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Frauen, wie sehr beschäftigen euch Frauenbilder in der eigenen Familie?

Schauen junge Frauen zu den Frauen in der eigenen Familie auf?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Frauen,

wenn junge Männer heute auf ältere Männer in ihrer Familie schauen, sehen sie, wie sie selbst einmal sein könnten. Der schrullige Eigenbrötler-Onkel mit dem ausgewaschenen Fuchsschwanz-Schlüsselanhänger an der Jeans. Der Opa, der es mit Fleiß in seinem Betrieb nach ganz oben geschafft hat. Oder lieber der fürsorgliche Schwager, der sich um die vier Kinder kümmert, damit seine Frau ihre Karriere verfolgen kann. Für Männer ging all das schon immer, wenn sie denn wollten, und es geht auch jetzt.

Wenn junge Frauen heute auf ältere Frauen in ihrer Familie schauen, sehen sie neben diesem Strauß von Möglichkeiten noch etwas anderes: eine vermeintlich längst vorbei gezogene Vergangenheit. Anders als heute war es in der Kindheit vieler heutiger Mütter und Großmütter nicht unüblich, dass sie in ihrer Jugend auf ein Studium verzichten mussten, zum Beispiel, weil der Vater es so wollte. Genauso wie es Frauen gab, die ganz einfach deshalb bei den Kindern zu Hause geblieben sind, weil man das eben so gemacht hat. Zum Glück entscheiden die meisten Frauen all das mittlerweile längst selbst. Auch in den vergangenen Jahrzehnten tat sich beim Thema Gleichberechtigung noch einmal viel: In Westdeutschland stieg die Zahl der berufstätigen Frauen zwischen 1991 und 2019 von 54 auf 72 Prozentpunkte. Damit entfernen sie sich auch vom Lebensmodell ihrer Eltern und Großeltern.

Wie schaut ihr auf die Frauenrollen in eurer Familie – und beeinflussen sie euch? 

Junge Frauen führen also heute oft ein Leben, das sich ziemlich grundsätzlich von dem ihrer Mütter, Tanten und Omas unterscheidet. Zu schlechter Stimmung führt das interessanterweise wohl nicht: Laut einer Studie der TU Chemnitz von 2018 haben mehr als zwei Drittel der Töchter ein gutes Verhältnis zu ihren Müttern, 80 Prozent plaudern mindestens einmal pro Woche miteinander.

Wie aber schaut ihr auf die Frauenrollen in eurer Familie – und beeinflussen sie euch? Empfindet ihr einen besonderen Stolz gegenüber weiblichen Familienmitgliedern, wenn sie Karriere gemacht haben? Man schaue nur auf die 16-jährige Leni Klum, die es scheinbar gar nicht erwarten kann, wie ihre ehrgeizige Mutter Heidi eine Modelkarriere zu machen. Oder ist da, im Gegenteil, eine ganz losgelöste Bewunderung für die Frauen in eurer Familie, die nullkommanix damit zu tun hat, ob da jemand einmal Abteilungsleiterin oder Hausfrau war?

Eure Männer

Die Antwort:

Liebe Männer,

wenn wir jungen Frauen auf unsere Mütter und Omas schauen, sehen wir ein verzerrtes Spiegelbild von uns selbst. Wir blicken auf Personen, denen wir ähnlich sind, und doch fehlt uns der Blick, sie ganz zu fassen. Mama und Oma kennen uns unser ganzes Leben, während wir viele Jahre ihres Lebens verpasst haben.

Wir würden gerne mit ihren jüngeren Ichs sprechen und fragen: Seid ihr glücklich? Zufrieden? Was beschäftigt euch? Was wollt ihr machen, könnt es aber nicht, weil ihr Rollenerwartungen erfüllen müsst? Oder vielleicht sogar wollt? Wir sehen einen Schleier aus „Was-wäre-wenn“s, aus vorbeigezogenen Möglichkeiten und ergriffenen Chancen. Ihr seht, liebe Männer, die Frauenbilder in unserer Familie beschäftigen uns sehr. Natürlich. Sie wurden uns vorgelebt und prägen uns bis heute – ob wir das wollen oder nicht. Und hier liegt auch das Problem.

