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Visa Vie hat einen Rap-Krimi veröffentlicht

Foto: Marlen Stahlhuth / Spotify

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Charlotte Mellahn, auch bekannt als Visa Vie, zählt zu den bekanntesten Musikjournalistinnen und Moderatorinnen Deutschlands und gilt in der Rapwelt als Pionierin. Während ihrer Zeit beim Hip-Hop-Magazin 16Bars bekommt sie vom Undergrounder bis hin zur Rapgröße so ziemlich jeden vor die Kamera. Außerdem moderiert sie seit acht Jahren wöchentlich eine eigene Deutschrap-Radiosendung. Jetzt hat sie etwas Neues versucht und in Kooperation mit Spotify das Krimi-Hörbuch „Das allerletzte Interview“ veröffentlicht. In zehn Podcast-Episoden kombiniert sie ihre beiden Leidenschaften: Krimigeschichten und Rapmusik. Sie erzählt die Geschichte von Clara, die einen todbringenden Plan schmiedet und sich als Moderatorin ins Rapgeschäft schleust. 

Clara muss in der von Männern dominierten Branche Kämpfe führen, die Visa Vie aus ihrer eigenen Karriere kennt: Als Frau akzeptiert zu werden, Hass und Sexismus im Netz auszuhalten. Eine Herausforderung, die krank machen kann, wie sie selbst sagt. Visa Vie verrät uns, warum sie sich vielleicht gerade deswegen besonders gut in die Lage der WM-Moderatorin Claudia Neumann versetzen kann.

jetzt: Visa, erzähl uns zu Beginn kurz von Clara.

Visa Vie: Sie ist eine junge, sehr unsichere und sozial inkompetente Frau, die sich als Moderatorin bei einem der größten Hip-Hop-Magazine Deutschlands einschleust. Ihr perfider Plan ist es, dem bekanntesten Rapper Deutschlands ein Geständnis zu entlocken und ihn danach umzubringen. 

Das klingt nach Wut. Was bringt dich in deinem Alltag als Rapmoderatorin zum kochen und wie gehst du damit um?

Es gibt sehr viele dreiste und böse Menschen, denen man insbesondere unter Rap-Videos auf Youtube begegnet. Ich bin seit zehn Jahren dabei und habe die sexistischen Kommentare lange einfach ausgehalten. Eines Tages bin ich damit an die Öffentlichkeit getreten. Habe gesagt, dass auch ich ein Mensch bin und Gefühle habe. Ich habe den Eindruck, dass die Hass-Kommentare seitdem weniger geworden sind. Mit der Zeit habe ich außerdem Schutzmechanismen entwickelt: die Trolle in meinem Kopf entmenschlicht und mir als fiese Monster vorgestellt. Mir immer wieder gesagt, wer ich bin und was ich kann. Und dass es erbärmlich wäre, sich vor diesen Leuten zu ergeben.

Die Geschichte deines Krimis ist fiktiv. Gibt es trotzdem Erlebnisse oder Eigenschaften, die du Clara von dir geliehen hast?

Ich bin wie Clara in die Szene reingerutscht. Es hat gefühlt keine Woche gedauert und plötzlich war ich fester Bestandteil der Rapwelt. Außerdem haben wir beide Flugangst, einen Tinnitus, der auch bei mir durch den Knall einer Schreckschusspistole ausgelöst wurde. Ich habe sie meinen Albtraum – nämlich Paintball spielen – durchleben lassen und mir vorgestellt, wie es sein könnte, wenn ich das mal machen würde.

„Ein Rapper hat seine Gewaltfantasien über mich öffentlich gemacht“

Clara wird gegen ihren Willen begrabscht und erlebt Anfeindungen. Wie viel Wahrheit steckt in diesem Albtraum?

Diese Dinge sind mir stellenweise auch passiert. Das Problem ist aber nicht das Rap-Biz, sondern allgemein die männerdominierte Welt, durch die sich jede Frau schlagen muss.

War die Bedrohung mal so schlimm, dass du deine Karriere aufgeben wolltest?

Ein Rapper, dessen Namen ich jetzt nicht nennen möchte, hat seine Gewaltfantasien über mich öffentlich gemacht. Er hat bei Facebook monatelang Fotos von mir gepostet und sich mit seiner Community darüber ausgetauscht, wie er mich am besten vergewaltigen könnte. Rumfantasiert, wie er mich zum Beispiel mit einer Kettensäge sezieren würde. Da dachte ich kurz, dass ich alles hinschmeißen muss, bevor es mich krank macht. Ich hatte definitiv Angst. Jahre später hat er sich dann öffentlich bei mir entschuldigt, was gut und richtig war. Trotzdem hat dieser Vorfall eine Art Trauma bei mir hinterlassen.

