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„Bei der FDP hatte ich das Gefühl, die denken an uns“

Foto: Ljupco Smokovski / Adobe Stock; Bearbeitung: jetzt

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Wenn Lilly über die Grünen spricht, klingt sie begeistert. „Mein Herz schlägt für sie“, sagt die 22-jährige Geologie-Studentin dann. Trotzdem hat sie bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag nicht die Grünen, sondern mit beiden Stimmen die FDP gewählt. Klima- und Umweltthemen seien ihr zwar wichtig, sagt sie im Interview, und sie habe auch lange auf ihrer Wahlentscheidung herumgedacht, aber: „Bei den Grünen sagt man ja, das sei eine Verbotspartei. Und das stört mich manchmal auch, dass es da so negative Ansätze gibt, während die FDP offener gestaltet und irgendwie … positiver.“ Auf Nachfrage spricht sie von dem Plan im Klimaschutzsofortprogramm der Grünen, Kurzstreckenflüge langfristig zu streichen. An sich finde sie das ja nicht schlecht: „Aber mich stört einfach die Art des Denkens. Ich finde, man sollte lieber was Neues machen, statt was Altes zu verbieten.“ 

Lilly ist einer der jungen Menschen, über die man in Deutschland derzeit viel spricht – sie gehört zu den 20 Prozent der Wähler:innen unter 30, die ihre Stimme der FDP gegeben haben. Direkt nach den Grünen sind die Liberalen damit die beliebteste Partei bei jungen Menschen. Viele wundern sich darüber: Wurde diese Bundestagswahl im Vorfeld nicht immer als „Klimawahl“ bezeichnet? Und ist die FDP nicht die einzige Partei (abseits der AfD, die nicht handeln will), die sich bis 2050 Zeit lassen will, bis Deutschland klimaneutral wird? 

Aber viele sind eben gar nicht der Meinung, dass sich FDP zu wählen und Klimaschutz ausschließe. Nicht nur Lilly, die sich Klimaschutz ohne „Verbote“ wünscht. Beispielsweise auch Max, 24, der schon bei seiner Wahlentscheidung auf eine Ampel gehofft hat. 

„Ich hab mit meiner Wahl versucht, dass es ne Ampel wird“

Max ist jemand, den viele auf den ersten Blick wohl als typischen FDP-Wähler bezeichnen würden: Er arbeitet aktuell bei einem Start-up in London, hat aber auch selbst eines gegründet („eher 'ne Art Hobby-Start-up“), davor studierte er Betriebswirtschaftslehre in München. Schon im Studium wurde er durch die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung gefördert. Für ihn war es – wie schon 2017 – klar, die FDP zu wählen: „Die Partei steht für Innovation, Digitalisierung und Bürokratieabbau.“

Aber er sagt auch: Wenn er in seiner Heimatstadt Trier hätte wählen können, wäre seine Stimme an die SPD-Direktkandidatin Verena Hubertz gegangen. Denn die hat selbst ein Start-up gegründet. „Die Person, die ich wähle, muss Ahnung von Wirtschaft und von Start-ups haben und wissen, wie man das ökologisch und sozial gestaltet“, erklärt er. Wie auch Lilly erhofft Max sich diese „ökologische“ und „soziale“ Gestaltung aber nicht direkt von der FDP, sondern aus deren Zusammenarbeit mit SPD und Grünen, die da „ambitionierter“ seien. „Ich hab mit meiner Wahl versucht, dass es 'ne Ampel wird“, erklärt er, „Alle, die ich kenne, wollen eine Ampel.“

Die meisten thematischen Überschneidungen mit dem Programm der FDP hat die Union. Warum haben dennoch nur elf Prozent der unter 30-Jährigen ihre Stimme der CDU/CSU gegeben? Unter allen Befragten ist der Groll auf die Union groß. Ihre Politiker:innen seien „korrupt“ (wegen der Masken-Deals) oder „zu konservativ“ oder in ihren Ansichten – gerade im Hinblick auf Gleichberechtigung – „veraltet“. Die Union zu wählen, sei deshalb gar nicht in Frage gekommen.

