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Männer, wer ist euer Boy Crush?

Wir Frauen hätten ja ein paar Ideen, welche Typen heiß sind. Aber was denken Männer eigentlich?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Männer,

fragt man mich nach meinem Girl Crush, kann ich mich gar nicht entscheiden. Es gibt so viele tolle Frauen! Mir fallen welche aus meinem direkten Umfeld ein oder Frauen, die ich interviewt habe. Manchmal komme ich von Terminen nach Hause und schwärme eine halbe Stunde von einer besonderen Frau, die ich da getroffen habe. So klug! So cool! So schön! So empathisch und, ach überhaupt! Ich habe dann dieses schöne, leichte, frohe Gefühl, das man sonst eben hat, wenn man verknallt ist. Und natürlich habe ich auch Crushes für komplett unerreichbare Frauen: Schauspielerinnen oder Schriftstellerinnen.

Meine (übrigens sehr tolle) Kollegin Nadja Schlüter hat eine solche Frau, auf die man einen Crush hat, in einem älteren Text auf jetzt schon einmal so beschrieben: „Sie ist zwar kein Vorbild, wir eifern ihr nicht nach, aber sie ist ein weiteres, tolles Beispiel dafür, wie viele Versionen von Frauen, wie viele Arten von weiblicher Coolness und Schönheit und Intelligenz und Sexyness es gibt.“ Das trifft es einfach sehr. Ich ziehe wahnsinnig viel Kraft daraus, dass es so viele tolle Frauen gibt. Mich empowert das, wenn ich verzweifeln will, weil die Welt für Frauen manchmal einfach sehr anstrengend ist.

Sexuelle Anziehungskraft ist in den allermeisten Fällen nicht dabei

Und ich bin nicht die einzige, die diese Crushes hat. Vielen Frauen in meinem Umfeld geht es so. „Frauen sind auch einfach schöner als Männer“, schreibt eine von ihnen, eine andere: „Ich habe immer Frauen in meinem Umfeld, die ich sehr toll finde“, eine dritte bezeichnet diese Crushes als „platonische Verliebtheit“. Denn sexuelle Anziehungskraft ist in den allermeisten Fällen nicht dabei.

Das Auffällige: Ich höre so wahnsinnig oft Frauen von anderen Frauen schwärmen und so wahnsinnig selten Männer von anderen Männern. Habt ihr nicht auch mal einen Boy Crush? Findet ihr das Konzept total befremdlich? Oder kommuniziert ihr eure Gefühle einfach anders?

Und falls doch: Was muss dieser Mann haben, und: Wer ist dieser Boy Crush? Ein Serien-Charakter? Ein Kollege? Oder habt ihr auch ganz viele verschiedene, die immer wieder wechseln, so wie wir?

Erzählt doch mal!

Eure Frauen

Die Antwort:   

Liebe Frauen,

Lukas Podolski war mein erster Boy Crush. Der brachte frischen Wind in die alteingesessene Nationalmannschaft, hatte den härtesten linken Schuss der Welt, spielte bei einem sympathischen Club, dem 1. FC Köln und mischte als Underdog und ehemaliger Straßenfußballer die Liga auf. 

Ihr merkt also: Dieses Gefühl, das ihr da beschreibt, kenne ich gut. Man himmelt Menschen des eigenen Geschlechts platonisch an, man findet sie klug, cool, schön und sympathisch. Also ja, ich habe Boy Crushes und die haben bei mir und auch bei vielen meiner männlichen Freunde eine lange Tradition. Wir crushten alle schon, als wir kleine Boys waren. Mit Männern, die in ihrem Leben das machten, was wir selbst gerne mal machen wollten. Das konnten unsere Väter und Onkels sein, das konnten Lehrer sein, größere Brüder oder Jungs auf dem Pausenhof, die wir viel cooler fanden als uns selbst. 

