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Hetero-Frauen, beeinflussen euch Beziehungsklischees?

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Hetero-Frauen,

wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, dass ich manchmal gerne ein Alphamann bin. Manchmal erwische ich mich bei Gedanken und Fantasien, in denen mein Bedürfnis nach Dominanz und meine – im klassischen Sinne – Männlichkeit zum Vorschein kommen. Gleichzeitig würde ich von mir sagen, dass ich ein überzeugter Feminist bin. Dass sich diese beiden Seiten nicht so gut vertragen, zeigt sich immer wieder in meiner eigenen Beziehung: Ich liebe es zum Beispiel, von meiner Freundin für klassisch männliche Attribute wie Stärke und Mut bewundert zu werden. Dann fühle ich mich immer wie ein „richtiger“ Mann. In Diskussionen kommt es immer wieder vor, dass ich sogar dann noch Recht haben möchte, wenn ich mich schon längst geschlagen geben müsste. Und dann wäre da noch der Sex: Meist unbemerkt schleicht sich das Bedürfnis nach Dominanz und Überlegenheit in meine Vorstellung ein und übersetzt sich zum Teil in Handlung.

Meist macht dann doch die Frau mehr Care-Arbeit – und erfüllt damit ein Klischee 

Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Ganz subtil und unreflektiert setzen sich bei vielen heterosexuellen Paaren Beziehungsklischees um, die an Gender geknüpft sind. Das zeigt sich unter anderem an der sogenannten Gender Care Gap, also der Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern und über Haushalte hinweg. Bei einer Studie des europäischen Gender Care Gap Project stellten die Forschenden kürzlich ebenfalls fest: Insbesondere, wenn von institutioneller Seite keine Infrastruktur geschaffen wird, die eine egalitäre Aufgabenverteilung ermöglicht, orientieren sich Paare an den bekannten Gendervorstellungen. Das spiegelt sich auch in meinem eigenen Erleben wieder. Am Ende ist es doch oft der Mann, der mehr arbeitet und verdient und die Frau, die sich mehr um den Haushalt kümmert und fürsorglicher ist. Sie hat es auf dem Schirm, Geschenke zu besorgen und an Geburtstage zu denken, doch noch schnell einkaufen zu gehen oder frisch zu kochen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Nicht selten ergibt sich diese Aufteilung spontan und unreflektiert. Und meist leidet dann eher die Frau. 

Wie nehmt ihr das wahr, liebe Hetero-Frauen? Und wie ist das, wenn ihr mehr Care-Arbeit verrichtet? Führt ihr viele Diskussionen deswegen? Setzt euch das als feministische Frauen unter Druck? Oder sollten Gendervorstellungen nachgiebiger beurteilt werden? Wie ist es, in einer Lebenspartnerschaft zunehmende Abhängigkeiten in Kauf zu nehmen, wenn ihr euch finanziell auf euren Partner verlasst? 

Es freuen sich auf eure Antwort,

eure Hetero-Männer

Die Antwort:

 

Liebe Hetero-Männer,

ich sag’s direkt, wie’s ist: Für uns sind Beziehungs-Klischees eine größere Sache als für euch. Und ein größeres Problem. Ich erkläre gleich, warum, muss dafür aber kurz ein bisschen ausholen, um dann vom Privaten aufs Politische (und den Zusammenhang) zu kommen.

Wenn ich mir meinen Alltag so anschaue, würde ich behaupten, eine recht gleichberechtigte Beziehung zu führen. Ich erfülle das weibliche Klischee insoweit, dass ich in neunzig Prozent der Fälle koche und mich um sämtliche Pflanzen kümmere. Mein Partner hingegen macht immer die Küche sauber, wenn ich beim Kochen alles dreckig gemacht habe, die Spülmaschine fasse ich so gut wie gar nicht an und er bügelt immer (auch meine Klamotten), ich nie. Die Finanzen teilen wir, die Putzarbeit auch. Auf der Mikroebene funktioniert das also ganz gut und da wir keine Kinder haben, müssen wir uns über die Aufteilung dieser ja doch sehr aufwendigen Care-Arbeit keine Gedanken machen (Kinder sind übrigens meist der Faktor, an dem eine bisher gleichberechtigte Aufteilung der Sorgearbeit in einer Beziehung kippt – zulasten der Frau, natürlich).

Trotzdem lebe ich in der beständigen Angst, Beziehungs-  oder Geschlechterklischees zu erfüllen. Mein Partner verdient nämlich mehr als ich und ich bin mit ihm an einen Ort gezogen, wo er ein gutes Jobangebot hatte, wo ich aber noch einmal weniger verdiene als vorher. Ich habe das freiwillig getan. Trotzdem entsteht so automatisch eine Schieflage und es ist leider eine, die ein Klischee erfüllt: Die Frau folgt dem Mann, der einen gut bezahlten Job annimmt. Sie stellt die Liebe vor die Karriere. Sie macht sich dadurch abhängig. Ich erwische mich darum regelmäßig dabei, eine Zukunft ohne meinen Partner zu imaginieren – die ich nicht will, aber das habe ich ja nicht vollständig selbst in der Hand –, weil ich die innere Bestätigung brauche, dass ich auch ohne Mann an meiner Seite klar käme. Ich habe auch schon mehrere Stunden damit verbracht, mit Freundinnen auseinander zu dividieren, ob ich mich zu abhängig gemacht habe, emotional oder finanziell oder beides. Es war mir wichtig, zu wissen, wie andere mich und diese Entscheidung sehen. Ob ich vielleicht einen Fehler mache. Aus lauter Liebe unfeministisch und unselbstständig handele. Die meisten haben all das verneint – aber die Angst davor haben sie alle nachvollziehen können.