Einmal, so erzählt Lilly, habe eine Person in ihrem Umfeld sie „heuchlerisch“ genannt, weil sie sich für Klima- und Tierschutz einsetzen will und trotzdem die FDP wählt. An ihrer Entscheidung zweifelte sie deshalb aber nicht, eher an der Person, die ihr das vorgeworfen hatte. „Viele meiner Freunde würden meine Wahl nicht verurteilen“, sagt sie. Auch nicht in ihrer Familie – ihr Vater ist FDP-Mitglied.

Lilly hat zwei Nebenjobs, wohnt in einer WG, als „reich“ würde sie sich selbst nicht bezeichnen. „Sagen wir es so: Ich bin mir bewusst, dass ich in gewissen Punkten privilegiert bin. Ich bin zum Beispiel weiß und meine Eltern sind in der Lage, mir mein Studium und eine Wohnung zu finanzieren“, sagt sie. In Berlin oder München zu studieren, könne sie sich trotzdem nicht leisten. Weil sich die FDP für Bildungsgerechtigkeit einsetze, sei ihre Wahl auch eine Möglichkeit, ihre Privilegien zu nutzen, denn: „Ich habe das Gefühl, dass viele gesellschaftliche Probleme durch eine bessere Bildungspolitik gelöst werden können, zum Beispiel auch Rassismus, und das ist mir wichtig.“ 

Eine Art „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“-Kompromiss in Sachen Klimaschutz

Das neoliberale Versprechen von Freiheit, Wohlstand und sozialem Aufstieg scheint gut anzukommen. Nicht nur bei Lilly, sondern auch bei allen anderen der fünf jungen Wähler:innen, die in diesem Text zu Wort kommen. Immer wieder fielen FDP-Buzzwords wie „Innovation“ und „Fortschritt“. 

Sie alle wollen mehr Klimaschutz, gerne auch mittels „technischer Innovation“ à la FDP, aber dabei trotzdem keine „Verbote“, keinen oder wenig Verzicht – sprich: nicht die Aussicht auf gestrichene Kurzstreckenflüge oder höhere Benzinpreise. Denn das würde sie in ihren individuellen Lebenssituationen unmittelbar beeinträchtigen. Die Klimakrise scheint eine Gefahr, der man zwar schon politisch begegnen sollte, aber möglichst so, dass man selbst es nicht spürt. Die Hoffnung ist eine Art „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“-Kompromiss in Sachen Klimaschutz – als Ergebnis von Verhandlungen zwischen FDP und Grünen. 

Auch Elisabeth, 24, wäre zufrieden mit der Ampel-Koalition, rot-rot-grün wäre für sie nämlich gar nicht gegangen, sogar noch weniger als die GroKo: „Ich finde, dass unser Land aus der Mitte regiert werden muss und alle politischen Interessen abgedeckt werden. Mich selbst würde ich voll in der Mitte, vielleicht noch einen Zentimeter rechts der Mitte, sehen“, sagt sie.

Elisabeth studiert in Bayreuth Wirtschaft und hat vor vier Jahren noch grün gewählt. Doch jetzt sagt sie: „Meine Lebenssituation hat sich geändert. Vor vier Jahren war ich noch Angestellte, jetzt bin ich Studentin – da hat mir die FDP einfach mehr versprochen als die Grünen. Vor allem, weil ich auf dem Land wohne und regelmäßig in die Uni fahre, hat mich der höhere Benzinpreis, den die Grünen planen, gestört.“

Die Grünen wollen aus Klimaschutzgründen den CO2-Preis erhöhen: Bis 2023 sollen die Benzinpreise um 16 Cent je Liter steigen, also um einen Cent mehr als von der vergangenen Bundesregierung vorgesehen und zwei Jahre früher. Dafür wollen sie Bahnfahren günstiger und damit attraktiver machen – und von 2030 an nur noch Elektroautos neu zulassen. Ein Elektroauto aber will Elisabeth nicht: „Auf dem Land kann man nicht mal schnell zur E-Haltestelle fahren, außerdem fahre ich meistens Langstrecken, da sind E-Autos auch keine Option.“

