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Verschenk-Videos auf Youtube sind scheinheilig

Illustration: Federico Delfrati

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Bibi fährt mit ihrem Mann Julian zum Autohändler und kauft zwei gebrauchte Kleinwagen. Aber die beiden haben nicht vor, die Wagen zu behalten. Schließlich sind sie Bianca und Julian Claßen, die beiden gehören mit ihren Kanälen „BibisBeautyPalace“ und „Julienco“ zu den bekanntesten Youtubern des Landes. Sie können sich also leisten, sie an andere zu verschenken – Leute, denen sie nie zuvor begegnet sind, deren Bedürfnisse sie nicht kennen.

Diese Szenen sind in einem Youtube-Video von Anfang Dezember zu sehen, Weihnachten steht zu diesem Zeitpunkt vor der Tür. Deshalb stellen sich Bibi und Julian mit den Autos an eine Kreuzung in Köln und sprechen völlig fremde Leute an und fragen, ob sie die Autos nicht geschenkt haben wollen. Die zwei Frauen, die die Autos bekommen sollen, glauben erst, reingelegt zu werden – dann schlagen sie die Hände vors Gesicht, lachen und scheinen extrem verwirrt.

Sobald die Youtuberin die Autos verschenkt, hört man seichte Klaviermusik im Hintergrund, bei der einem sofort Bilder von hungernden Kindern aus einem Brot-für-die-Welt-Spot in den Kopf schießen. Nur, dass hier gerade eine reiche Youtuberin ihr Geld nicht an hungernde Kinder spendet, sondern Autos an normale Leute verschenkt. Sie stellt sich in perfider Weise über die Beschenkten. Denn Bibi weiß, dass zu einem Auto for free niemand Nein sagen würde. Natürlich gibt eine junge Mutter ohne Auto dafür ihr Gesicht für ein Video her. Anscheinend weiß Bibi aber nicht, dass sie hier schamlos ihre finanzielle Macht ausnutzt. Oder es ist ihr einfach egal.

Der Vorreiter von Verschenkaktionen auf Youtube ist wohl der Amerikaner Jimmy Donaldson, alias „Mr. Beast”. Der 22-Jährige hat 27 Millionen Abonnenten und wurde mit einem Video berühmt, in dem er vor laufender Kamera innerhalb von 40 Stunden bis 100 000 zählte. Heute verschenkt „Mr. Beast“ hauptsächlich Geld auf seinem Kanal, seine Videos heißen „Tipping Uber Drivers $10 000“ oder „I Gave $20 000 To Random Homeless People“. Das Geld, das er verschenkt, kommt meistens von neureichen Start-Ups, für die „Mr. Beast“ am Anfang des Videos Werbung macht. Er steht dann mit Gucci-Sandalen neben einem Obdachlosen und drückt ihm Geld in die Hand. Anfang Dezember bestellte er eine Pizza und schenkte dem Pizzaboten als Trinkgeld das Haus, an das die Pizza geliefert wurde.

„Mr. Beast“ ist sehr erfolgreich, seine Videos wurden über vier Milliarden mal angeschaut. Das sehen auch deutsche Youtuber und bringen den Trend nach Deutschland. Zurück zum Beispiel vom Anfang: „BibiBeautyPalace“. Auch sie hat die Wohltätigkeit entdeckt und sich wohl vorgenommen, etwas Gutes zu tun. Sie verschenkt in Paris Luxuxgegenstände an fremde Leute, zahlt Menschen in der Fußgängerzone ihren Einkauf von Apple oder Superdry zurück oder kauft eben Autos und gibt die Schlüssel irgendwelchen Passanten. Dazu winkt sie strahlend mit einem fetten Bündel Cash in die Kamera.

Das ist keine Wohltätigkeit, sondern die Zurschaustellung von eigenem Reichtum

Warum muss Bibi, die das Ganze ja anscheinend nur aus Nächstenliebe tut, mit ins Video schneiden, wie sie den Autohändler bezahlt? Warum muss sie sich mit einem Batzen Kohle in der Hand filmen lassen, wenn sie der Passantin vor sich dann nur einen Schein rausfleddert? Natürlich tut sie das, weil es Klicks gibt. Es geht hier nicht vorrangig um Wohltätigkeit, es geht hauptsächlich um die Zurschaustellung des eigenen Reichtums. Es geht um Protz und um das Rausballern der eigenen Kohle. Wenn man sich selbst vor der Kamera schon alles gekauft hat, dann gibt man es eben den Armen.

Oder Julian Zietlow, Fitness-Youtuber, der vor der Kamera seinen Luxuskleiderschrank ausräumt und Essen im Supermarkt einkauft. Er sagt während seiner Shopping-Tour, dass Obdachlose sich sicher nicht fitness-tauglich ernähren würden. Zietlow packt deshalb viele Proteinriegel und Bulgursalate ein. Weil ihm die Ernährung so wichtig ist, geht er dann noch kurz zu McDonalds und kauft einige BigMacs, die er zu den Luxusklamotten in die Taschen für die Obdachlosen packt.

Völlig willkürlich verschenken Bibi und Julian Zietlow hier Luxusgegenstände. Ein Obdachloser braucht aber keinen Guccigürtel. Und eine pelztragende Familie vor dem Apple-Store kann ihrer Tochter selbst ein iPad kaufen. Klar ist Spenden immer auch egoistisch, man beruhigt dadurch das eigene Gewissen. Wenn dafür zum Beispiel Menschen im Mittelmeer gerettet werden, dann ist das auch ein guter Deal: Die Spendenden schenken sich selber ein gutes Gefühl und retten damit Menschenleben. Fair, oder? Wenn aber ein einzelner armer Mensch dafür benutzt wird, dass man selber nur noch reicher geklickt wird, dann ist dieser Deal leider hinfällig. 

Es wäre durchaus interessant gewesen, was die Youtuber dazu zu sagen hätten. Leider wollte sich aber niemand von ihnen nach einer Anfrage von jetzt dazu äußern. Na dann, eine schöne Weihnachtszeit mit gutem Gewissen, der Obdachlose auf der Straße denkt sicher an euch, wenn er seinen Gucci-Gürtel trägt. Für die in diesem Text erwähnten Produkte gab es leider kein Geld, deshalb sind sie auch nicht in der Beschreibung verlinkt.

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