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„Wir müssen die Rumänen davon überzeugen, dass wir dazugehören“

Foto: Luis Jachmann

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Hand in Hand gehen Florin und Victor selten. Auf einen Kuss auf den Mund verzichten die beiden schmächtigen Männer mit markanter Brille und Dreitagebart auf der Straße. Gemeinsam leben sie in Bukarest. Victor ist 32, er hat gerade seinen Master in Politikwissenschaften abgeschlossen. Sein Partner Florin, 48, ist Sprecher des Euroregionalen Zentrums für öffentliche Initiativen und Menschenrechtsaktivist. Seit gut fünf Jahren sind die beiden zusammen. Schwarz auf weiß auf Papier steht das aber nirgendwo – obwohl sie sich das wünschen würden.

Ausgrenzung von sexuellen Minderheiten ist in Rumänien Alltag. Erst seit 2001 steht Homosexualität dort nicht mehr unter Strafe. Bis heute haben gleichgeschlechtliche Paare in Rumänien keine Möglichkeit, ihre Partnerschaft rechtlich bindend zu machen. Dabei ist es mittlerweile in 18 EU-Ländern erlaubt, gleichgeschlechtlich zu heiraten, viele weitere Länder ermöglichen zumindest zivile Lebenspartnerschaften. In Rumänien scheiterte hingegen 2014 ein Gesetzentwurf zur Einführung einer eingetragenen Partnerschaft. 

In der U-Bahn werden sie massiv beleidigt, in den sozialen Netzwerken erhalten sie Hasskommentare

„Wir wollen nicht weiter in dieser Misere leben, ein Undercover-Leben führen“, sagt Florin. In einer Sammelklage ziehen er und sein Partner deshalb aktuell gegen den rumänischen Staat vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: „Wir kämpfen für unser Recht. Und da können wir uns nicht verstecken. Wir müssen die Rumänen davon überzeugen, dass wir dazugehören“, sagt Florin. Eine Entscheidung über ihren Fall wird allerdings erst in Monaten gefällt werden. Privat macht es das nicht leichter, erzählt Victor: „Seitdem ich eine öffentliche Figur dieses Kampfes bin, haben die homophoben Reaktionen zugenommen. Die Kirche hat mich ausgeschlossen, weil ich mich geoutet habe.“ Beide werden nun auf der Straße erkannt. Doch dieser Schritt hat sie zur Zielscheibe für homophobe Attacken gemacht. In der U-Bahn werden sie massiv beleidigt, in den sozialen Netzwerken erhalten sie Hasskommentare. Florin will trotzdem weiter kämpfen: „Wir müssen in diesen Rechtsstreit treten, ansonsten wird eine nächste Generation leiden müssen.“

Dabei sah es eine Zeit lang so aus, als würde sich in Rumänien beim Thema Gleichstellung von Homosexuellen etwas bewegen. Ein Referendum vergangenes Jahr strafte den erzkonservativen Kurs der damaligen sozialdemokratischen Regierung ab. Diese wollte gesetzlich festhalten, dass einzig die Verbindung zwischen Mann und Frau den Namen Familie verdiene. Ein Bündnis aus 23 Organisationen, unterstützt durch die orthodoxe Kirche, spielte mit dem Schreckgespenst Adoption: Schwule Pärchen könnten bald massenhaft Kinder adoptieren und damit das traditionelle Bild einer Familie ad absurdum führen, so die Initiatoren der Volksabstimmung. Doch das Referendum scheiterte krachend an einer zu geringen Wahlbeteiligung. Die damals amtierende sozialdemokratische Regierung versuchte daraufhin zu beschwichtigen: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sollten bald anerkannt werden. Doch auch ein Jahr später wurde noch kein Gesetz auf den Weg gebracht. Im Oktober 2019 wurde die rumänische Regierung schließlich durch ein Misstrauensvotum gestürzt.