„Ich bin kein rich kid“, erklärt sie. Das sei aber kein Widerspruch zur FDP

Am wichtigsten bei der Wahlentscheidung war ihr aber die Forderung nach elternunabhängigem Bafög: „Ich bekomme kein Bafög, obwohl meine Eltern echt nicht im Geld schwimmen. Weil ich spät mit dem Studieren angefangen habe, will ich mich trotzdem selbst finanzieren.“ Dass das Bafög reformiert gehört, darüber sind sich allerdings alle Parteien einig. Elternunabhängiges Bafög forderten nicht nur FDP, sondern auch Grüne und Linke. Die FDP scheint das gegenüber den Studierenden deutlicher kommuniziert zu haben. Gerade in der Coronakrise sei, so Elisabeth, das Thema Bildung an den Unis oft unter den Tisch gefallen: „Bei der FDP hatte ich das Gefühl, die denken an uns.“ 

Was Studierende wie Elisabeth in der Regel auch stark betrifft: steigende Mieten. Die Studentin sagt, sie sei „mittelständisch“ aufgewachsen und könne es sich nicht leisten, in Großstädten wie München und Berlin zu wohnen, dafür zahlt sie gerade nur 180 Euro Miete in Bayreuth. „Also ich bin kein rich kid“, erklärt sie. Das sei aber kein Widerspruch zur FDP. Nach aktuellem Wahlprogramm werde die ihrer Meinung nach dem Ruf als Reichenpartei nicht mehr gerecht. Dass sich die Partei auch gegen Mietendeckel und Mietpreisbremse ausspricht, stört sie nur minimal. „Man muss ja nicht zwingend in München wohnen“, sagt sie. Günstigere Mietpreise wünscht sie sich trotzdem, aber das solle der Markt durch Angebot und Nachfrage regeln. „Die FDP könnte da schon ein bisschen sozialer sein, aber dafür hat man ja eine Regierung, die nicht nur aus der absoluten Mehrheit einer Partei besteht.“

Gerade der Studierenden-Wahlkampf der FDP hat auch Lexi, 22, Sportstudentin aus Regensburg, überzeugt. Sie selbst musste wegen kleinerer Rückfragen zum Gehalt der Eltern acht Monate lang auf ihr Bafög warten und erhofft sich von der FDP eine Entbürokratisierung. Wichtig war ihr auch das Thema mentale Gesundheit, denn: Die FDP will die Therapieplätze für Studierende ausbauen und die Wartezeiten verkürzen. „Das finde ich sehr wertvoll“, sagt Lexi. Sie selbst kommt aus einem nicht-akademischen Haushalt und hatte Schwierigkeiten, sich ohne Hilfe aus dem Umfeld an der Uni zurechtzufinden. Da haben sie zum Beispiel „Aufstiegspatenschaften“ der FDP überzeugt, bei denen mithilfe von Patenschaften mit Organisationen wie Arbeiterkind.de „Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten“ gerade bei Fragen zur Studienfinanzierung, Bewerbung für Stipendien und Planung von Auslandssemestern zu unterstützen. Einzig bei den Mieten sei sich Lexi mit der FDP uneinig gewesen. Sie selbst zahlt aktuell 400 Euro und findet das zu teuer. „Das war auch ein Punkt, wo ich gezögert habe, die FDP zu wählen“, sagt sie. Die bildungspolitischen Pläne haben sie dann aber doch dazu bewegt. Und dass die FDP auch Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und LGBTQ-Rechte aufgreift. Wieder ist die FDP nicht die einzige Partei, die das laut Wahlprogramm erreichen will.

Wie für die anderen Befragten war auch für Moritz, 25, die Union keine Option. Dennoch war er unentschieden, der Wahlzettel lag fast zwei Wochen lang mahnend herum. „Ist halt schwierig“, sagt er, „ich schwankte zwischen SPD, Grünen und – auch wenn das abstrus klingt, die da mit einzunehmen – der FDP.“ Moritz wohnt in Armin Laschets Heimat Aachen, sein Umfeld wähle eher links-grün. Er selbst hat in Aachen ein duales Studium in Maschinenbau absolviert, arbeitet schon seit vier Jahren als Konstrukteur bei einem großen deutschen Automobilzulieferer. Mit seiner Freundin, so sagt er, diskutiert er oft über Politik. Die hätte ihm auch mal vorgeworfen, er habe doch gar nicht genug Geld, um die FDP zu wählen. Was er darauf geantwortet hat? „Ja, sie machen schon manchmal Klientelpolitik für Spitzenverdiener. Aber es war doch niemand hundertprozentig zufrieden mit seiner Stimme, oder?“

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