Wie hat die Öffentlichkeit darauf reagiert? 

Ich war noch nicht so bekannt und habe versucht, das Thema komplett zu ignorieren. 2018 könnte sich im Netz keiner mehr so äußern, ohne dass man ihn öffentlich bloß stellt und für verrückt erklärt. Wenn mich heute ein Rapper beleidigt, bekomme ich in den meisten Fällen direkt Unterstützung.

Nina ist Claras erfahrene Vorgängerin und gibt ihr den Tipp, sich in Interviews mit Rappern in einen Eisblock zu verwandeln. Wozu rätst du Praktikantinnen?

In der Rapszene sollte man versuchen, sich möglichst neutral zu verhalten. Wenn man in seinen Interviews nur ansatzweise mit Rappern flirtet oder rumschäkert, wird man nicht ernst genommen. Man darf sich auf keinen Fall aus der Reserve locken lassen. Manche wollen dich testen und provozieren dich absichtlich. Das ist aber auch das Spannende an dieser Branche: Rapper geben viel mehr persönliche Ecken und Kanten preis im Vergleich zu anderen Interviewpartnern wie zum Beispiel Fußballer. Deswegen würde ich lieber einen komplizierten Rapper interviewen als irgendeinen anderen Gesprächspartner, der nichts zu erzählen hat.

„Ich war geschockt, wie rückschrittlich die Fußballwelt ist. Da sind wir ja sogar im Rap gefühlte 30 Millionen Jahre weiter“

Apropos Fußball: Das ist ja auch eine sehr männliche Branche. Aktuell wird das an den Reaktionen auf die WM-Moderatorin Claudia Neumann deutlich. Sie erlebt sehr viel Hass von Fußballfans und erhält Vergewaltigungsdrohungen. Was denkst du darüber?

Ich weiß ganz genau, wie sie sich fühlen muss und was sie durchmacht. Mir tut leid, was ihr da gerade passiert. Außerdem war ich geschockt davon, wie rückschrittlich die Fußballwelt ist. Da sind wir ja sogar im Rap gefühlte 30 Millionen Jahre weiter. Zum Glück gibt es mittlerweile viele Moderatorinnen in unserem Geschäft, nicht wie im Fußball gerade mal ein bis zwei. Sie macht das durch, womit ich noch vor zehn Jahren als Frau gekämpft habe: Menschen aushalten, die sich aufregen und sehr viel dummes Zeug von sich geben. Hoffentlich gewöhnen sie sich schnell an ihren Anblick und vielleicht ist es dann schon bald überhaupt kein Thema mehr, dass sie eine Frau ist. 

Du hast mal mit Bushido über seine homophoben Lines diskutiert. Wie schwer sind kritische Interviews mit Rappern?

Bei allem, was man Bushido vielleicht vorwerfen kann: Er zählt auf jeden Fall zu den eher wenigen, die man auch kritisch interviewen kann. Natürlich sind seine Aussagen in solchen Debatten nicht immer politisch korrekt, aber wenigstens stellt er sich solchen Gesprächen. Viele Rapper können die Kritik an ihrer Musik weniger gut ertragen. Was ich teilweise verstehen kann, da ihre Existenz davon abhängt. Gegenseitige Kritik ist auch schwer, weil alle miteinander befreundet sind und sich nicht auf den Schlips treten wollen. Deswegen werden Rap-Rezensionen vermutlich eines Tages aussterben, weil sich einfach keiner traut, ein Album mal richtig zu zerreißen.

Clara erkämpft sich durch ein Interview mit Rapper Baba endlich Respekt in der von Männern dominierten Community. Hattest du auch so einen Moment?

Auch wenn man mich dabei weniger für meine investigative Arbeit respektiert hat, habe ich ein legendäres Interview mit Haftbefehl geführt. Das war auf jeden Fall was besonders, weil es zum einen sein erstes Interview war und zum anderen sehr ungewöhnlich abgelaufen ist. Wir haben stundenlang geredet und getrunken, am Automaten gespielt. Dabei ist ein sehr offenes und lustiges Gespräch entstanden. Viele verbinden mich aber auch mit einem Interview mit Celo und Abdi, bei dem wir zusammen gekocht haben. Oder die teils legendären Rap-Quizze oder Festival-Berichte. Anders als bei Clara sind es also nicht unbedingt die Interviews mit inhaltlicher Tiefe, sondern eher lockere und witzige Formate.

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