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Gläubige Homosexuelle, wie vereinbart ihr euren Glauben mit eurer sexuellen Identität?

Die katholische Kirche ist nicht dafür bekannt, sich für queere Menschen einzusetzen. Wie fühlt sich das an, als gläubige lesbische Person?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe christliche, homosexuelle Menschen,

in „Sex and the City 2“ führt Carry Bradshaw ihren schwulen besten Freund Standford an den Traualtar. Eine rührende Hochzeitsszene folgt. Ja, sie ist kitschig, besonders ist sie trotzdem, denn: Sie zeigt eine queere Hochzeit. Und das, obwohl der Film aus dem Jahr 2010 ist, einem Jahr, in dem die Hochzeit eines schwulen oder lesbischen Paares in Deutschland nicht denkbar war.

Heute, elf Jahre später, können homosexuelle Menschen in Deutschland zumindest standesamtlich heiraten. Doch eine kirchliche Trauung ist für die meisten schwulen und lesbischen Paare in Deutschland noch immer eine Utopie – zumindest für alle, die nicht evangelisch sind.  

Was gibt euch Kraft und Vertrauen in einen Gott und eine Gemeinschaft, die euch offiziell ablehnt?

Zwar hat die katholische Gemeinde im Frühjahr 2021 darüber debattiert, ob die Kirche homosexuelle Menschen zumindest segnen sollte. Doch letztendlich wurde beschlossen, dass der Papst die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare zwar befürwortet, die Segnung jedoch ablehnt. Und auch andere christliche Communitys wie die orthodoxe Gemeinschaft schließen queere Menschen von der Ehe aus.

Wie fühlt sich das für euch homosexuelle, religiöse Menschen an? Wie sehr stört es euch, dass in der Bibel Sätze wie „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel“ (Lev 18, 22) stehen? Dass queere Menschen anders behandelt werden? Erst vor wenigen Monaten wurde in München ein junger Priesterseminarist aus dem Seminar geworfen, nachdem er auf Instagram ein Bild mit dem schwulen Prince Charming gepostet hatte.

Ja, es gibt Reformströmungen in der Kirche, es gibt Aktionen, bei denen auch homosexuelle Paare gesegnet werden. Dennoch ist die Botschaft von ganz oben deutlich: Wir tun uns schwer mit euch und eurer Sexualität. Und das muss doch hart sein – oder? 

Könnt ihr eure eigene sexuelle Identität mit eurem Glauben vereinbaren? Und wenn ja, wie macht ihr das? Was gibt euch Kraft und Vertrauen in einen Gott und eine Gemeinschaft, die euch offiziell ablehnt? Verzögert der Glaube euer Coming-out womöglich, weil ihr viel länger hadert als nicht-gläubige Menschen? Fehlen Vorbilder, an denen ihr euch orientieren könnt – oder sind Religion und Sexualität einfach so intim, dass ihr gar keine braucht?

Erzählt doch mal,

eure nicht-queeren Heteros

Die Antwort:

Liebe Heteros,

ich bin eine lesbische Christin, die kein Teil einer aufgeschlossenen, evangelischen Community ist. Das war in der Vergangenheit verdammt hart. Mittlerweile bin ich Mitte 20 und ziemlich im Reinen mit Gott und mir selbst. Bis dahin war es ein langer Weg.

Erst mit 21 Jahren habe ich mir eingestanden, dass ich lesbisch bin. Mich selbst zu akzeptieren, hat sehr lange gedauert. Das nur auf meinen religiösen Background zu schieben, wäre jedoch unfair. Jemanden als schwul zu bezeichnen, war in meiner Schulzeit die gängigste Beleidigung. Und das einzige Mädchen, das sich an meiner Schule als lesbisch geoutet hatte, war Lästerthema Nummer Eins. Dass Standford in „Sex and the City 2“ mit allen homosexuellen Klischees, die die westliche Welt kennt, besetzt wurde, war auch nur mäßig hilfreich.

Sollte meine Sexualität eine Glaubensprüfung von Gott sein? Ein Test? 

Aber klar, auch meine Religion hat eine Rolle gespielt: Ich bin christlich-orthodox aufgewachsen. Ich bin kein Teil einer Gemeinde, die mich einengen würde. Ich gehe ab und zu in die Kirche und glaube an Gott. Und doch habe ich mir zunächst selbst die Schuld gegeben, als ich bemerkt habe, dass ich nicht auf Jungs stehe. Sollte meine Sexualität eine Glaubensprüfung von Gott sein? Ein Test? Und warum wurde dann ausgerechnet ich ausgewählt? Solche Fragen sind mir durch den Kopf geschossen. In dieser Phase habe ich mich stark von meinem Glauben distanziert.

