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Männer, würdet ihr euch gerne schminken?

Nagellack an Männerhänden ist immer noch ein eher seltener Anblick. Wieso?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Männer,

es gibt Tage, da motiviert mich nur eine Sache zum Aufstehen: die Vorfreude aufs Schminken. Ich zelebriere es dann richtig, mit Farben und Techniken herumzuspielen. Der Akt des Schminkens ist für mich eine Art Performance, die den Tagesanfang markiert: Damit mache ich mich bereit, den Alltag zu bestreiten. Abends kommt dann die Abschmink-Performance, die den Feierabend einläutet. Zugegeben: Ich schminke mich weniger, wenn ich weiß, dass ich den ganzen Tag über niemanden sehe. Es geht mir also schon ums Präsentieren (wenn ich mal einen perfekten Lidstrich hinbekomme, soll das ja nicht unbeachtet bleiben!). 

Mein Verhältnis zu Make-up war allerdings nicht immer so positiv. Es gab Zeiten, in denen ich mich geschminkt habe, weil ich mich für mein ungeschminktes Gesicht schämte. Weil ich Makel kaschieren statt Merkmale betonen wollte. Heute habe ich vor allem Freude daran, mir und auch anderen Menschen Foundation, Lidschatten, Rouge und Bronzer (schon mal gehört?) ins Gesicht zu pinseln. Ich finde den Prozess des Schminkens so faszinierend, dass ich mich wundere, warum viele von euch darauf verzichten, es auszuprobieren. Habt ihr Angst, in Schubladen gesteckt zu werden, in die ihr nicht gesteckt werden wollt – irgendwie „feminin“ zu wirken? Ist es euch zu exzentrisch oder schlicht zu anstrengend? Würdet ihr gerne mal – und wenn ja, warum macht ihr es nicht?

Befürchtet ihr etwa, dass wir hetero-Frauen das unattraktiv finden? 

Mir ist bewusst, dass es unterschiedliche Positionen gegenüber dem Schminken gibt. Die einen sagen, es sei im Grunde ambivalent: mit gesellschaftlichen Zwängen, aber auch mit Freude verbunden. Wir können uns dazu entscheiden, unsere Körper zu gestalten, sind aber durch Normen irgendwie auch dazu veranlasst. Das finde ich plausibel. Andere halten es für einen emanzipatorischen Rückschritt, wenn Frauen sich schminken. Dann wird behauptet, Frauen müssten, um Sexismus wirkungsvoll zu bekämpfen, ganz damit aufhören. Denn sonst bleibe es dabei, dass Frauen gesellschaftlich eher als Körper, Männer eher als Geist wahrgenommen werden. Das kommt mir etwas verkürzt vor. 

Denn wie ja auch der Feminismus nicht nur Frauensache sein sollte, muss es auch das Schminken nicht sein. Auch ihr Männer könnt eure Körper betonen und damit vielleicht auch ein Stück weit Geschlechterrollen dekonstruieren. Ich meine, es ist ja nicht so, als wärt ihr ganz uneitel. Auch ihr tragt fancy Klamotten, rasiert euch und stylt eure Haare. Warum nicht auch etwas Make-up auftragen? Habt ihr nicht manchmal Lust, eure Augen zu betonen, Lippen zu bepinseln oder Augenringe und Pickel abzudecken? Ihr wärt damit ja auch längst nicht die Ersten. Prince hat schon in den 80ern Kajal und Lidschatten benutzt. Mittlerweile gibt es auch viele männliche Youtuber, die sich schminken und auch die Praxis des Drag wird immer populärer. Befürchtet ihr etwa, dass wir hetero-Frauen das unattraktiv finden? 

Eure Frauen 

Die Antwort:

Liebe Frauen,

irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr saß ich auf der Couch und schielte rüber auf die Hände meiner Freundin, die sich die Nägel lackierte. Obwohl sie das schon seit Jahren nicht mehr gemacht hatte, sah das ganz solide aus. Trotzdem machte es mich wahnsinnig, wenn der kleine Pinsel ab und zu durch ein Mikro-Zittern einen winzigen Schlenker in seiner dunkelroten Bahn machte und die Haut berührte. Sie spürte meinen überheblichen Blick, es gab einen knappen Wortwechsel, der damit endete, dass ich das andere, senfgelbe Fläschchen nahm, langsam den Pinsel herauszog und sinngemäß sagte: Ich bin mir absolut sicher, dass ich das besser kann.

