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Fahrstunden sollten videoüberwacht sein!

Illustration: Julia Schubert

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Zu zweit im Auto unterwegs zu sein, kann etwas sehr Schönes sein. Aber auch erschreckend und bisweilen gefährlich. Gerade dann, wenn du 16, 17, 18 Jahre alt bist und alleine mit einem dir fremden, voll ausgewachsenen Mann fährst. Wie eben in den meisten Fahrstunden.

Zu sexuellen Übergriffen in Fahrstunden gibt es für Deutschland keine Zahlen. Und klar, die meisten Fahrlehrer und Fahrlehrerinnen sind astrein drauf, bleiben cool, auch wenn man das vierte Mal falschrum in die Einbahnstraße gefahren ist. Sie sind dein Sicherheitsnetz, wenn die Radfahrerin lebendig aus dem toten Winkel kommen soll.

Trotzdem: Geschichten über (meist männliche) Fahrlehrer und ihre Herrenwitze, Hände auf Oberschenkeln und sexistische Bemerkungen gehören zur Fahrschul-Folklore wie Parmesan zu Spaghetti Bolognese. So ein Auto ist ein enger Raum, der mit ziemlicher Geschwindigkeit durch die Gegend braust. Aus dem du auf Landstraßen, Autobahnen oder im Innenstadtverkehr nicht einfach mal aussteigen kannst, wann immer es dir passt. Wo du, wenn du am Lenkrad sitzt, nicht das Handy zücken und schnell Hilfe rufen kannst. Wo kein Passant dir zu Hilfe kommen kann oder überhaupt mitbekommt, ob etwas passiert.

Es geht um Kontrolle, an einem Ort, der kontrolliert werden sollte

Dabei muss das echt nicht sein: Warum nicht einfach kleine Überwachungskameras in Fahrschulautos anbringen? Das würde das Risiko vermindern und das Sicherheitsgefühl steigern.

Überwachung, da werden die Ohren spitz: Das geht ja gar nicht! Gläserne Bürger, ausgespähte Daten, mithörende virtuelle Assistenten, Spionage überall, irgendwo muss doch mal Schluss sein. Überwachungskameras in Fahrschulautos haben mit einem solchen Diskurs aber nichts zu tun: Es geht nicht um einen Staat, der seine Bürger und Bürgerinnen kontrollieren möchte und dafür die Einschränkung von Persönlichkeitsrechten in Kauf nimmt. Es geht auch nicht um Unternehmen, die dich ausspionieren, um dir auf dich zugeschneiderte Produkte anbieten zu können.

Es geht um Kontrolle, an einem Ort, der kontrolliert werden sollte. Um junge Menschen, deren Eltern dafür zahlen, dass sie hier in einem sicheren Rahmen ausgebildet werden. Und „sicher“ bedeutet eben nicht nur körperliche Unversehrtheit im Straßenverkehr, das bedeutet auch geschützt vor Übergriffen. Das müssen Fahrschulen garantieren können.

Denn Fahrstunden sind eine besondere Situation, in der Schülerinnen und Schüler dem Lehrpersonal im doppelten Sinne ausgeliefert sind: Zum einen durch die Zweisamkeit, zum anderen durch das Machtgefälle. Der Lehrer leitet, macht die Ansagen, bestimmt den Charakter der Stunde, lässt jemanden zur praktischen Prüfung zu, oder nicht. Ein solches Machtgefälle wird auch in einer andere Branche – der Filmindustrie – oft als Grund und Gefahrenfaktor für Sexismus genannt. Stichwort: #metoo.

Der Vorschlag von festinstallierten Überwachungskameras in Fahrschulautos wird in anderen Ländern auch schon ernsthaft erwogen: Der Guardian etwa berichtete, dass der Anstieg von gemeldeten sexuellen Übergriffen in Fahrstunden eine politische Debatte in Großbritannien auslöste: Der konservative Parlamentarier Richard Graham etwa betonte den Mehrwert, den solche Kameras hätten – und zwar für beide Beteiligte: „Es würde beweisen, wenn etwas Unangebrachtes passiert wäre, aber es würde auch Fahrlehrer beschützen, die sich gegen falschen Anschuldigungen wehren müssen.“

Wenn Aussage gegen Aussage steht

Fahrstunden sind vermutlich im Großteil der Fälle eine absolut normale Sache. Aber es gibt eben auch schlimmen Beispiele, was passieren kann, wenn es dann doch mal schiefgeht. Fahrlehrer, die ungefragt ihren Penis auspacken, sexuelle Nötigungen, unangemesse Berührungen, traumatisierte Schülerinnen und Schüler. Und dann hat im bisherigen System niemand etwas gesehen, sondern es steht Aussage gegen Aussage.

Natürlich sind Kameras nicht die Lösung für alles. Das System ist auch für Fehler anfällig: Aufnahmen könnten durch Fahrschulen, die ihre Lehrer und Lehrerinnen schützen wollen, manipuliert werden. Oder relevante Details, die sich vielleicht vor oder nach der Stunde außerhalb des Wagens abspielen, sind nicht zu sehen. Trotzdem: Wenn es um den Schutz von jungen Frauen und Männern geht, ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Dabei kann ja schon allein das Wissen, dass eine solche Kamera vorhanden ist, Spannung aus einer Situation nehmen.

Im Jahr 2018 wurden bundesweit 1,7 Millionen praktische Fahrerlaubnisprüfungen durchgeführt. Das bedeutet bei einer Mindestanzahl von zwölf praktischen Stunden mehr als 20 Millionen Fahrstunden in Deutschland. Ein beträchtlicher Teil des gesellschaftlichen Lebens findet also in solchen Fahrschulautos statt. Den Schutz darin, sollte man daher aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts betrachten – und vielleicht auch durch eine Kamera.

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