bezeichnet, gehen bei mir die Alarmglocken an. Zumindest dann, wenn ich es bisher nicht als mutig empfunden habe. Angenommen, ich würde vom Zehner springen (was ich noch nie gemacht habe, bin viel zu feige) – dann könnte ich mich durchaus damit anfreunden, wenn hinterher jemand „Das war aber mutig“ zu mir sagt. Immerhin hätte ich beim Absprung angemessen Angst gehabt und wäre mir des Risikos bewusst gewesen, mich beim Aufprall aufs Wasser zu verletzen.

Im Falle des Umzugs aber führte der Mut-Satz überhaupt erst dazu, dass ich Angst bekam. Es klang für mich so, als müsste es ein Risiko geben, das ich bisher übersehen hatte. Eines, für das ich hätte mutig sein müssen. Mein Gesprächspartner hatte das im Gegensatz zu mir sofort erkannt und bewunderte darum meinen Mut, dieses Risiko einzugehen. Oder aber seine Aussage bedeutete eher sowas wie: „Ganz schön dumm von dir, dass du das tust.“ Er wollte mir also durch die Blume sagen, dass ich nicht genau hingeschaut hatte, mich dafür aber demnächst ganz schön umschauen würde. Egal, was genau dahinter steckte – der Satz verunsicherte mich und sorgte dafür, dass ich mir naiv vorkam.

Mittlerweile (nachdem ich ohne größere Schäden umgezogen bin) glaube ich, dass ich das wahrscheinlich nicht war. Sondern dass wir den Begriff „Mut“ oft falsch verwenden. In meinem Umfeld muss niemand wirklich mutig sein, weil wir sehr behütet und privilegiert sind. Und: irre bequem. Darum neigen wir vermutlich dazu, alles, was nicht bequem ist, mit Mut zu verwechseln.

Wir neigen dazu, alles, was nicht bequem ist, mit Mut zu verwechseln

Der Umzug war nicht mutig – er war nur nicht die bequemste Variante, denn bequemer wäre es natürlich gewesen, zu bleiben, wo ich seit Jahren wohnte. Aber um eine Gelegenheit zum Umzug zu ergreifen, wenn sie sich gerade ergibt und keine Nachteile verspricht (außer vielleicht etwas Einsamkeit am Anfang), dann muss man dafür eigentlich nur den Arsch hochkriegen. Mutig sein muss man nicht. „Ganz schön mutig von dir“ suggeriert aber genau das. Als wäre jede Entscheidung, bei der man die eigene Komfortzone auch nur zwei Schritt weit verlässt, gleich eine Heldentat.

Klar, ich weiß schon, dass es auch einfach nett und anerkennend gemeint sein kann, wenn jemand sowas sagt. Ohne Hintergedanken. Vielleicht will er damit auch einfach nur suggerieren, dass er selbst es wahrscheinlich nicht gemacht hätte, weil es nicht in sein Lebenskonzept passen würde. Aber trotzdem ist dieser Satz (und jede seiner Varianten) in den meisten Situationen einfach sachlich falsch – und bis einem das bewusst wird, ist er eben erstmal sehr verunsichernd.

Mich stört aber auch noch etwas anderes daran: dass diese Aussage echten Mut entwertet. Wenn man so bequem lebt wie wir, ist es eben sehr leicht, als „mutig“ zu gelten. Aber das Label sollte dringend für diejenigen reserviert bleiben, die es wirklich sind. Die für das, was sie machen, Mut brauchen. Weil sie große Angst davor haben, aber sich trotzdem überwinden, oder die sich womöglich für einen höheren Zweck einem Risiko aussetzen. Mut ist etwas, das man manchen Menschen zusprechen oder für das man sie bewundern sollte. Allen anderen aber verleiht man mit „Mutig von dir!“ einen Medaille, die sie gar nicht verdienen. Oder bringt sie unnötig ins Wanken.

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