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„Konsens ist keine komische Pflicht, die man erfüllen muss, um woke zu sein“

Foto: tiagozr / Adobe Stock; Bearbeitung: jetzt

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Konsens ist wichtig. Es ist hoffentlich mittlerweile klar, dass alle Beteiligten damit einverstanden sein müssen, was beim Sex passiert. Doch selbst in aufgeklärten Kreisen gibt es immer noch das Vorurteil, dass darüber zu reden, kompliziert, unerotisch und peinlich ist. Was also tun? Geza Gothe arbeitet beim feministisch-queeren Sex-Shop „Other Nature“ in Berlin und gibt dort Workshops zum Thema Konsens. Wir haben mit Geza über Zustimmung und Kommunikation beim Sex gesprochen. 

jetzt: Fangen wir mal mit den Grundlagen an: Was bedeutet Konsens beim Sex?

Geza Gothe: Meine Lieblingsantwort ist von der Autorin von „What you really, really want“, Jaclyn Friedman. Sie schreibt in etwa: ,Konsens ist keine Ja oder Nein-Frage, es ist ein Zustand.’ Man muss nicht bei jeder Berührung fragen: ,Darf ich das?’ Es geht eher um die Aufmerksamkeit, mit sich selbst und mit der*m anderen. Dabei kann auch non-verbal kommuniziert werden, also körperlich Konsens gegeben werden. Aber wenn etwas passiert, was wir nicht so gut lesen können, zum Beispiel wenn jemand ganz still wird oder keine Antwort kommt, dann ist es an der Zeit, nachzufragen. Konsens ist keine komische Pflicht, die man erfüllen muss, um woke zu sein. Dahinter steckt die Freiheit, zu fragen, was die andere Person will, anstatt vorzugeben, dass wir ihre Gedanken lesen können.  

Ist das Thema Konsens inzwischen mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt?

Das Konzept ist viel bekannter als früher. Allerdings gibt es immer noch eine große Verunsicherung. Dabei ist Konsens etwas, das wir alle schon können. Jeder kennt das, dass man zum Beispiel im Freundeskreis zusammen einen Film aussuchen will. Es ist vollkommen klar, dass man sich am Ende einigen kann: Worauf haben alle heute Abend Lust? Das muss nicht schwierig und kompliziert sein. Und diese Fähigkeit können wir auch auf sexuelle Kontexte übertragen. Wir müssen es nur üben, darüber auch beim Sex zu sprechen. 

„Es gibt kein Recht darauf, Sex durchzuziehen“

Viele Menschen finden es aber unromantisch, zu fragen, ob man jemanden küssen oder mit jemandem schlafen darf. Warum wirkt Konsens oft so technisch?

Es gibt kaum Vorbilder in Serien, Filmen oder der Pop-Kultur, wo gekonnt und auch romantisch gefragt wird, ob man eine Person zum Beispiel küssen darf. Stattdessen haben wir tausend verschiedene Versionen dieser universellen Kussszene gesehen: Ein Mensch beugt sich über den anderen, die Lippen gehen auf und es wird losgeschlabbert ohne Ende. Aber dass eine Person einfach sehr romantisch und sinnlich nachfragt: ,Du, ich hab Lust dich zu küssen, hast du auch Lust darauf?‘ das sehen wir nicht. Dieses Narrativ – dass alles automatisch abläuft, weil beide Personen alles können und genau wissen, was der*die andere will – das erzeugt in der Realität total viel Druck. 

Lass uns konkret werden. Ich liege mit meine*r Partner*in im Bett, wir küssen und streicheln uns. Was wäre denn jetzt ein erotischer Weg um zu fragen: Willst du mit mir schlafen? 

Da kann man mit Stimme und Tonlage schon sehr viel machen. Am besten wäre es einfach zu sagen: ,Hey, ich habe wahnsinnige Lust darauf, mit dir zu schlafen. Du auch, oder eher nicht?‘. Man sollte also mehrere Optionen anbieten. Generell könnte man auch klären, was Sex für die andere Person überhaupt bedeutet. Wenn man das weiß, kann man zum Beispiel ganz spezifisch fragen: ‚Hast du Lust auf Oralsex? Oder sollen wir gemeinsam masturbieren?‘ Das bewusste Nachfragen kann eine Situation auch erotischer machen.

Ein anderes Szenario: Wir haben Sex, die andere Person ist schon sehr erregt oder sogar kurz vor dem Orgasmus – ich selbst merke aber plötzlich, dass ich keine Lust mehr habe. Was jetzt?

