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Ein hartes erstes Trimester

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer fast zweijährigen Tochter. Folge zwei: Von Schwangerschaftsübelkeit, Gelüsten und anderen Mythen rund ums erste Trimester.

Wann hattet ihr das letzte Mal so einen richtigen Kater? Seid nach einer durchzechten Nacht aufgewacht und euch war kotzübel? Alles dreht sich, nicht mal fernsehen geht. Irgendwann muss man sich ganz schlimm übergeben, vielleicht auch mehrmals. Aber spätestens am Abend ist es dann vorbei. Meine ersten Schwangerschaftswochen waren genau so – nur wurde es abends nicht besser.

Denn nach der großen Freude über meinen positiven Schwangerschaftstest kam das große Kotzen: Die berühmte Morgenübelkeit, wegen der die Schwangerschaften so zahlreicher Charaktere aus US-amerikanischen Serien und Filmen auffliegen, mit einem plötzlichen „mir ist schlecht“, gefolgt von einem kurzen Würgen in den Mülleimer. Sonst ist den Figuren meist nichts anzumerken, höchstens größere Brüste oder Heißhunger auf saure Gurken. Auch Stimmungsschwankungen und Schwangerschaftsdemenz bekommen viel Screen Time, später natürlich auch der perfekt geformte und von Hautrissen gänzlich verschonte Schwangerschaftsbauch. Dafür ist die Geburt dann meist sehr dramatisch. Die Darstellung von Schwangerschaft und Geburt im Fernsehen wird von Klischees dominiert – was nachweislich unsere Erwartungen daran beeinflusst.

Ich jedenfalls habe die gratis Brustvergrößerung ausgelassen, dafür habe ich mir die Morgenübelkeit gleich für den ganzen Tag abgeholt. Wochenlang konnte ich kaum etwas essen, kaum etwas trinken – und übergab mich trotzdem bis zu acht Mal am Tag. Mal brachte mich der laut meinem Mann „völlig normale“ Geruch in einem Raum zum Würgen, mal der bloße Gedanke an ein bestimmtes Nahrungsmittel. Sogar von Wasser wurde mir schlecht, schlafen ging nur im Sitzen. Und ja, verrückte Gelüste hatte ich auch. Einmal bin ich für ein Chicken Teriyaki Sandwich mit platten Reifen bis zum nächsten Subway geradelt, musste weinen, weil ich den Laden nicht fand, war dann überglücklich, als ich ihn doch noch orten konnte. Nur um mich dann, als ich das Sandwich zuhause gierig auspackte, wegen des bloßen Anblicks der Maiskörner direkt zu übergeben. Keine Ahnung, warum. Eigentlich mag ich Mais.

Meine Ärztin gab mir das Gefühl, alles falsch zu machen 

Irgendwann lief ich nur noch mit einem großen Messbecher herum, schön handlich, mit Griff – und mit dem praktischen Nebeneffekt, dass ich meinen Flüssigkeitsverlust direkt in Millilitern ablesen konnte. Innerhalb von zwei Monaten nahm ich mehr als sechs Kilo ab und machte mir große Sorgen, das Baby nicht ausreichend zu versorgen. Dass „Morgenübelkeit“ dringend durch den von der Tageszeit unabhängigen Begriff „Schwangerschaftsübelkeit“ ersetzt werden sollte, empfehlen sogar Wissenschaftler:innen. Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit der Übelkeit am Morgen zwar am höchsten, mittags und abends aber ebenfalls ziemlich hoch ist. Etwa vier von fünf Frauen leiden im ersten Schwangerschaftsdrittel unter Übelkeit und Erbrechen, einem Fünftel davon ist sogar noch im zweiten Drittel schlecht. Etwa ein Prozent der Schwangeren müssen sich dabei so häufig übergeben, dass sie mit Hyperemesis Gravidarum diagnostiziert werden. Sie werden teilweise sogar im Krankenhaus behandelt. Ich gehörte zu diesem einen Prozent.

