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Feminismus im Namen des Herrn

Judith, Mira und Maike sind gläubige Christinnen, arbeiten für die Kirche. Gleichzeitig sind sie Feministinnen – wie passt das zusammen?
Foto: Der Knopfdruecker Universität Wien / Maria Sjödin, CASUAL PRIEST/ Privat / Bearbeitung: jetzt

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„Du darfst keine Pfarrerin werden, weil du eine Vagina und Brüste hast.“ Ein Satz, den Maike Schöfer als Beleidigung auffasst. Er stammt aus den Direktnachrichten, die sie erreichen. Maike hat die Aussage auf ihrem Instagram-Kanal gepostet, und ihre Reaktion darauf gleich dazu: „Äh was?“. Denn die Aussage entspricht nicht der Wahrheit: In der evangelischen Kirche können Frauen längst Pfarrerinnen werden. Auch Maike absolviert derzeit ihr Vikariat, gleichzeitig arbeitet die 31-Jährige als Religionslehrerin in Potsdam. In ihrer Instagram-Bio beschreibt sie sich als „Feministin“ und „Pfarrerin in the making“. Das finden offenbar nicht alle gut.

Die Nachricht, die die angehende Pfarrerin auf Instagram veröffentlichte, geht noch weiter: „Eine Frau soll in der Stille lernen, in aller Unterordnung“, steht unter anderem darin. Die Nachricht ist nur eine von vielen, sagt Maike: „Ich bekomme täglich sexistische, beleidigende und hasserfüllte Nachrichten. Dabei wird mir immer wieder mein Glaube abgesprochen.“ Manche Gläubige unterstellen ihr etwa, dass sie biblische Inhalte nach Lust und Laune an ihre Lebensrealität anpasse, was nicht Gottes Wille sei. Eine Userin schrieb ihr in die Kommentare: „Du verleugnest Jesus und Gottes Gericht! Hör auf, ein falsches Evangelium zu predigen!“ Meistens kommen die Angriffe laut Maike von fundamentalen Christinnen und Christen. Die scheint sie nämlich zu irritieren.

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Maike Schöfer ist angehende Pfafferin – auch, wenn man ihr das vielleicht nicht gleich ansieht.

Foto: privat

Mit raspelkurzen, platinblonden Haaren und rot geschminkten Lippen spricht die 31-Jährige öffentlich an, was bei konservativen Gläubigen als verpönt oder gar sündhaft gilt. Sex, Selbstbefriedigung oder Body Positivity – Maike bricht mit Tabus in gendersensibler Sprache. Sie sagt „Let’s Talk about Porno auf evangelisch“ oder „Selbstbefriedigung ist Selfcare“, sie schreibt nicht von „Gott“, sondern von „Gott*“. Mit dem feministischen Andachtskollektiv (fAk) hat sie zudem eine Anlaufstelle für all jene gegründet, die aktuelle gesellschaftliche Themen aus feministisch-christlicher Perspektive diskutieren wollen.

Feminismus im Namen des Herrn? Die angehende Pfarrerin ist überzeugt, dass Christin und Feministin sein zusammengehört. „Auch, wenn die evangelische Kirche noch immer von patriarchalen Denkmustern durchzogen ist, sind einige christliche Botschaften an sich feministisch. Jene, die Gleichberechtigung, Menschenwürde, und ‚Du bist gut, wie du bist‘ beinhalten“, schreibt Maike per Mail.

Mit dieser Meinung ist die angehende Pfarrerin nicht allein. Mittlerweile gibt es einige Theologinnen, die sich öffentlich feministisch positionieren –  auch aus der katholischen Kirche. Die Twitter-Bio der römisch-katholischen Theologin Judith Klaiber liest sich ähnlich offensiv: „Alles anzünden – auf katholisch“ steht darin. Für sie sind Feminismus und die christliche Botschaft ebenfalls kein Widerspruch. „Es geht im Christentum darum, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen“, sagt Judith im Telefongespräch.

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Judith Klaiber gehört der katholischen Kirche an, ist aktives Mitglied – aber wie lange wird sie das noch bleiben? Das fragt sie sich aufgrund vieler Skandale der Institution immer wieder.