Männliche Klischees haben oft mit Macht und Dominanz zu tun und sind darum ziemlich bequem für euch

Und hier kommen wir dann auch zum Unterschied zwischen euch und uns. Ich glaube, ich lehne mich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass ihr euch diese Gedanken nicht macht. In eurer Frage steht es ja schon: Ab und zu merkt ihr, dass ihr euch in einer Hetero-Beziehung „typisch männlich“ verhaltet – aber dann denkt ihr halt sowas wie „Naja, macht halt grade Spaß!“ Männliche Klischees haben schließlich oft mit Macht und Dominanz zu tun und sind darum ziemlich bequem für euch. Wenn wir hingegen auf alte Geschlechterrollen zurückfallen – was leicht passieren kann, weil unser System sie immer noch fördert – kann das schnell ein Nachteil für uns sein. Darum denken wir in Momenten, in denen wir Klischees erfüllen, eher: „Shit, reproduziere ich damit die traditionelle Benachteiligung der Frau in einer heterosexuellen Beziehung?“

Zugegeben, so akademisch ausformuliert murmeln wir das eher nicht vor uns hin, aber der Gedanke ist trotzdem präsent – und wichtig. Weil man nämlich als heterosexuelle Frau, die sich als feministisch versteht, nicht groß rumtönen möchte, dass man gegen Ehegattensplitting und das Versorger-Modell und für eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit ist, während man die grundlegende Arbeit in den eigenen vier Wänden nicht macht. Weil das ein Verrat an all den anderen Frauen wäre, mit denen man sich verbunden fühlt. 

Neulich wurde an dieser Stelle gefragt, ob wir Frauen des Feminismus wegen Chefinnen werden wollen. Das ist eine ähnliche Gemengelage. Denn private Entscheidungen – für oder gegen einen Job, für oder gegen ein Kind, für oder gegen den Umzug mit dem Partner – sind für uns sehr oft auch politische Entscheidungen. Wir wägen ab zwischen dem, von dem wir glauben, dass es uns persönlich glücklich macht, und dem, was wir zur Veränderung von Strukturen beitragen können, wollen oder müssen. Während ihr – das Privileg der finanziellen Sicherheit vorausgesetzt – zum Beispiel viel unbelasteter sagen könnt: „Ich möchte diesen Job nicht machen“. Für Entscheidungen, die dem männlichen Klischee nicht entsprechen, werdet ihr dabei sogar eher bewundert: Umzug für die Partnerin, mehr als drei Monate Elternzeit, regelmäßig am Bügelbrett zugange, dafür gewinnt man als Mann beinahe einen Preis! Als Frau, die sich ihrem Klischee widersetzt, kriegt man meistens einen „Ist ja auch zeitgemäß“-Kommentar und einen Haufen Arbeit obendrauf – weil unsere Gesellschaft und unser Sozialsystem noch so sehr an den alten Rollenbildern hängen, dass sie es uns nicht immer leicht machen, außerhalb der Geschlechterklischees zu agieren. Durch den Gender-Pay-Gap zum Beispiel, der zum Teil für den von euch angesprochenen Gender-Care-Gap verantwortlich ist. Aber auch all diese Faktoren werden sich auf lange Sicht nur ändern, wenn wir weiterhin daran arbeiten, sie zu ändern – und diese Arbeit fängt leider daheim an.

Was auch helfen würde: Wenn ihr, liebe Hetero-Männer, einfach mal alle aus dem Quark kommt

Ihr seht also: Es ist kompliziert. Was sehr hilft: Wenn man eine Beziehung führt, in der man offen darüber sprechen kann. In der man „Du bist mit Einkaufen dran“ oder „Ich finde, ich putze zu oft“ genauso sagen kann wie „Wir müssen über Geld reden“ oder „Ich habe Angst vor Abhängigkeit“. In der das Gegenüber also versteht, dass die Furcht vor Beziehungsklischees für uns nicht einfach verschwindet, wenn man sich liebt und eine gute Zeit miteinander hat. Weil sie nämlich über diese individuelle Liebe und Beziehung  hinausreicht.

Was auch helfen würde: Wenn ihr, liebe Hetero-Männer, einfach mal alle aus dem Quark kommt und eure eigenen Geschlechterrolllen kritisch reflektiert. Wenn ihr in dem Moment, in dem euch bewusst wird, dass ihr gerade ein Klischee erfüllt, kurz innehaltet und drüber nachdenkt, was das für eure Beziehung bedeutet. Und ob ihr euch das für die Gesellschaft als Ganzes wünscht oder nicht. Ihr könnt auch sehr gerne einfach eure Partnerin darauf ansprechen. 

Klar werden manche jetzt sagen: „Was soll der Mist? Kann doch jeder und jede so machen, wie er oder sie will, Hauptsache, zwei Menschen sind glücklich miteinander!“ Stimmt natürlich. Aber ich denke, es ist klar geworden, dass es für viele (nicht alle!) von uns zum Glück dazu gehört, keine Angst davor haben zu müssen, Beziehungsklischees zu erfüllen. Sich nicht fürchten zu müssen, unbemerkt in alte Rollenbilder hinein zu rutschen und dann nicht mehr heraus zu finden. Und dabei könnt ihr uns helfen.

Eure Hetero-Frauen

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