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„Ich will eine Stimme für geflüchtete Menschen in der Politik sein“

Tareq Alaows will für die Grünen in den Bundestag.
Foto: Frank Weber

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Vor mehr als fünf Jahren hat Tareq Alaows Syrien verlassen, er floh vor dem Bürgerkrieg und dem Militärdienst. In Deutschland wurde er bald politisch aktiv, in einer Gruppe, die sich für die Rechte Geflüchteter einsetzt, und als Mitinitiator der Bewegung „Seebrücke“ für sichere Fluchtwege und eine Entkriminalisierung der Seenotrettung. Nun möchte er seine Arbeit gerne im Bundestag fortsetzen: Vor Kurzem wurde der 31-Jährige zum Direktkandidat der Grünen für den Wahlkreis Dinslaken/Oberhausen gewählt. Ein Gespräch über seinen Start in einer deutschen Turnhalle, konstruktive Wut und eine mögliche schwarz-grüne Koalition.

Aktualisierung vom 30.3.2021: Tareq Alaows hat seine Bundestagskandidatur mittlerweile zurückgezogen. Grund dafür ist laut einer Pressemitteilung insbesondere die gefährdete Sicherheit seines engsten Umfelds. Alaows sagt, er habe während seiner Kandidatur massive Rassismus-Erfahrungen gemacht: „Die hohe Bedrohungslage für mich, und vor allem für mir nahestehende Menschen, ist der wichtigste Grund für die Rücknahme meiner Kandidatur.“

jetzt: Als du vor zwei Wochen deine Kandidatur angekündigt hast, hat das eine Menge Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Irgendwie auch erschreckend, dass es immer noch etwas so Besonderes ist, wenn ein Mensch mit Fluchtgeschichte für den deutschen Bundestag kandidiert, oder?

Tareq Alaows: Erschreckend würde ich nicht sagen, sondern es zeigt, wie notwendig eine solche Kandidatur ist. Ich hoffe, dass ich damit auch weitere Menschen motivieren kann, sich politisch zu beteiligen. Wobei ich ja keine Ausnahme bin: Es gibt viele Geflüchtete, die parteipolitische Arbeit machen, bei den Grünen, den Linken, der SPD, die in der Wirtschaft, der Bildung, der Kunst aktiv sind.

Ist das ein Grund für deine Kandidatur? Dass du ein Vorbild sein willst?

Ich will vor allem eine Stimme für geflüchtete Menschen in der Politik sein. Meine Perspektive fehlt in der Bundespolitik – natürlich nicht meine persönliche, aber die einer Person, die von der Asyl- und Migrationspolitik in diesem Land betroffen ist. Das wird aber nicht mein einziges Thema im Bundestag sein. 

Sondern?

Die Klimakrise betrifft alle Menschen, aber besonders Geflüchtete und die Menschen im globalen Süden, die heute noch nicht geflüchtet sind, denn sie verstärkt Verteilungskonflikte. In Al-Hasaka im Nordosten Syriens wurden im letzten Sommer zum Beispiel über 50 Grad gemessen, dadurch war die Ernte bedroht, auf die die Menschen in dieser Kriegssituation dringend angewiesen sind. Wenn das so weitergeht, führt das zu einer Verschärfung der Situation in Syrien. Laut einer Studie von Greenpeace, könnten im Jahr 2040 weltweit 200 Millionen Menschen aufgrund der Klimakrise auf der Flucht sein. Und die Ursache dafür liegt hier bei uns, wir können das ändern. 

„Deutschland war erst mal gar nicht mein Ziel, sondern ein Leben in Sicherheit und Würde“

Du warst bereits in Syrien politisch aktiv, oder?

Genau. Ich habe meine politische Bildung von meinem Vater, er war Journalist und hat zu Beginn der Revolution an friedlichen Demonstrationen teilgenommen. Schon seit meiner Jugend lag mir das Thema Menschenrechte am Herzen. Darum habe ich zum Beispiel humanitäre Nothilfe beim Roten Halbmond geleistet und in Kriegsgebieten Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Ich habe noch bis zum letzten Tag vor meiner Flucht gearbeitet und mich dann mitten in der Nacht auf den Weg gemacht.

Bist du wegen deines Engagements geflohen? 

Zum Teil, aber auch, weil ich zu einer religiösen Minderheit gehöre, den Drusen, die damals größtenteils als Assad-Anhänger gesehen und dafür von seinen Gegner*innen verurteilt wurden, obwohl unter uns viele Aktivist*innen waren. Und, weil ich sonst zum Militärdienst eingezogen worden wäre.

Wie bist du nach Deutschland gelangt?

Deutschland war erst mal gar nicht mein Ziel, sondern ein Leben in Sicherheit und Würde. Wenn das in der Türkei oder irgendwo anders möglich gewesen wäre, wäre ich auch dort geblieben. Ich bin über die Türkei und Lesbos nach Athen geflohen, dann über die Balkanroute größtenteils zu Fuß durch Europa gelaufen und im September 2015 in Dortmund angekommen. Dort hatte ich das erste Mal das Gefühl: „Hier ist mein Leben nicht mehr bedroht, ich bin nicht in Gefahr.“ Darum habe ich mich in Deutschland registrieren lassen.

Wie waren deine ersten Wochen in Deutschland?

Ich hatte dieses Gefühl von Sicherheit, aber ich war dann sehr bald enttäuscht von den Lebensbedingungen für Geflüchtete: Ich wurde in eine ehemalige Militäranlage im Sauerland verlegt, danach in mehrere Städte und lebte schließlich in einer Turnhalle in Bochum mit 60 weiteren Menschen. Das war die schwierigste Zeit für mich. 

Warum?

