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In dieser WG wohnen politische Gegensätze zusammen

Die Schweizer Abgeordneten Andri Silberschmidt, Franziska Ryser und Mike Egger in ihrer WG-Küche in Bern.
Foto: Alessandro Della Valle / Epa-Efe / Shutterstock

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Sie haben schon eine Marke aus ihrer Idee gemacht: „Ryser/Egger/Silberschmidt“ steht auf dem Briefkasten in dem Mehrfamilienhaus im Südwesten von Bern. Und drunter: „#PolitWG“.

Seit wenigen Wochen wohnen in dieser Viereinhalb-Zimmer-Wohnung drei junge Parlamentarier. Das ist in der Schweizer Bundesstadt an sich nicht ungewöhnlich, schließlich müssen hier vier Mal im Jahr für je drei Wochen Dutzende Abgeordnete aus der ganzen Schweiz unterkommen. Nicht alle leisten sich für diese Zeit ein Hotelzimmer, viele nehmen sich lieber Apartments oder tun sich mit Parteikollegen zusammen. Hier wohnen nun eine Grüne aus dem Kanton St. Gallen, ein Abgeordneter der liberalen FDP aus Zürich und einer der rechtskonservativen SVP, ebenfalls aus St. Gallen, zusammen. So viel überparteiliche Tuchfühlung ist auch in der kompromissorientierten Schweizer Politik eine kleine Sensation.

Mike Egger, 27 Jahre alt, gelernter Metzger und Betriebswirt, wischt noch schnell den Wohnzimmertisch ab, bevor er einen Sitzplatz und eine Milchschnitte anbietet. Die Wohnung ist spärlich eingerichtet, neben einem Tisch, mehreren Stühlen und einer Kommode ist das Wohnzimmer praktisch leer. In den drei Zimmern stehen Betten und Kleiderstangen, ein paar Papierstapel liegen säuberlich sortiert auf dem nackten Boden. „Wir hatten drei Tage Zeit zwischen der Schlüsselübergabe und dem Beginn der Session“, erklärt Andri Silberschmidt, 25, gelernter Banker und Gründer einer Restaurantkette. „Ehrlich gesagt waren wir schon froh, dass wir etwas zum Schlafen und warmes Wasser hatten.“

Von Silberschmidt stammt die Idee der Wohngemeinschaft. Als er im Oktober überraschend für die FDP in den Nationalrat gewählt wurde, stand er vor der Frage, wo er während der Sitzungsperiode unterkommen sollte. Sein ehemaliger Chef in Zürich brachte ihn auf die Idee, sich mit jungen Abgeordneten anderer Parteien zusammenzutun, um der Filterblase der eigenen Partei zu entkommen. Silberschmidt gefiel der Gedanke sofort, erzählt er, schließlich mache das ja die Schweizer Politik mit ihrem Konkordanzsystem aus: die Anliegen anderer verstehen und darauf Rücksicht nehmen. „Denn letztlich sind wir alle Minderheiten, keiner kann die anderen einfach überstimmen.“

Silberschmidt recherchierte, wer in einer ähnlichen Situation wie er ist und stieß zunächst auf den jungen SVP-Politiker Mike Egger, der als Nachrücker zwar schon seit einem Jahr im Nationalrat sitzt und nun wiedergewählt wurde, bisher aber in Hotels und Jugendherbergen schlief, wenn er in Bern war. „Ich hab am Telefon sofort zugesagt“, sagt Egger. „Wir müssen im Gesundheitssystem und in der Altersvorsorge viele Probleme lösen, da ist es wichtig den parteilichen Horizont zu öffnen.“ Außerdem mag er das Schweizer System: sich erst im Parlament eine hitzige Debatte liefern und dann zusammen ein Bier trinken. „Das möchte ich mit der WG auch ein bisschen zelebrieren.“

Man hat schon miteinander gestritten, bevor man zusammen gewohnt hat

Als Letzte kam die 28-jährige Grüne Franziska Ryser an Bord. Während FDP und SVP in vielen Belangen als eine Art bürgerlicher Block gelten, steht Rysers Partei sehr weit links. Die Maschinenbauingenieurin, die gerade an ihrer Promotion schreibt, hatte Lust auf das Experiment. Mike Egger kannte sie schon aus St. Gallen, „da haben wir auf verschiedenen Podien miteinander gestritten“, erzählt sie grinsend. Nach einem kurzen Kaffee mit Silberschmidt sagte auch sie zu. „Der Zweck stand schon im Vordergrund, ich war neu gewählt und brauchte eine Bleibe in Bern. Aber die WG steht auch symbolisch dafür, dass man in der Schweiz eigentlich immer über den Schatten der eigenen Partei springen muss, um etwas zu erreichen.“