Foto: Der Knopfdruecker Universität Wien

Aufgewachsen ist Judith im Schwarzwald, derzeit lebt sie in Wien, wo sie am Institut für Praktische Theologie der Uni Wien promovierte. Als Feministin hat sie in in dieser Zeit viel Wut entwickelt auf die römisch-katholische Kirche. So viel Wut, dass Judith an ihrem Glauben zweifelt, wie sie später noch erzählen wird.

Für fundamentale Christ*innen stellen feministische Theologinnen eine Bedrohung dar

Für fundamentale Christinnen und Christen stellen Theologinnen wie Maike und Judith eine Bedrohung dar. Denn Fundamentale lesen die Bibel in einem anderen, von Frömmigkeit und Sünde geprägten Kontext, der ihrer Interpretation nach vorgibt, wie Gläubige zu leben hätten. Sex und freie Liebe? Sind tabu. Gleichberechtigung? Auch.

Stattdessen glauben konservative Christinnen und Christen an eine Jungfrauengeburt und ein männliches Vorrecht auf Machtpositionen. Denn in der Bibel steht unter anderem: „Ich lasse euch aber wissen, dass Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, der Mann aber ist das Haupt der Frau.“ (1. Korinther 11:3) Oder auch: „Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau Willen, sondern die Frau um des Mannes Willen.“(1. Korinther 11:9)

In welchem Zusammenhang Frauen in der Bibel vorkommen, hat die Künstlerin Paulina Mohr 2020 untersucht. In ihrem Buch „Die Bibel – über Frauen“ wurden mithilfe eines Algorithmus ausschließlich jene Textstellen gedruckt, die weibliche Personenbeschreibungen enthalten. Paulinas Fazit: „Die sonst so dicht bedruckten Seiten der Bibel bleiben häufig weiß. Betrachtet man die Sätze genauer, wird die untergeordnete Rolle der Frau schnell klar. Meistens wird sie in Beziehung zu einem Mann gesetzt – als seine Mutter, Tochter, Frau.“

„Feministische Theologinnen schreiben der Rolle der Frau eine andere Relevanz zu“

Wie lassen sich solche Inhalte mit einer feministischen Sicht auf die Welt vereinen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die feministische Hermeneutik – und deutet devote Frauenbilder in der Bibel neu. Aus gutem Grund, findet die baptistische Pastorin Mira Ungewitter: „Über 2000 Jahre lang wurde sehr viel patriarchale Theologie betrieben. Feministische Theologinnen arbeiten dabei genauso geisteswissenschaftlich, sie schreiben der Rolle der Frau aber eine andere Relevanz zu. Oft hat man diese Perspektive einfach ignoriert“, sagt die 35-Jährige im Zoom-Gespräch. Mira ist überzeugt, dass es bei der Auslegung der Inhalte auf die jeweilige Perspektive ankomme. 

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Pastorin Mira Ungewitter wurde bei kirchlichen Veranstaltungen als Ehefrau oder Begleitperson eingeordnet. Seitdem trägt sie Kleidung in Klerikerinnen-Optik.

Foto: Maria Sjödin / CASUAL PRIEST

In ihren Gottesdiensten versucht die gebürtige Kölnerin deshalb, immer wieder Geschichten von selbstbestimmten, mutigen Frauen zu erzählen – die es ihrer Meinung nach in der Bibel durchaus gibt. „Zum Beispiel Maria von Magdala. Ich will diesem Namen Emotionen und Mut zuordnen. Hervorheben, wie sich diese Frau behauptet hat in dieser krassen Zeit, in der sie als Widerständige mit dem Tod am Kreuz bestraft worden wäre“, sagt die baptistische Pastorin. Im Neuen Testament gebe es laut Mira in allen Ämtern Frauen in Machtpositionen. Etwa Prophetin und Richterin Debora, Königin Esther und Apostelin Junia.  