Ich dachte: „Ich muss die Sprache lernen, das ist der Schlüssel für mich in diesem Land.“ Aber es gab keine Möglichkeit, während des Asylverfahrens einen Deutschkurs zu machen, und die Verfahren haben sich in die Länge gezogen, weil die Behörden nicht hinterher kamen. Auch ansonsten war in unserem Leben alles vorgegeben: Wir konnten nicht mitbestimmen, was wir essen oder wer uns wann besuchen kam, sogar der Schlaf war vorgegeben, denn in der Turnhalle wurden um 22 Uhr die Lichter ausgemacht. Zum Teil war das angemessen, weil dort auch Familien mit Kindern gelebt haben, aber es gab eben keine Privatsphäre. So ging das sechs oder sieben Monate lang. Ich habe versucht, in der Turnhalle zu helfen, und habe zum Beispiel Menschen zum Krankenhaus begleitet, weil ich Englisch sprach und etwas Deutsch. Aber ich wusste: Das Problem liegt woanders, es ist politisch. Darum habe ich gemeinsam mit anderen die Gruppe „Refugee Strike Bochum“ gegründet. Wir haben politische Aktionen gemacht. 

Zum Beispiel ein mehr als zweiwöchiges Protest-Camp vor dem Bochumer Rathaus. Hat es was gebracht?

Ja! Die Stadtverwaltung hat mit uns gesprochen, nicht mehr über uns, und wir haben Lösungsvorschläge mitgebracht. Plötzlich gab es eine neue Außenstelle des Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. d. Red.), die die Anträge aus Bochum bearbeitet hat. Geflüchtete konnten sich auch mit einem noch laufenden Asylverfahren eine Wohnung suchen und es wurden frühere Deutschkurse angeboten. Ich habe in dieser Zeit viel über Kommunalpolitik gelernt und die Stadt hat von unseren Vorschlägen profitiert, das war für beide Seiten gut. 

Ein sehr konstruktiver Ansatz. Du hättest damals ja auch einfach wütend sein können auf Deutschland.

Ich war wütend. Aber ich habe das eben im positiven Sinne eingesetzt. Ich muss erst wissen, worauf ich wütend oder wovon ich enttäuscht bin, und dann überlegen, welche Lösungen es gibt. Es ging ja zum Beispiel nicht um Deutschland, sondern um die konkreten Lebensbedingungen.

„Es muss mehr Spielräume für die Arbeitserlaubnis für Geflüchtete geben“

Du hast eben gesagt, die Asylverfahren hätten sich hingezogen. Du hast aktuell einen unbefristeten Aufenthaltsstatus. Wie lange hat es bis dahin gedauert?

Von September 2015 bis Februar 2017. Ich kenne auch Leute, die zwei oder zweieinhalb Jahre im Asylverfahren waren. Gerade darum denke ich, dass es mehr Spielräume für die Arbeitserlaubnis für Geflüchtete geben muss. Ich habe acht Monate nach meiner Ankunft angefangen zu arbeiten, mein Chef wollte mich unbedingt im Team haben und hat an die Behörden geschrieben, warum genau ich diese Stelle haben muss. Er hat drei Monate auf meine Arbeitserlaubnis gewartet – und das war kurz. Ich arbeite aktuell als Rechtsberater für Asyl- und Aufenthaltsrecht und manchmal dauert es bis zu acht Monate, bis jemand eine Arbeitserlaubnis bekommt. Wenn sich das so sehr verzögert, verpassen die Menschen viele Chancen. Das müssen wir ändern und da sehe ich meine Verantwortung als zukünftiger Politiker.

2017, bei den ersten Bundestagswahlen, die du in Deutschland erlebt hast, ist die AfD in den Bundestag eingezogen. Wie hast du als Geflüchteter das erlebt?

Ich habe einfach gedacht: Wir brauchen ganz viel Aufklärungsarbeit in unserer Gesellschaft und müssen deutlich machen, dass die AfD keine Alternative aufzeigt. Diese Partei bietet Hass, Rassismus und Diskriminierung an, keine Inhalte, nur Spaltung. Und wer braucht Spaltung? Niemand. Es gibt keine Konkurrenz zwischen Geflüchteten und dem Rest der Gesellschaft. Und wenn einer sagt: „Ich setze mich für die Rechte Geflüchteter ein“, dann setzt er sich letztlich für Menschenrechte ein – und damit für alle Menschen, denn die Menschenrechte sind unteilbar.

Warum hast du dich entschieden, für die  Grünen zu kandidieren?

Ich fühle mich bei den Grünen politisch zuhause und vertreten, weil es eine Partei ist, die das Thema Vielfalt für sich beansprucht hat und sich für eine offene Gesellschaft einsetzt. Die Grünen sind aus einer sozialen Bewegung entstanden und arbeiten heute noch viel mit Bewegungen zusammen. Viele Kommunen, die von den Grünen mitregiert werden, sind zum Beispiel „Sichere Häfen“, für die wir uns mit der „Seebrücke“ eingesetzt haben.

CDU und CSU fahren asylpolitisch einen härteren Kurs als die Grünen. Innenminister Seehofer hat im vergangenen Jahr sogar versucht, die private Seenotrettung zu blockieren, für die du dich ja stark machst. Was würdest du davon halten, wenn es nach der Bundestagswahl zu einer schwarz-grünen Koalition käme?

(denkt nach) Weitere Verschärfungen des Asylrechts höhlen die Menschenrechte aus. Wenn das Thema also aufkommen würde, würde ich mich immer dafür einsetzen, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Das ist eine grundlegende Frage, da gibt es richtig und falsch. Ich bin mir sicher, dass ich mich mit den Grünen für das Richtige einsetzen würde und dass wir die Union an ihre christlichen Werte erinnern würden.

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