Für mich war es dann ziemlich wichtig, zwischen der Institution „Kirche“ und Gott zu trennen. Die Regeln in der Kirche sind nun mal menschengemacht. Dass homosexuelle Katholik:innen nicht kirchlich heiraten können, ist eine menschliche Regel, das will ich einmal so deutlich sagen. Natürlich stehen in der Bibel Sätze, die queere Menschen diskriminieren und herabsetzen. Aber halten sich Christ:innen an jeden Vers des Alten Testaments? Die zum Beispiel meisten essen jede Art von Fisch, obwohl im Alten Testament steht, dass man Schalentiere nicht essen sollte. Niemand sieht in einem Shrimp eine Sünde.

Das so locker zu sehen, war trotzdem ein langer Prozess. Gott von der Institution zu trennen – das sagt sich zwar leicht, ist aber schwer, wenn man mit Traditionen aufgewachsen ist. Nach meinem inneren Coming-out habe ich mich oft gefragt: Warum sollte Gott wollen, dass wir leiden für etwas, das wir nicht beeinflussen können? Wenn Liebe niemandem schadet, wieso sollte sie dann etwas Schlechtes sein? Ich bin ja nicht alleine, ich bin ja nicht die einzige Frau, die andere Frauen liebt. Sollte Gott jede Einzelne von uns prüfen wollen?

Ich habe Angst, beichten zu gehen und von dem Geistlichen nicht akzeptiert zu werden

Doch auch heute, vier Jahre später, fallen mir gewisse Sachen schwer: Ich habe Angst, beichten zu gehen. Denn ein Geistlicher könnte mir sagen, dass er meine Sexualität nicht akzeptiert. Ich will nicht in die Kirche gehen und mich dort „falsch“ fühlen.

Deswegen habe ich oft Angst, mich vor religiösen Menschen als lesbisch zu outen. Noch nie habe ich ein homosexuelles Paar in der Kirche gesehen. Ich weiß nicht, wie andere gläubige Queers mit all den genannten Ambivalenzen umgehen. In dieser Hinsicht fühle ich mich oft alleine – und mir fehlen Vorbilder. Sehr geholfen hat mir das Buch „Her name in the sky“ von Kelly Quindlen. Der Roman hat eine katholische, queere Protagonistin, ohne alle lesbischen Klischees zu bedienen. Obwohl ich noch nie zwei Frauen gesehen habe, die Hand in Hand die Kirche betreten, hilft es mir, zu wissen, dass es anderen Menschen auch so geht wie mir. Dass ich nicht die einzige lesbische Christin bin.

Doch ich habe auch eine andere Angst: die, mich als religiös zu „outen“ – gerade vor der queeren Community oder vor Nicht-Gläubigen in meinem Alter. Viele queere Menschen können nicht verstehen, wie ich glauben kann, wo teilweise so offen gegen uns gehetzt wird. In den vergangenen Jahren habe ich nur eine andere lesbische junge Frau getroffen, die gläubig war. Sonst betonen Mitglieder der LGBTQI+-Community meist, dass sie atheistisch sind. Deshalb spreche ich meinen Glauben oft nie offen an.  

Mittlerweile bin ich zumindest vor einigen meiner religiösen Familienmitglieder out. Manche von ihnen mussten sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass ich lesbisch bin. Ob das an religiösen Gründen liegt, wage ich nicht zu fragen. Vor anderen Verwandten möchte ich mich gar nicht outen. Ich glaube, dass der Generationenunterschied einfach zu groß ist.

Mich einfach von meinem Glauben zu lösen, kann ich mir nicht vorstellen. Er gibt mir Halt, und ich kann mich innerlich immer an jemanden wenden. Wenn es jemandem schlecht geht, den ich liebe, hilft es mir, zu beten. Dann fühle ich mich in schwierigen Momenten nicht alleine. Der Glaube gibt mir sehr viel zurück. Mittlerweile komme ich deswegen mit der restriktiven Kirchengesellschaft klar. Ich fühle mich nicht falsch, wenn ich in der Kirche sitze. Und selbst, wenn das so wäre: Ich finde nicht, dass man einen konkreten Ort braucht, um Gott nahe zu sein.

Eure lesbische Christin

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