Als mir nach dem positiven Schwangerschaftstest zum ersten Mal schlecht wurde und ich ein wenig spucken musste, war ich erstmal ziemlich stolz. Meine erste Morgenübelkeit. Ich war wirklich schwanger, ich würde Mutter werden! Die Übelkeit bestätigte mir, dass mein kleiner Zellhaufen immer noch da war, mein Körper produzierte die benötigten Hormone. So, wie es sein sollte. Grundsätzlich gilt die Übelkeit nämlich als gutes Zeichen: Sie ist ein Indiz für das Fortbestehen der Schwangerschaft, Studien zufolge erleiden betroffene Frauen seltener eine Fehlgeburt. So ein Zeichen ist sehr willkommen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen, in denen die Wahrscheinlichkeit, das Baby wieder zu verlieren, am höchsten ist.

Doch bei mir blieb es nicht bei dem bisschen Übelkeit, und kein Hausmittel half: kein Ingwer kauen, kein Zwieback, kein Tee. Auch meine Gynäkologin war keine große Hilfe: Ich müsse da nun einfach durch, wie alle Schwangeren. Gleichzeitig setzte sie mich unter Druck, weil ich zu wenig trank und Nahrungsergänzungsmittel wie Eisentabletten nicht unten behalten konnte. Sie gab mir das Gefühl, alles falsch zu machen. Solltet ihr auch so eine Ärztin haben, sucht euch bitte dringend eine neue. Und lasst euch am besten auch von Hebammen beraten, verlasst euch nicht auf die ersten Google-Ergebnisse. Ich wünschte wirklich, ich hätte das getan. Stattdessen versuchte ich, die Übelkeit einfach durchzustehen und die Tabletten zu schlucken. Das machte alles noch viel schlimmer.

„Erst gegen Ende der Schwangerschaft fand ich eine Hebamme, die mir sagte, dass ich bei so starkem Brechreiz ins Krankenhaus hätte gehen sollen“

Zwar ist die Geburt die anstrengendere, schmerzhaftere Phase einer Schwangerschaft. Nachdem ich mein Kind geboren hatte, war mir erst einmal völlig unverständlich, warum jemals jemand ein zweites Kind bekommen wollen würde. Aber die Geburt ist nach ein paar Stunden vorbei, und die meisten Frauen vergessen den Schmerz, so wie ich, bald danach – oder können sich zumindest nicht mehr richtig daran erinnern. Die zwei Monate Kotzen habe ich nicht vergessen. Erst gegen Ende der Schwangerschaft fand ich eine Hebamme, die mir im Nachhinein sagte, dass ich bei so starkem Brechreiz ins Krankenhaus hätte gehen sollen.

Die gute Nachricht: Es ging vorbei. In der 13. Schwangerschaftswoche übergab ich mich zum letzten Mal. Danach konnte ich wieder alles essen, nahm kontinuierlich zu. Dem Baby ging es gut, es hatte sich während meiner Leidenszeit prächtig entwickelt und sah auf den Ultraschallbildern schon aus wie ein richtiger, kleiner Mensch. Eine Erleichterung. Denn der Weg ins zweite Trimester war nicht nur gesundheitlich hart durchzustehen, sondern auch einsam. Weil Fehlgeburten in Deutschland noch immer ein Tabuthema sind, warten viele Menschen die magische Grenze von zwölf Wochen ab, bevor sie anderen von ihrem erwarteten Nachwuchs erzählen. Bei meiner ersten Schwangerschaft hielt auch ich mich an diese ungeschriebene Regel. Das bereue ich im Nachhinein sehr. Denn statt von Familie und Freund:innen unterstützt zu werden, waren mein Mann und ich allein mit unseren Sorgen und meinem Unwohlsein. Und mussten obendrein noch das Geheimnis hüten.

Über die Geheimakte „Frühschwangerschaft“, Fehlgeburten und die vielen kreativen (und meist nicht kostenfreien) Möglichkeiten der Schwangerschaftsverkündung lest ihr dann in zwei Wochen, wenn die dritte Folge dieser Kolumne erscheint.

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