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Wie man im Alltag mit zwei Kindern ankommt

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer dreijährigen und einer neunmonatigen Tochter. Folge zehn: Ankommen im Alltag zu viert. 

  

Meine zweite Tochter hätte ich beinahe im Auto zur Welt gebracht, auf dem Weg in die Klinik. Zum einen, weil ich komplett unterschätzt hatte, wie viel schneller eine Geburt beim zweiten Mal abläuft: Weil der Körper schon weiß, was er zu tun hat, öffnet sich der Muttermund schneller und auch die aktive Pressphase ist verkürzt. Der größte Faktor aber war meine erste Tochter, zu dem Zeitpunkt etwas älter als zwei Jahre.  

Ihretwegen zögerte ich die Fahrt zur Klinik heraus, denn ich wollte sie nicht mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißen. Obwohl ich um ein Uhr morgens bereits regelmäßige Wehen spürte, hoffte ich darauf, noch einige Stunden warten und meine Tochter vielleicht sogar noch in die Kita bringen zu können. Die Geburt ihrer kleinen Schwester sollte keine negative Erfahrung für sie sein. Auch als die Wehen in so kurzen Abständen und so stark kamen, dass wir sofort in die Klinik hätten fahren sollen, bestand ich noch darauf, meine Tochter möglichst in Ruhe zu unseren Freund:innen zu bringen. Ich wollte dort warten, bis sie wieder eingeschlafen wäre. Am Ende mussten wir sie wach zurücklassen und kamen fast zu spät im Kreißsaal an.  

Der Wunsch, dass die Große die Erweiterung unserer Familie in erster Linie als etwas Schönes erlebt, nahm auch in unseren Vorbereitungen viel Raum ein. Wir zeigten ihr die ersten Ultraschallbilder und erklärten ihr mit Hilfe der Fotos meiner ersten Schwangerschaft, dass nun ein Baby in meinem Bauch wachsen würde. Wir redeten viel mit ihr darüber, dass dieses Baby dann bei uns wohnen und zum Beispiel ihren Wickeltisch mitbenutzen würde, machten Playdates mit Freund:innen aus ihrer Kita aus, die bereits ein kleines Geschwisterchen hatten. Sie half mir beim Packen der Kliniktasche und durfte im Stubenwagen Probeliegen. Als das Baby in meinem Bauch zu treten begann, war sie die Erste, die mit ihrer kleinen Schwester durch die Bauchwand hindurch spielen und reden durfte.  

  

Zur Geburt schenkte ihr das Baby sogar etwas: Die Neugeborene „überreichte“ ihrer großen Schwester eine Spielwerkbank, als ich mit ihr aus dem Krankenhaus kam. Doch trotz aller Bemühungen, die großen Kinder gut auf ein Baby vorzubereiten: Wirklich vorstellen kann sich ein Kleinkind nicht, was ein Neugeborenes mit dem eigenen Alltag macht. Einige Studien lassen vermuten, dass die Eltern dem älteren Kind dabei helfen können, doch auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Beispielsweise das genaue Alter des älteren Kindes und deren Erfahrungen mit Freund:innen. Hebammen empfehlen zudem, dass das Neugeborene im Haus nicht zu einem komplett neuen Tagesablauf des älteren Kindes führen soll. Im Zweifel müssten der Alltag und die Wohnung also schon länger vor der Geburt so angepasst werden, dass Platz für das zweite Kind ist. 

  

Die ersten Tage und Wochen mit einem Neugeborenen sind aufregend und anstrengend. Die ersten Tage und Wochen mit einem Neugeborenem und einer Zweijährigen in ihrer Trotzphase? Eine ziemliche Herausforderung. Im Alltag zu viert gibt es weniger Pausen. Dass beide Kinder gleichzeitig einen Mittagsschlaf machen, passiert selten. Die Eltern müssen die verschiedenen Bedürfnisse der Kinder unter einen Hut bekommen, das erste Kind muss vielleicht häufiger als zuvor mit Kompromissen leben. Allerdings sind die Großen auch klar im Vorteil, denn sie können viel besser ausdrücken, was sie wollen. Und: Während das Baby nur schreien kann, kann das Kleinkind zusätzlich mit Sachen schmeißen oder sich im Supermarkt auf den Boden werfen.  

Für eine gute Geschwisterbeziehung achten wir auch auf gute Kommunikation

Beiden Kindern (und unserem Hund) jeden Tag gerecht zu werden, führte zwangsläufig dazu, dass andere Bereiche des Lebens zu kurz kamen. Beispielsweise der Haushalt, Zeit als Paar oder Selfcare. Manchmal war ich am Abend „touched out“: Wenn die ganze Nacht und den ganzen Tag zwei Kinder engen Körperkontakt suchen – stillen, spielen, kuscheln – kann es passieren, dass Eltern eine Art Überreizung erleben. Ich brauchte dann eine Auszeit, ein paar Minuten für mich ohne physischen Kontakt mit anderen Menschen. Mein Mann und ich führten darum bald Zeitinseln ein: Jeder von uns sollte möglichst eine Stunde am Tag nur für sich bekommen. Das klappte nicht immer, aber wenn, dann war ich danach auch in Stresssituationen direkt entspannter. Außerdem kaufte ich mir irgendwann Ohrstöpsel, die die Spitzen aus lauten Geräuschen nehmen. Zu hören sind die Kinder damit noch sehr deutlich, aber das Klingeln in den Ohren, das ich bei besonders lautem oder gleichzeitigem Geschrei bekam, war damit verschwunden.  

  

Heute ist die Große drei Jahre alt, die Kleine neun Monate. Das große Eifersuchtsdrama ist bisher ausgeblieben, das Konfliktpotential wird jedoch größer. Denn mittlerweile ist das Baby kein passives Neugeborenes mehr. Sie krabbelt nun im Kinderzimmer umher, interessiert sich für die Sachen der Großen und beschwert sich merklich, wenn diese ihr etwas aus der Hand zu nehmen versucht. Um auch zukünftig ein gutes Miteinander der Geschwister zu unterstützen, achten wir sehr darauf, wie wir im Alltag kommunizieren. Wenn die Große mit mir spielen will, während ich die Kleine stille, sage ich zum Beispiel: „Oh toll, da habe ich Lust drauf! Ich stille deine Schwester noch zu Ende, und dann machen wir das!“ Sätze wie „Ich habe gerade keine Zeit, ich muss mich ums Baby kümmern“ vermeiden wir aktiv. Und obwohl die Kleine es noch nicht versteht, fordern wir auch sie auf, sich bei der Großen zu entschuldigen, wenn sie ihre Schwester beispielsweise gezwickt hat. 

   

Dass ich meine erste Tochter „die Große“ nenne hat übrigens nicht nur was damit zu tun, dass sie älter ist. Wie unfassbar groß das erste Kind geworden ist, wie viel es schon kann – ein neues Baby führt das den Eltern stärker vor Augen als es ein Blick ins Familienfotoalbum je könnte. 

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