Ich habe also zum ersten Mal in meinem Leben meine Fingernägel lackiert und damit auch zögerlich einen ersten Fuß in die Welt der Kosmetik gesetzt. Wohlgemerkt nicht, um ein feministisches Statement zu setzen oder weil ich Freude am Experimentieren hatte, sondern aus dem hässlichen und traditionell männlichen Grund, besser sein zu wollen. 

Wir hätten Angst, auf irgendeine Art nicht wie strunznormale Hetero-Burschis zu wirken

Und, es tut mir leid, aber das war ich halt auch einfach. Eine makellose Zuckerglasur lag da auf meinen Nägeln. MAKELLOS! Und ich gestehe: Es hat mir unglaublich Spaß gemacht. Diesen satten, cremigen Lack auftragen, die befriedigende Präzisionsarbeit und nicht zuletzt dieser absolut unschlagbare Geruch nach überreifer Lösungsmittel-Honigmelone! Zum ersten Mal fiel mir außerdem auf, was für wohlgeformte Fingernägel ich habe.

Damit also schonmal eine Teil-Antwort auf eure Frage: Doch, ja, ich glaube, vielen Männern, die es noch nie probiert haben, würde zumindest der Vorgang des Schminkens gefallen. Auch, wenn sie zum Beispiel Lidschatten auftragen würden und nicht nur Nagellack. 

Würden wir mit Schminke rumlaufen? Nö. Und zwar nicht, weil es uns zu anstrengend ist oder wir nicht exzentrisch wirken wollen. Ich denke, ihr wisst die Antwort schon. Runtergebrochen ist der Grund schlicht, dass wir Angst hätten, auf irgendeine Art nicht wie strunznormale Hetero-Burschis zu wirken. Dass das ein schlechter Grund ist, ist uns klar, aber er ist in den meisten von uns einfach sehr, sehr tief verpflanzt. Es geht um diesen riesigen, albernen und tiefneurotischen Komplex, den Hetero-Männer haben, wenn es um ihre feminine Seite, ums Schwulsein, um Normabweichung geht. Und der in dieser Kolumne schon so oft als Ursache unserer Selbst-Einschränkung (und die anderer) identifiziert wurde. 

Deshalb habe ich mich auch ein bisschen geziert, wenn ich mit meinen Nägeln mal unter Leute bin. Und tatsächlich haben die dann auch immer mal wieder komisch geguckt. 

Es gibt natürlich immer wieder Hetero-Männer, die mutig voranschreiten, sich nur von ihren Idealen leiten lassen und ganz ungehemmt mit Lidschatten oder bunten Nägeln aus dem Haus gehen. Aber in meiner Wahrnehmung sind das oft Männer, die besonders gut aussehen oder als Musiker oder Schauspieler in einer Position sind, in der man sich einen gewissen Spleen leisten kann.

So viel dazu. Was aber auch eine interessante Frage ist: Funktioniert Make-up – so wie wir es kennen – eigentlich bei Männern genauso gut wie bei Frauen? Ich habe „Make-up for men“ gegoogelt und, wenn da mehr gemacht wurde, als Pickel abzudecken, dann sehen die Männer damit eigentlich immer eher femininer aus. Und klar, wir sind es gewohnt, Schminke mit Frauen zu assoziieren und ordnen einen Mann mit Schminke deshalb sofort entsprechend ein. Aber wäre es auch denkbar, dass eine für Männer optimierte Kosmetik erst noch erfunden werden müsste? Wenn man mit Männern darüber spricht, was sie an ihrem Gesicht gerne verändern würden, dann sagen sie oft Sachen wie „kräftigeres Kinn“, „mehr Bartwuchs“, „markantere Gesichtsform“. Ob wir irgendwelche Hautunregelmäßigkeiten oder zu dünne Wimpern haben, ist den meisten von uns glaube ich eher egal. Deshalb – wenn ihr irgendein pfiffiges Berliner Start-up kennt, das wirklich gutes Männer-Make-up kann, sagt Bescheid. Dann würde ich das Experiment Fingernägel eventuell ausweiten. Ich könnte mir zum Beispiel einen Satz hohe, elegante David-Bowie-Wangenknochen vorstellen.

Ich musste übrigens am Tag nach der Erstlackierung aufs Bürgeramt. Meine Sachbearbeiterin bemerkte meine Hände: 

„Oh, da hat sich aber jemand für mich schick gemacht!“ 

„Ach das, hihi, hoho, das hat nur meine Freundin gemacht (Subtext: Ich bin ein völlig regulärer, ganzer Mann! Bitte glauben Sie mir!).“ 

„Achso. Steht Ihnen aber!“

Und, verdammt, sie hatte Recht.

Eure Männer

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