Die vermeintlich längst vorbeigezogene Vergangenheit unserer Mütter und Omas haftet auch an uns

Die vermeintlich längst vorbeigezogene Vergangenheit unserer Mütter und Omas haftet auch an uns. Nur, weil wir heute in einer gleichberechtigteren Gesellschaft leben als vor 40 oder 70 Jahren, heißt das nicht, dass gewisse Rollenerwartungen innerhalb der Familie nicht mehr existieren. In Familien mit minderjährigen Kindern arbeiten noch immer mehr als 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit, während die Teilzeitquote der Männer nur bei etwa sechs Prozent liegt. Frauen sind nach wie vor überwiegend für die Arbeiten im Haushalt verantwortlich. Das zu lesen, ist jedes Mal ernüchternd. Dennoch stehen mir als junge weiße Frau heute grundsätzlich immer mehr Türen offen. Ich kann arbeiten, studieren, Karriere machen, mich bewusst für oder gegen Kinder entscheiden oder in eine andere Stadt ziehen. Niemand erwartet von mir, dass ich einen Mann finde, der mich finanziell absichert, früh heirate, ein Haus im gleichen Dorf baue, Kinder kriege und mein Leben lang Hausfrau bin. Dieser Lebensentwurf ist übrigens auch heute völlig in Ordnung, wenn sich Frauen denn bewusst dafür entscheiden. Für mich ist er aber nichts. Das wissen und unterstützen die Frauen in meiner Familie. Manchmal fällt es ihnen trotzdem schwer, das zu akzeptieren.

Das sind meistens die Momente, in denen ihnen und auch mir bewusst wird, dass ich nie wieder in mein Dorf ziehen werde und im Gegensatz zu meiner Mutter nicht nur 15 Minuten entfernt von ihrer Mutter wohnen werde. Meine Oma hat bis zu ihrer Heirat als Verkäuferin in einem Lebensmittelladen gearbeitet und war nach der Hochzeit Hausfrau. Meine Mutter ist mit Leib und Seele Krankenpflegerin und arbeitet seit meiner Geburt in Teilzeit. Beide haben für die Familie also beruflich zurückgesteckt. Ich weiß, dass sie damit glücklich sind und es wieder so machen würden. Und ich weiß, dass ich solchen Entscheidungen eine tolle Kindheit zu verdanken habe. Trotzdem will ich es später anders. Die beiden wissen, dass ein Leben wie das ihre nicht zu mir passt. Sie wünschen sich ein solches Leben auch gar nicht für mich. Aber sie wünschen es sich klammheimlich für sich. Das weiß ich, denn in so manchen Gesprächen schwingt ein „Warum wärst du nicht auch mit meinem Lebensentwurf zufrieden?“ mit. Das lässt mich zwar mit keinem schlechten Gewissen zurück, aber mit einer Art Traurigkeit.

Wir Töchter treten heute in Fußstapfen, in die wir gar nicht hineinpassen können

Wenn unsere Mütter auf uns schauen, sehen auch sie ein verzerrtes Spiegelbild von sich. Sie sehen, wann sich unsere Lebensentwürfe angefangen haben zu trennen und wann wir uns gegen ihren entschieden haben. Dabei geht es in der Beziehung zu den Frauen in unserer Familie ja nicht nur um Beruf, Haushalt und Familie. Als erste Studentin in meiner Familie bin ich viele neue Schritte gegangen. Gehen konnte ich die, weil meine Eltern mich unterstützt haben. Aber auch, weil meine Mutter und Oma mir zwar nicht das Studienleben, aber – und das ist viel wichtiger – die notwendigen Werte und Eigenschaften vorgelebt haben. „Sage nie: Das kann ich nicht“, ist der Standardspruch meiner Oma – und den trichtert sie mir auch heute noch bei unseren wöchentlichen Telefonaten ein.

Wir Töchter, Enkelinnen und Nichten treten heute in Fußstapfen, in die wir gar nicht hineinpassen können. Zu viel hat sich um uns herum verändert. An manchen Stellen sind sie zu groß, an anderen zu klein. Und das ist auch gut so. Ich möchte mich nicht erst mit den Frauen in meiner Familie vergleichen müssen, um festzustellen, wofür ich sie bewundere. Das tue ich ganz losgelöst von ihren Errungenschaften für ihr Immer-da-sein, ihre tröstenden Worte, ihre Stärke oder ihren Witz. Ich würde mir wünschen, dass sie verstehen, dass wir uns nicht gegen sie entscheiden, wenn wir einen anderen Lebensentwurf wählen. Wir wissen zwar nicht alles über das frühere Leben unserer Mütter und Omas. Aber wir wissen, dass wir es diesem früheren Leben zu verdanken haben, dass wir heute aus einer Vielzahl von Optionen wählen können. Darauf sollten sie stolz sein. Denn wir sind es.

Eure Frauen

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