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„Ich gehe sehr offen damit um, dass meine Mutter alleinerziehend war und als Putzkraft gearbeitet hat“

Foto: Jörg Diekmann

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Philosophie-Student, Arbeiterkind, Fokus auf soziale Gerechtigkeit: Die Biografie von Jens Teutrine, 26, entspricht nicht gerade dem Klischee, das viele von einem FDP-Mitglied haben. Ende August löste er mit 91 Prozent der Stimmen und ohne Gegenkandidat*innen Ria Schröder, die bisherige Vorsitzende der Jungen Liberalen, von ihrem Posten ab. Wir sprechen mit ihm darüber, wie seine Partei die großen Probleme unserer Generation lösen will und wie er junge Menschen davon zu überzeugen will, FDP zu wählen.

jetzt: Du studierst Philosophie, bist ein Arbeiterkind – wie oft hast du mittlerweile gehört, dass du nicht gerade der Klischee-JuLi bist?

Jens: Tatsächlich recht häufig. Ich gehe sehr offen damit um, dass meine Mutter alleinerziehend war und als Putzkraft gearbeitet hat, um unsere kleine Familie zu ernähren. Aber ich bin bei den JuLis mit diesem Hintergrund bei weitem nicht alleine.

Wie haben dein familiärer Hintergrund, deine Kindheit und deine Jugend dich dazu gebracht, in die FDP einzutreten?

Ich ging als Kind zunächst auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Sprache, weil ich eine Sprachbehinderung hatte. Aber mit individueller Förderung, viel Unterstützung und etwas Fleiß, konnte ich viele Schwierigkeiten überwinden. Das ist etwas, dass sich in den Werten der FDP widerspiegelt. Nicht die Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder der soziale Hintergrund sollen über Chancen im Leben entscheiden, sondern Charakter, Leistung und Fleiß. Liberale trauen Menschen etwas zu. Wir wollen Menschen unterstützen, die vorankommen, aufsteigen wollen und sich dafür anstrengen. Anders als linke Parteien gönnen wir den Menschen dann aber auch, in den Urlaub zu fahren oder ein eigenes Auto zu kaufen, statt Neid und Missgunst zu sähen.

Wie meinst du das?

Gerechtigkeit bedeutet für mich nicht, dass möglichst alle gleich viel haben und viel umverteilt wird, sondern dass faire Chancen für jeden Einzelnen ermöglicht werden. Wir wollen die Durchlässigkeit in unserer Gesellschaft erhöhen und Menschen die Tür für den Fahrstuhl des sozialen Aufstiegs öffnen. Linke Parteien fokussieren sich dagegen häufig ausschließlich auf ganz wenige angebliche „Superreiche“. Dabei fordern sie zum Teil Enteignungen und immer mehr und neue Steuern.

Aber dieses Geld soll ja nicht einfach nur den Reichen weggenommen werden. Dahinter stecken doch auch Konzepte, um Chancengleichheit zu schaffen.

Wenn Geld einfach nur für Sozialleistungen umverteilt wird, dann ist das kein Konzept für Chancengerechtigkeit, sondern sorgt für mehr Abhängigkeit der Bürgerinnen und Bürger vom Staat. Chancengerechtigkeit schafft man durch ein starkes Bildungssystem und echte Aufstiegschancen. Dafür braucht es aber vor allem eine andere Prioritätensetzung im Bundeshaushalt. Neiddebatten helfen uns nicht weiter. Wir sollten nicht die ganze Zeit darüber reden, wie wir die Reichen weniger reich machen, sondern viel lieber darüber, wie wir mehr Menschen reich machen. Ich wünsche mir, dass der German Dream für jede und jeden greifbar ist – unabhängig von den eigenen Startchancen.

„Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, sonst hätte ich damals für Thomas Kemmerich definitiv keinen Wahlkampf gemacht“

Wie will die FDP stattdessen für mehr Chancengleichheit sorgen?

Eines unserer Projekte ist beispielsweise das Kinderchancengeld. Es gibt derzeit 150 verschiedene Leistungen, die Eltern für ihre Kinder zur Unterstützung bekommen können. Das ist nicht nur unübersichtlich, sondern auch ein enorm hoher bürokratischer Aufwand. Wir wollen den Zugang zu diesen Leistungen erleichtern, indem wir diese  bündeln und ein neues Kindergeld auf drei Säulen aufbauen: ein monatlicher Basisbetrag von 200 Euro, ein Flexibetrag von bis zu 200 Euro, der sich nach dem Einkommen der Eltern richtet, und ein Chancenpaket mit nicht materiellen Leistungen wie Nachhilfe.

Thomas Kemmerich ließ sich im Februar diesen Jahres mit Stimmen der AfD zu Thüringens Ministerpräsident wählen. Viele Menschen, vor allem junge, haben dadurch Vertrauen in die FDP verloren. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, sonst hätte ich damals für Thomas Kemmerich definitiv keinen Wahlkampf gemacht. Es war ein Fehler, dass Thomas Kemmerich die Wahl tatsächlich angenommen hat. Das konnte ich damals nicht nachvollziehen und heute auch nicht. Es schwächt die demokratischen Institutionen, wenn man sich zum Spielball von Höcke und Co. machen lässt. Und es stimmt: Dadurch hat leider die Partei an Vertrauen verloren. Doch dieses Vertrauen müssen wir zurückgewinnen.

Es gibt auch ansonsten einfachere Zeitpunkte, um JuLi-Vorsitzender zu werden. Die Partei befindet sich gerade in einem Abwärtstrend. Wäre jetzt Bundestagswahl, würdet ihr nur fünf bis sechs Prozent bekommen. Hast du Sorge, dass ihr die Fünf-Prozent-Hürde bei der nächsten Bundestagswahl nicht knackt?