Zunächst einmal: Es gibt kein Recht darauf, Sex durchzuziehen, nur weil man schon angefangen hat. Es gibt kein Recht auf Höhepunkte, auch nicht, wenn man sehr stark erregt ist. Die allermeisten Menschen können sich an mindestens eine Situation erinnern, wo sie mit dem Sex angefangen und dann gemerkt haben, dass sie eigentlich nicht mehr wollen. Aber Sex abzubrechen gilt als absolut unüblich. Das ist schambesetzt. Nach herkömmlichen Gender-Klischees wird dir entweder zugeschrieben, dass du es nicht gebracht hast oder dass du frigide bist.

Was kann ich also in so einem Moment tun?

Es hilft, sich bewusst zu machen, dass man selbst auch nicht wollen würde, dass der*die Partner*in, wenn er*sie nicht mehr erregt ist, weiter Sex mit einem hat. Ich würde also so etwas sagen wie ,Ich weiß dass du sehr erregt bist. Aber meine Erregung ist weg, ich möchte gerade nicht mehr mit dir schlafen.’ Um die sexuelle Spannung zu lösen, könnte man auch einfach vorschlagen, dass man schon mal duschen geht und die andere Person noch masturbiert.

sex konsensus imtext

Das ist Geza.

Foto: Maya, Other Nature

Wie kann ich üben, meine eigenen Bedürfnisse besser kennen zu lernen und auch Grenzen zu kommunizieren? 

Dafür ist es wichtig, dass man den Sex regelmäßig reflektiert, zum Beispiel mit dem*r Partner*in oder auch mit Freund*innen. Auch ein Sex-Journal, also ein Sex-Tagebuch, kann helfen. Da schreibt man rein, was beim Sex passiert ist und wie man sich währenddessen emotional und physisch gefühlt hat. Damit übt man schonmal, Worte für Sexualität zu finden und spürt in Bereiche hinein, den man sonst nicht bewusst wahrnimmt. 

„Viele Langzeitpaare schätzen einander falsch ein“

Und wie kann ich zeigen, was mir gefällt? 

Immer gut ist stöhnen. Wenn man eine bestimmte Berührung mag, kann man die Hand der anderen Person an die Stelle legen. Man kann es auch einfach aussprechen und sagen: Ich liebe es, wie du meinen Nippel beißt. Und man sollte sich immer wieder Feedback geben. Währenddessen, vorher, danach oder wirklich komplett getrennt vom Sex. 

Puh, das ist bestimmt gar nicht so einfach, das so offen anzusprechen, gerade für eher schüchterne Menschen.

Auch schüchterne Menschen kommunizieren mit ihren Kolleg*innen, verhandeln ihr Gehalt und bewegen sich fähig durch ihr Leben. Sie müssen sich nur daran gewöhnen, diese Skills auch im sexuellen und emotionalen Beziehungsbereich zu verwenden. Da hilft es, ein oder zwei Sachen, die man gerne aussprechen würde, erst im Kopf zu sagen, dann mit sich selber, schließlich vor dem Spiegel und irgendwann vor der anderen Person. Es geht dabei nicht darum, die Scham weg zu bekommen. Man sollte eher versuchen, die Scham anzunehmen und es trotzdem sagen.

Auf meine eigenen Bedürfnisse kann ich selbst achten. Aber wie kann ich sicher sein, dass mein Gegenüber auch während wir Sex haben alles, was wir machen, weiter gut findet? 

Unsicherheit gilt immer als ‚Nein‘. Wenn ich mir unsicher bin, ob und was mein*e Partner*in gerade will, hilft es, eine Pause zu machen, sich ein Glas Wasser zu holen und dann nochmal zu fragen: ,Wollen wir da weitermachen oder lieber woanders? Hat dir das eigentlich gefallen? Ich wusste gerade nicht, ob ich das richtig lese.‘

In langen Beziehungen kennen sich die Partner*innen oft sehr gut. Welche Rolle spielt Konsens da? 

In meinen Workshops habe ich immer wieder viele Langzeitpaare, bei denen sich nach einigen Übungen rausstellt, dass sie die*den Andere*n sehr lange falsch eingeschätzt haben. Wir befinden uns schließlich immer wieder in verschiedenen Lebens- und Gefühlsphasen und verändern uns. Es kann sein, dass jemand es jahrelang mochte, auf eine bestimmte Weise an der Brust angefasst zu werden. Dann ändert sich der Kontext, weil ein Kind da ist und die Nippel wund sind, und dann mag man das halt nicht mehr. Deshalb ist es gut, auch in langen Beziehungen immer mal wieder über sowas zu sprechen. 

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