„Wir können nicht endlos viele Kämpfe in diesem Land führen“

Florin und Victor wollten nicht ewig warten, bis sich in ihrem Land etwas tut. Im März dieses Jahres fragten sie deshalb im Bukarester Standesamt an, ob sie sich vermählen können. Wenig überraschend wurde ihr Gesuch abgelehnt. Florin sagt: „Wir haben Stunden dort verbracht und denen alle Dokumente vorgelegt. Aber sie haben nichts getan. Die Leute beim Standesamt waren perplex und wütend auf unser, wie sie meinten, dreistes Vorgehen.“ Für Florin und Victor war nun klar, dass ihnen nur noch der Rechtsweg bliebe.

Florin sagt aber auch: „Wir können nicht endlos viele Kämpfe in diesem Land führen. Es gibt so viele Bereiche des Lebens, wo wir keinen Schutz vom Staat bekommen. Und wir können nicht jedes Recht vor Gericht einzeln einfordern. Dann würde ich mein ganzes Leben im Gerichtssaal verbringen.“ 

Die Anwältin Iustina Ionescu tut allerdings genau das: Sie klagt regelmäßig für Vertreter*innen der LGBTQ-Gemeinschaft. Etwas versteckt in einer ruhigen Nachbarschaft, unweit des Zentrums der rumänischen Hauptstadt, hat sie ihre Kanzlei. Sie arbeitet dort für Accept, eine NGO, die Schwule, Lesben und Transgender berät und vor Gericht verteidigt. An diesem Morgen wartet eine stark geschminkte Transfrau auf ein klärendes Gespräch mit Ionescu im Vorzimmer. Im Büro der Anwältin türmen sich Aktenordner. An den Wänden kleben Bilder verliebter Pärchen. Sie vertritt auch Florin und Victor vor Gericht. Ein aktuelles Urteil europäischer Rechtsprechung macht ihr Hoffnung: „Der europäische Gerichtshof kam zu dem Urteil, dass die rumänischen Behörden gleichgeschlechtliche Paare aus dem EU-Ausland anerkennen müssen. Das Gericht bezieht sich auf das Recht auf Freizügigkeit in der EU“, sagt Iustina Ionescu.

„Seit zehn Jahren hat das Parlament es versäumt, legalen Schutz für schwule Paare zu bieten“

Tatsächlich haben Homosexuelle in Rumänien allerdings nicht nur den Staat gegen sich. Rund 85 Prozent der rumänischen Bevölkerung gehören der orthodoxen Kirche an. Die Worte der Priester haben in Rumänien noch Gewicht – auch in politischen und gesellschaftlichen Fragen. Beim Referendum über das traditionelle Familienbild vergangenes Jahr wetterte die Kirche gegen die Forderungen nach Gleichstellung zwischen homosexuellen und heterosexuellen Paaren. Sie sah sich durch eine allgemeine Grundstimmung im Land bestätigt: Die Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren ist gering, so das Ergebnis einer Studie des Rumänischen Statistik-Instituts. In einer Umfrage geben mehr als die Hälfte an, einen Schwulen in der Verwandtschaft grundsätzlich abzulehnen. Trotzdem hofft die Anwältin Iustina Ionescu auf die unabhängige Justiz des Landes: „Die rumänische Politik bekommt Gegenwind von den landeseigenen Gerichten. Sie drängen auf Gleichstellung. Seit zehn Jahren hat das Parlament es versäumt, legalen Schutz für schwule Paare zu bieten“, sagt sie.

Die Anfrage beim Standesamt war für Florin und Victor der letzte Versuch, ihre Partnerschaft über einen direkten Weg anerkennen zu lassen. Was nun folgt, ist ein jahrelanger Prozess vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Staat Rumänien soll in den Augen der Kläger für die Verletzung des Gleichheitsgebots zur Rechenschaft gezogen werden. Innerhalb weniger Wochen haben Florin und Victor sechs schwule Pärchen überredet, sich der Klage anzuschließen. 

Florin sagt: „Wir wollen nicht gerade mal so eben in Rumänien toleriert werden. Wir wollen anerkennt werden – als Familie.“ In einem ähnlichen Verfahren wurde Italien 2015 bereits vom Europäischen Menschengerichtshof gezwungen, die Gleichstellung zwischen heterosexuellen und homosexuellen Pärchen umzusetzen. Florin und Victor sind davon überzeugt, dass Rumänien folgen wird.

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