Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Ich bin zum Angriff übergegangen“

Foto: Vanessa Seifert

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Seit sie 18 Jahre alt ist, arbeitet Lina Burghausen (30) als Journalistin, Promoterin und Labelmacherin in der HipHop-Szene. Genauso lange ist sie mit Sexismus in der Szene konfrontiert. Im vergangenen Jahr gab es aufgrund von Gewaltvorwürfen gegenüber den Rappern Gzuz und Bonez und wegen deren sexistischer Texte zwar einen großen Aufschrei, geändert hat sich seitdem allerdings wenig. Die HipHop-Subkultur ist weiterhin von Männern dominiert und auch in der Musikindustrie haben es Frauen schwerer. Vor kurzem hat Lina Burghausen deswegen ein neues Label gegründet. Auf 365xx wird ausschließlich die Musik von Rapperinnen veröffentlicht. Wir haben mit ihr über das Label und ihre weiteren Projekte gesprochen.

jetzt: Lina, wann wurde dir klar, dass Rap eine Männerdomäne ist?

Lina Burghausen: Ich habe mit neun Jahren zufällig Run DMC gehört, der Song war auf einer McDonalds-CD. Ich fand das Lied cool und habe mich deswegen mehr mit HipHop und Rap beschäftigt. Als ich damit anfing, hatte ich das Gefühl, rappende Frauen seien normal. Sabrina Setlur war sehr erfolgreich, „Du liebst mich nicht“ war ein Riesenhit und einer der ersten Deutschrap-Songs, die ich kannte. Danach kam „Bon Voyage“ von Deichkind und Nina MC. Erst als Teenagerin habe ich die männliche Dominanz gespürt und mich als weiblichen HipHop-Fan in einer Sonderposition gesehen.

Lange war es im Deutschrap so, dass es pro Generation nur sehr wenige Rapperinnen gab, die wirklich groß waren, nach dem Motto: „Es kann nur eine geben.“

Das Motto „Es kann nur eine geben“ habe ich als jüngere Frau nicht so empfunden. Ich habe mich eher an den USA orientiert. Sexismus habe ich damals gar nicht reflektiert. Ich habe als Teenagerin außerdem viele sexistische Rapper gefeiert. „Es kann nur eine geben“, habe ich schließlich im Umgang mit anderen Frauen selber reproduziert.

Wie meinst du das?

Ich bin mit 18 Jahren Chefredakteurin von dem kleinen HipHop-Magazin Rapspot geworden, war lange die einzige Frau im Team und habe mich in der Rolle wohlgefühlt. Irgendwann kam eine zweite Frau ins Team. Ich war nicht begeistert davon. Ich hatte das Vorurteil, dass sie als Frau keine Ahnung von Rap hat und dass mit ihr alles zickiger wird. Alle Vorurteile, die ich selbst als Frau in der HipHop-Szene erlebt habe, habe ich auf diese Redakteurin projiziert. Ich habe aber schnell gemerkt: Mit ihr im Team wurde alles harmonischer, sie hatte am meisten Plan. Ich hatte offenbar sexistische Vorstellungen und war Teil des Problems. Das zu reflektieren, war gut. Es war dann ein langer Prozess, auch die Musik zu reflektieren, die ich gehört habe. Irgendwann war klar: Ich muss meine Position in der Szene nutzen, um etwas zu ändern. Sexismus ist ein strukturelles Problem in der HipHop-Szene.

„Ich bin zum Angriff übergegangen“

Was war der erste Schritt, etwas zu ändern?

Ich habe angefangen, mich in Diskussionen einzubringen. Lange habe ich mich geweigert, über Sexismus im Rap zu reden. Es gab kaum Frauen im HipHop-Journalismus. Ich wurde ständig auf meine Rolle angesprochen und wollte mich darauf nicht reduzieren lassen. Ich habe irgendwann festgestellt, dass ich in vier Jahren als Musikpromoterin nur einmal mit einer Künstlerin gearbeitet habe. Künstlerinnen tun sich schwerer damit, Zugang zu professionellen Strukturen in der Musikindustrie zu finden. Darum habe ich einer Rapperin ein Promo-Paket geschenkt.

Nach einem Panel beim Reepberbahn Festival in Hamburg hast du den Rapper Fler aus dem Publikum heraus mit seinen sexistischen Aussagen konfrontiert. Das Video sorgte online für Diskussionen. Hat es was gebracht?

Sein Statement war sinngemäß, dass eine Rapperin über Sex rappen und dabei auch noch gut aussehen müsse. Ich habe so viele krasse Rapperinnen kennengelernt, die es zu was bringen hätten können, aber regelmäßig an der Industrie, der Szene und solchen Ansichten zerbrochen sind. Ich wollte das sichtbar machen. Ob Fler meinen Punkt verstanden hat, weiß ich nicht. Aber Leute sprechen mich immer noch darauf an. Ich habe daraufhin viele, auch sehr unangenehme Nachrichten bekommen. Das ging von der Frage, wie viele Schwänze es brauche, damit Leute wie ich die Fresse halten, über recht stumpfe Gewaltandrohungen bis hin zum Klassiker „Frauen wie du sind der Grund, warum Feminismus scheitert“. Das und Flers Aussagen waren der Auslöser dafür, etwas für die Sichtbarkeit von Rapperinnen in Deutschland zu tun, der Grundstein für meinen Blog 365 Female MCs. Die Diskussion hat bei mir das Fass zum Überlaufen gebracht und mein Gefühl der Machtlosigkeit in etwas Pro-Aktives umgewandelt. Ich bin zum Angriff übergegangen.