Doch wie feministisch ist die Perspektive der Theologinnen in Bezug auf Grundsatzfragen, wie jene nach dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch? Die Katholikin Judith sagt: „Es wird immer Schwangerschaftsabbrüche geben – die Frage ist, unter welchen hygienischen Standards und mit welchen Zugangsmöglichkeiten. Ich vertraue dabei in die Perspektive, Entscheidungs- und schlussendlich auch Handlungsfähigkeit einer Person mit Uterus.“ Auch Maike und Mira sind dieser Meinung.

Wir stehen unter Generalverdacht, eine falsche Lehre zu haben“

Mit ihren Perspektiven ecken die jungen Theologinnen innerhalb der Kirche oft an. „Wir stehen unter Generalverdacht, eine falsche Lehre zu haben“, sagt Mira. In ihrer Gemeinde – einer Freikirche, in der sie auch mal hinter einem Rednerpult aus Getränkekisten spricht – werden progressive Ansichten zwar unterstützt, sagt Mira. Kritik käme aber vor allem aus konservativen Kreisen: „Ich habe mich als Frau oft nicht ernstgenommen gefühlt, weil ich bei kirchlichen Veranstaltungen als Ehefrau oder Begleitperson eingeordnet wurde“, sagt die Wahlwienerin. Diese Ungerechtigkeit zu spüren, habe sie darin bestärkt, eine feministische Perspektive einzunehmen. „Also habe ich angefangen, mich so zu kleiden, dass ich eindeutig als Pastorin erkennbar war.“ Sie kaufte sich ein Outfit von Casual Priest, einem schwedischen Modelabel, das Klerikerinnen empowern will. Durch den typischen weißen Kragenausschnitt sind Pastorinnen als solche erkennbar.

Während Frauen in der baptistischen und evangelischen Kirche Priesterinnen oder Pastorinnen werden können, bleiben katholischen Theologinnen nach wie vor alle hohen Ämter verwehrt. Das ist ein Grund für die Wut der katholischen Theologin Judith: „Ich habe genau die gleichen Prüfungen und die gleichen Abschlussarbeiten geschrieben wie meine männlichen Kommilitonen. Doch gewisse Ämter stehen mir nicht offen – nur aufgrund meines Geschlechts“, sagt die 32-Jährige. Dabei gehörten eben nicht nur „alte weiße Männer in Frauenkleidern“ zur Kirche, sondern auch viele Frauen. „Das ist etwas, was ich mit meinen Freundinnen diskutiere: Wie lange kann ich noch mitverantworten, was bisher passiert?“

„Ich habe noch nie so sehr daran gezweifelt, in der Kirche zu bleiben, wie ich es jetzt tue“, sagt Judith

Damit meint Judith nicht nur die Unterdrückung von Frauen, sondern auch andere Strukturen der Kirche: „Vielfältiger Machtmissbrauch, Erfahrungen von sexualisierter Gewalt und geistlichem Missbrauch Minderjähriger und Erwachsener stehen der christlichen Botschaft fundamental entgegen“, sagt sie. Vieles wurde jahrzehntelang systematisch vertuscht, zuletzt wurde in Köln ein Gutachten zu sexuellem Missbrauch innerhalb der Kirche lange nicht veröffentlicht. Inzwischen gibt es zwar Einblicke, diese werfen aber kein gutes Licht auf Verantwortliche in der römisch-katholischen Kirche. Für Judith erreichte die Kirche damit einen Tiefpunkt: „Ich habe noch nie so sehr daran gezweifelt, in der Kirche zu bleiben, wie ich es jetzt tue“, gesteht sie.

Noch habe sie trotzdem die Hoffnung, gemeinsam mit anderen Frauen etwas verändern zu können. Mit den Worten „Mir reicht’s“ kandidiert die promovierte Theologin deshalb für das Zentralkomitee der deutschen Katholik*innen. Außerdem unterstützt sie die Bewegung Maria 2.0, bei der Frauen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gegen die Missstände in der römisch-katholischen Kirche protestieren und zu Kirchenstreiks aufrufen. „Wir bleiben, um lästig zu sein, wie Johanna Dohnal (Anm. d. Red.: erste Frauenministerin Österreichs) so schön visionär sagte. Um ins Innere der Kirche aufzuzeigen, dass das so nicht mehr funktioniert“, sagt Judith.

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