Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Warum man auch im Sommer zocken sollte

Illustration: Federico Delfrati

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ich erinnere mich noch gut an diesen einen großen Konflikt in meiner Kindheit und Jugend: Draußen scheint die Sonne, die Temperaturen steigen,  alle Welt quetscht sich ins Freibad – und ich sitze in meinem Zimmer vor dem Fernseher und spiele Videospiele. Sicherlich, ich hatte schon Spaß dabei. Aber das schlechte Gewissen war auch immer anwesend. Meine Eltern gaben mir recht deutlich zu verstehen, dass man im Sommer eigentlich draußen zu sein hat. Auch in gefühlt allen Filmen, Büchern und in der Werbung wurde mir die gute alte Kindheit immer als Abenteuer draußen verkauft. Und nie als Abenteuer mit Controller in der Hand.

Heute stehe ich da drüber. Denn gerade im Sommer sind Videospiele alles andere als Zeitverschwendung. Und das liegt an diesen drei Aspekten:

Wer sagt, dass man im Sommer draußen sein muss?

Es gibt dieses Klischee vom einsamen Gamer in seinem abgedunkelten Zimmer, der nur in den flimmernden Fernseher schaut. Egal, ob draußen die Sonne scheint oder nicht. Doch Videospiele waren eigentlich schon immer ein sehr soziales Medium. Und sind es heute mehr denn je.

Zum Beispiel ermöglichen sie einzigartige Erlebnisse mit Freunden. Wie etwa in „A Way Out“. In dem Spiel geht es darum, zu zweit aus einem Gefängnis auszubrechen. Oder klassisch bei „Super Smash Bros. Ultimate“, bei dem die Spieler sich mit allen bekannten Videospiel-Charakteren gegenseitig verkloppen.

Klar, diese Spiele haben allesamt keinen großen Nutzen, außer dass sie Spaß machen. Sie widersetzen sich diesem Gedanken, produktiv sein zu müssen, der sich im Sommer oft in eine Art Befehl verwandelt: Geh raus, wenn es draußen warm ist! Aber warum sollte, sagen wir, ein Tag im Biergarten mehr wert sein, als gemeinsam in der Bude zu zocken?

Denn beim Spielen ist nicht nur bedeutend, was auf dem Bildschirm passiert, sondern was die Menschen davor machen. Die Interaktionen beim Spielen, die Ausgelassenheit, die spielerische Wut und Freude – die Gespräche, die geführt werden. All das gehört zu diesen Spielen dazu.

Zu spielen, das erlauben sich „Erwachsene“ einfach viel zu selten. In der Kindheit gingen wir noch verrückten Ideen nach, bauten unterm Tisch Höhlen oder stellten mit Playmobil den vermeintlichen Alltag unseres zukünftigen Ichs nach. Heute wären wir dafür gar nicht mehr kreativ genug. Den Spieltrieb der Kindheit haben viele ersetzt durch Zielstrebigkeit – alles muss einen Nutzen haben. Videospiele können einen Raum geben, der diesen Ruf nach Nutzen verhallen lässt. Den Spieltrieb der Kindheit, der besonders im Sommer auflebte, können Spieler*innen in ihr Wohnzimmer holen. Anstatt also dem gesellschaftlichen Ruf nach Ertüchtigung in der Natur nachzugehen – wieso nicht einfach mal Freunde zusammentrommeln und die Konsole anstellen?

Hitze macht lethargisch – Videospiele machen aktiv

Wenn die Temperaturen sich den 40 Grad nähern und die Welt in eine lähmende Trägheit zu verfallen scheint, ist es besonders hart. Jede Bewegung rächt sich durch einen Schweißausbruch und die Leute bleiben da ja eh oft schon aus reinem Selbstschutz zu Hause. Videospiele können ein Weg aus dieser Hitze-Lethargie sein. Denn anders als bei anderen Medien, etwa beim Bingewatchen von Serien, verbannen Spiele einen nicht in die Passivität. Hier sind die Spieler*innen aktiv, sie steuern selbst, entscheiden selbst – machen so ihre eigenen Erfahrungen.

Etwa in „Sea of Solitude“, in dem es um die prägenden Erfahrungen der Protagonistin Kay geht. Sie kämpft mit den Dämonen ihrer Vergangenheit, mit ihrer Einsamkeit, mit dem, was Menschen ihr angetan haben – was sie selbst sich angetan hat. In „Assassin’s Creed – Odyssey“ bewegen sich die Spieler*innen in den Mythen der griechischen Antike, entdecken riesige Länder und treffen ihre eigenen, prägenden Entscheidungen. Während draußen die Sonne brennt und jede Anstrengung unerträglich macht, scheint die virtuelle Sonne hier auf schier endlose Möglichkeiten des Auslebens und Ausprobierens. Skifahren, Angeln gehen, auf den höchsten, schneebedeckten Berg stapfen oder aber Unterwasser-Welten erkunden: All das geht ganz entspannt mit dem Controller in der Hand. Anders als in Büchern, Filmen oder Serien, hast du dabei deine eigene Agenda, du bist dein eigener Autor und Regisseur.

Kurzum, Videospiele ermöglichen es, sich auch bei sehr hohen Temperaturen nicht nur berieseln zu lassen. Sie befreien aus der Umklammerung des Wetters, geben den Spieler*innen Möglichkeiten an die Hand, lassen sie aktiv werden und all das ausprobieren, was Wetter, Geographie, Schwerkraft oder auch körperliche Möglichkeiten sonst verbieten.

Videospiele können Menschen partizipieren lassen, für die der Sommer ein Horror ist

Und dann gibt es natürlich auch noch Menschen, die ohnehin nur selten das Haus verlassen können. Weil ihre Körper das nicht zulässt, weil ihre Psyche ihnen im Weg steht. Und solche Menschen leiden unter diesen Sommer-Erwartungen besonders. Ängste, Depressionen oder auch körperliche Einschränkungen isolieren viele Menschen enorm. Ihnen wird gespiegelt, dass ihr Leben nicht der Norm entspricht. Sie sind nicht im Park, nicht im Schwimmbad, nicht auf dem Fahrrad. Videospiele hingegen bieten ihnen Teilhabe.

So können sie etwa mit anderen Menschen in Kontakt treten, ohne diese kennen zu müssen. In diversen Online-Spielen ist es möglich, in kürzester Zeit eine Verbindung zu anderen herzustellen: weil sie zusammen einen Schatz finden, einen großen Gegner besiegen, ein Rätsel lösen wollen. Sei es als Ablenkung oder als Möglichkeit der Kontaktaufnahme – gerade im Sommer können Games für diese Menschen ein Vehikel sein. Aber eben auch für alle anderen, die einfach mal keinen Bock haben, ständig draußen sei zu müssen, nur weil grade Sommer ist. Drinnen zu spielen ist schon auch ganz in Ordnung.

  • teilen
  • schließen