Warum hast du dich zuvor machtlos gefühlt?

Ich habe dieselben Debatten über Sexismus im Rap immer wieder geführt, versucht, etwas zu bewegen. Am Ende stößt man immer wieder auf dieselben sexistischen Vollidioten, die dir erklären wollen, dass du in der HipHop-Szene nichts zu suchen hast. Das macht müde.

„Loredana und Juju mit ‚Kein Wort‘ auf Platz 1 der Deutschen Single-Charts, das wäre vor einigen Jahren unvorstellbar gewesen“

365 Female MCs hat als Blog angefangen, der Rapperinnen vorstellte. Am Anfang hast du ihn alleine betreut. Mittlerweile ist es ein Team-Projekt.

Seit März gibt es ein Magazin mit einem Team aus Ilustrator*innen und Autor*innen, die einmal am Tag einen Text schreiben und die Playlist updaten. Mittlerweile haben wir mehr als 500 Rapperinnen* porträtiert und eine Datenbank mit 1800 Rapperinnen*.

Es gibt inzwischen viele internationale Rapperinnen. In den USA ist es schon lange selbstverständlich, dass Frauen zur Spitze der Szene gehören. Es wird medial nicht herausgestellt, wenn eine Frau erfolgreich rappt. Warum ist das in Deutschland anders?

Deutschland hängt mit seiner musikalischen Entwicklung immer etwas hinterher. Außerdem ist die Szene in den USA größer und diverser, es ist leichter, eine eigene Subszene zu finden. Interessant fände ich, ob in Deutschland Frauen auch in anderen Genres unterrepräsentiert sind. In den Charts ist der Anteil der weiblichen Stimmen jedenfalls deutlich geringer als der männlicher Stimmen. Vielleicht werden in Deutschland generell weniger weibliche Acts gehört.

Mit Shirin David, Loredana, Nura, Juju und einigen mehr kamen in den vergangenen zwei Jahren viele Frauen im Rap-Mainstream an. Woher kommt der plötzliche Wandel?

Dass Loredana und Juju mit ihrem Song „Kein Wort“ auf Platz 1 der Deutschen Single-Charts waren, wäre vor einigen Jahren unvorstellbar gewesen. Es gibt inzwischen aber ein Interesse an weiblichen Artists, sicher auch, weil es in den USA funktioniert. Und es gibt mehr Frauen, die rappen. Ich weiß, dass für viele jüngere Rapperinnen der Erfolg von SXTN ein Grund dafür war, auch anzufangen. SXTN hatten Erfolg, waren sichtbar und waren dadurch krasse Türöffnerinnen.

„Es ist langfristig nicht die Lösung, einen separaten Raum für Frauen in der Musikindustrie zu schaffen“

Du hast in diese positive Entwicklung hinein das Label 365xx gegründet, das ausschließlich die Musik von Rapperinnen veröffentlichen will. Kommt das Label dann nicht zu spät?

Nein, denn ich möchte mit dem Label eine Struktur in der Musikindustrie schaffen, die es noch nicht gibt. Künstlerinnen werden nach wie vor als Paradiesvogel behandelt. Selbst bei erfolgreichen Rapperinnen wird noch darüber gesprochen, dass es außergewöhnlich ist, dass sie erfolgreich sind. Ich erlebe auch, dass Künstlerinnen sich bei Labels oder Agenturen vorstellen und gesagt bekommen, dass man für dieses Jahr schon eine Rapperin habe.

Was möchtest du mit dem Label erreichen?

Wenn eine Künstlerin bei mir unter Vertrag steht, dann geht es nicht mehr um ihr Geschlecht. Es geht um ihre Musik, nicht darum, dass sie eine Frau ist. Es geht mir darum, Künstlerinnen zu finden, die ihre eigenen Vorstellung haben und in anderen Teilen der Musikindustrie keine Chance hätten. Niemand soll bei uns darauf reduziert werden, die Quotenfrau zu sein. Wenn wir es mit dem Label schaffen, zu zeigen, dass eine Rapperin keinem Klischee entsprechen muss, um erfolgreich zu sein, haben wir total viel erreicht. Ich arbeite sowohl mit 365 Female MCsals auch mit dem 365xx an der Abschaffung meiner eigenen Projekte. Denn idealerweise braucht es mein Label irgendwann nicht mehr. Denn es ist ja nicht langfristig die Lösung, einen separaten Raum für Frauen in der Musikindustrie zu schaffen. Eigentlich sollte ein All-Female-Label nicht notwendig sein müssen.

Das klingt ja nach dem Wunsch danach, das Label irgendwann dicht machen zu können.

Im Prinzip ist es das. Vielleicht bedeutet es aber auch, dass ich irgendwann einen Quotenmann unter Vertrag nehme. (lacht)

  • teilen
  • schließen