Heute empfinde ich auch Männer als crush worthy, die nicht nur den Klischees „cooler Rockstar“ oder „Starfußballer“ entsprechen

Podolski wechselte dann irgendwann zum FC Bayern, was mich zum nächsten Punkt bringt. Ich hatte auch viele Boy-Heartbreaks. Viele hatten mit Fußball zu tun und auch mit dem FC Bayern, wie mir jetzt gerade auffällt. Der Schlimmste: als Mario Gomez vom VfB Stuttgart nach München wechselte. Aber die Heartbreaks gingen auch über Fußball hinaus. Als Billie Joe Armstrong von Green Day nur noch schlechte Songs über Möchtegern-Revolutionen einfielen, als Johnny Depp in „Mortdecai – Der Teilzeitgauner“ seine wahrscheinlich schlimmste Rolle spielte oder dieses Jahr erst, als Thees Uhlmann einen Artikel für die Bild am Sonntag schrieb. Mittlerweile ist das wegen einer angemessenen Entschuldigung wieder verziehen, aber das ist eine andere Geschichte.

Heute empfinde ich auch Männer als crush worthy, die nicht nur den Klischees „cooler Rockstar“ oder „Starfußballer“ entsprechen. Neulich zum Beispiel JJ Bola, der ein unglaublich aufklärendes Buch über Männlichkeit geschrieben hat. Ich denke mir dann: „Wahnsinn, der verwendet seine Zeit dafür, ein Buch zu schreiben, das Jungs, wie ich einer war, zeigt, dass sie keinem klassischen Männerbild entsprechen müssen, um gute Jungs zu sein.“ So was beeindruckt mich. Dass durch JJ Bola vielleicht künftige Jungs-Generationen nicht nur Fußballer und Schauspieler als Boy Crushes haben. Dann fällt mir noch Thomas Hitzlsperger ein, der erste deutsch Fußball-Nationalspieler, der sich als schwul geoutet hat, sich für die LGBTQ-Community stark macht und dafür jetzt erst mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Einer, der damit die neue und die alte Crush-Welt verbindet.

 

Ein Boy Crush hat viel mit Bewunderung zu tun, mit Role Modeling und einer Art positivem Neid

Ich glaube aber, dass meine Crushes für mich ein bisschen mehr Vorbild sind als die Girl Crushes, die du beschrieben hast. Es ist also mehr so, dass sie mich motivieren, inspirieren und mir so ein positives „Ich-schaff-das-auch“-Gefühl vermitteln. Ich finde die Männer, die ich als Crush bezeichnen würde, nicht immer schön, sie haben aber immer etwas, was ich auch gerne hätte oder setzen sich für etwas ein, was ich gut finde. 

Wie zum Beispiel Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch oder Benedict Cumberbatch, der nur noch Rollen annimmt, wenn seine weiblichen Co-Stars gleich bezahlt werden. Ich bewundere heute Männer, die sich früh trauten, nicht den ihnen gesetzten Geschlechter-Normen zu entsprechen. Das müssen auch keine Promis sein. Eine Person, die ich als meinen Kumpel kennengelernt habe, lebt seit einigen Monaten als Frau. Als sie noch als Mann lebte, hatte sie diesen Wunsch schon lange und ich habe sie unglaublich für ihren Mut, das auszusprechen, bewundert. Sie ist mein Trans Crush.

Unser Boy Crush hat viel mit Bewunderung zu tun, viel mit Role Modeling und einer Art positivem Neid. Man wäre gerne so wie dieser Typ oder hätte zumindest gerne mehr von dieser Sache, die man toll an ihm findet. Dass wir Männer nicht so oft davon reden, hing bei mir früher immer damit zusammen, dass ich es mir selbst als Schwäche ausgelegt habe, jemanden anzuhimmeln. Ich dachte, ich gebe mich dadurch in eine devote Position und mache mich angreifbar. Mittlerweile weiß ich, auch durch Männer, die ich hier meine Boy Crushes nenne, dass das Bullshit ist.

Eure Männer

 

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