Ihre erste Sitzungsperiode haben die drei Jungpolitiker nun fast hinter sich. An diesem Nachmittag sind sie ungewöhnlicherweise alle zu Hause. „Normalerweise sind wir wirklich von früh bis spät im Bundeshaus“, sagt Mike Egger. Doch heute stehen nur noch ein paar feierliche Anlässe an, die haben sie sich geschenkt. Jetzt sitzen sie an ihrem Tisch, essen Milchschnitten und Mandarinen, auf dem Laptop ist die Tagesordnung der verbleibenden Sessionstage geöffnet. Ryser und Egger diskutieren eine Weile über das Schweizer Atomkraftwerk, das am Tag drauf vom Netz gehen soll, dann geht es um Sport. Egger empfiehlt Silberschmidt ein Fitnessstudio ganz in der Nähe des Parlaments. Er hält sich die Hand einen halben Meter vor den Bauch. „Wenn man nicht aufpasst, sieht man nach der Session so aus.“

„Spannend wird es eher da, wo die Meinungen noch nicht gemacht sind“

Wer die drei Mitbewohner beobachtet, könnte leicht vergessen, dass sich hinter der entspannten WG-Atmosphäre drei ziemlich gegensätzliche Weltanschauungen verbergen. Eggers Partei will zum Beispiel an allen öffentlichen Orten der Schweiz ein Verhüllungsverbot einführen – eine Initiative, die die Grünen und auch die FDP ablehnen. Die Grünen fordern dagegen Klimaschutzmaßnahmen, die der SVP und dem wirtschaftsnahen Flügel der FDP viel zu weit gehen. Und als vor Kurzem die Schweizer Regierung gewählt wurde, griffen die Grünen mit einer Kampfkandidatur einen der beiden FDP-Minister an.

„In solchen Fragen versuchen wir gar nicht erst, die anderen zu überzeugen“, sagt Ryser. Und Silberschmidt ergänzt: „Spannend wird es eher da, wo die Meinungen noch nicht gemacht sind.“ Zum Beispiel beim Thema Lobbyismus: In ihrer ersten gemeinsamen Abstimmung stimmten die drei Mitbewohner geschlossen für mehr Lobby-Transparenz im Parlament. „Ich glaube, das ist wirklich eine Generationenfrage“, sagt Mike Egger.

Tatsächlich teilen die drei Politiker wohl deutlich mehr als ihre Wählerschaft: Sie sind ähnlich alt. Alle drei können für ihr Alter beeindruckende Karrieren vorweisen, ob nun eine Ausbildung plus Fachhochschule, ein berufsbegleitendes Studium oder eine Promotion an der renommierten Zürcher ETH. Alle sind sehr jung in die Politik eingestiegen und engagieren sich dort neben ihren Berufen – ein Weg, der Ehrgeiz und Disziplin erfordert.

Eine Einweihungsparty steht noch aus – ist aber in Planung

Wohl mit ein Grund dafür, dass es in dieser WG nicht besonders chaotisch zugeht: sauberer Boden, aufgeräumte Küche, kein bisschen gestapeltes Schmutzgeschirr. Putzplan? Gibt es nicht. „Bis jetzt klappt das ganz gut ohne“, sagt Franziska Ryser. Wer wann einkauft, regeln sie spontan über ihre Whatsapp-Gruppe. Auch getrennte Kühlschrankfächer gibt es nicht; die paar Sachen, die sich dort finden, teilen die Mitbewohner. Ein oder zwei Mal pro Sitzungsperiode, das haben sie sich vorgenommen, wollen sie sich Zeit nehmen und miteinander kochen. Einmal hat es bisher geklappt, beim WG-Weihnachtsessen gab es Schweizer Rindshüfte mit Safrannudeln und Bio-Möhren. „Er war Chef de la cuisine!“, sagt Franziska Ryser und zeigt auf ihren SVP-Kollegen. Als Metzger legt Egger Wert auf Fleisch, und da sonst keiner in der WG vegetarisch isst, gab es keine Probleme. „Uns allen ist wichtig, woher das Fleisch kommt“, sagt Ryser.

Bleibt noch die Frage nach den insgesamt zwölf Stühlen, die gestapelt in der Ecke stehen. Die seien auf Wunsch von Silberschmidt angeschafft worden, sagen Egger und Ryser. Der Gastronom grinst: „Wir wollen viele Leute einladen können.“ Im Frühjahr soll es so weit sein: Da wollen die drei zur Einweihungsparty einladen.

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