Ich bin mit den Status-quo nicht zufrieden und hätte mir eine bessere Ausgangslage für die anstehende Bundestagswahl gewünscht. Aber ich habe keine Zweifel daran, dass wir 2021 im Bundestag vertreten sein werden. 2016 waren wir in einer ähnlichen Umfragesituation, bekamen aber durch ein überzeugendes Programm und einen starken Wahlkampf bei der Bundestagswahl ein Jahr später mehr als zehn Prozent der Stimmen. Das wird jetzt auch wieder möglich sein, zumal Angela Merkel nicht mehr als Kanzlerkandidatin antritt. Dadurch werden die Karten neu gemischt.

Inwiefern können die JuLis zu einer Trendwende beitragen?

Wir werden die Perspektiven und Wünsche junger Menschen einbringen und so das Parteiprogramm beeinflussen und junge Menschen für die FDP gewinnen. Beispielweise beantragen wir beim kommenden FDP-Bundesparteitag der Herabsetzung des Wahlrechts auf 16 Jahren und setzen uns gemeinsam mit der FDP für ein elternunabhängiges BaföG ein. Bei den Jung- und Erstwählern hat die FDP immer besonders gut abgeschnitten. Als JuLis drängen wir darauf, dass die FDP jungen Menschen attraktive Angebote macht und sie und ihre Anliegen ernst nimmt. Wenn wir den Eindruck haben, dass jugendpolitische Anliegen nachlässig behandelt werden, machen wir uns bemerkbar, so wie wir es immer getan haben. Wir sind loyal, aber auch kritisch.

„Wir sind überzeugt, dass Klimaschutz und Marktwirtschaft keine Widersprüche sind“

Ein großes Thema für junge Menschen ist der Klimaschutz. Wie setzt sich die FDP gegen den menschengemachten Klimawandel ein?

Unsere Lösung ist es, den Emissionshandel, der auch innerhalb der EU bereits betrieben wird, weiterzuentwickeln. Es braucht ein Treibhauslimit, wie viel CO2 und andere schädliche Treibhausgase maximal ausgestoßen werden dürfen, um die Klimaziele zu erreichen. Länder, Branchen und Unternehmen können dann CO2-Scheine kaufen und verkaufen, die zum Ausstoß berechtigen. Das führt automatisch dazu, dass Unternehmen profitieren, die klimafreundlich sind, Potenziale ausschöpfen und auf Innovationen setzen, um mit klimaschonenden Methoden Geld zu sparen und Zertifikate zu verkaufen. Wir sind überzeugt, dass Klimaschutz und Marktwirtschaft keine Widersprüche sind, sondern dass nur marktwirtschaftliche Mechanismen langfristige Lösungen gegen den Klimawandel ermöglichen.

Wie hoch soll denn der maximale CO2-Ausstoß in Deutschland sein?

Dies sollte kein politischer Überbietungswettbewerb sein, sondern sich nach den vereinbarten Klimazielen richten. In dieser Frage sollten wir auf Wissenschaftler und Experten hören.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner wurde vergangenes Jahr kritisiert, als er in Bezug auf Fridays for Future sagte, Klimaschutz sei was für Profis. Hast du in letzter Zeit mit FFF-Anhängern gesprochen, wie sie deine Partei wahrnehmen?

Ich habe zum Beispiel in der Neuen Ruhr Zeitung mit Samuel Nellessen von Fridays for Future gesprochen. Ich denke, die FDP hat auf jeden Fall sehr gute klimapolitische Konzepte, mit denen auch junge Menschen überzeugt werden können. Das heißt allerdings nicht, dass wir mit allem übereinstimmen, was FFF sagt. Den Klimawandel zu nutzen, um unser gesamtes Wirtschaftssystem umzuwerfen, halte ich für falsch. Nicht Deindustrialisierung und pauschale Wachstumskritik retten das Klima, sondern Forschung, Entwicklung und globale Kooperation.

Kommen wir noch einmal zu dir: Du studierst Philosophie in Bielefeld und schreibst gerade deine Bachelorarbeit. Welches Thema behandelst du darin?

Ich vergleiche unterschiedliche Gerechtigkeitstheorien.

Inwiefern hilft dir das Philosophiestudium bei deiner politischen Arbeit?

Es hilft mir zum Beispiel, auch mal über den eigenen Tellerrand hinweg zu gucken und mich in andere Perspektiven hineinzudenken. Man beschäftigt sich einfach auch ganz grundsätzlich mit Themen. Es hat sicherlich auch dazu geführt, dass ich mich mit einfachen Antworten nicht zufriedengebe, sondern immer nach tatsächlich tragenden Lösungen suche.

Als Philosophiestudent musstest du dir bestimmt auch anhören, dass du danach keinen Job finden wirst. Was entgegnest du?

Klar, habe ich auch gehört, dass ich danach als Taxifahrer arbeiten werde, aber das stimmt einfach nicht. Studiengänge wie Philosophie bereiten einen zwar nicht auf einen spezifischen Beruf vor. Aber du lernst so viele Softskills und Dinge, die deinen Horizont erweitern und dir später auf eine andere Art nützlich sein können. Ich wollte bei meinem Studium meinen Interessen und Leidenschaften folgen. Mir war es wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen. Außerdem kann man auch Wissen und Kompetenzen abseits des Studiums erlernen. Deswegen würde ich jedem raten, sich neben dem Studium zu engagieren, in einer Partei, einer NGO oder auch dem Verein vor Ort. Dabei sammelt man wertvolle praktische Erfahrungen, die einem im Beruf, aber auch bei der persönlichen Entwicklung sehr weiterhelfen werden.

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