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Medizinstudenten wehren sich gegen Ausbeutung im Praktischen Jahr

Screenshot Youtube: Mein PJ wird mir versaut

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Studierende der Medizin sind nicht gerade bekannt dafür, die aufmüpfigsten Rebellen auf dem Campus zu sein. Fleißig müssen sie sein, konzentriert, organisiert – sonst ist der Giganto-Aufwand Medizinstudium nicht zu bewältigen. Wenn sich also diese sonst eher ruhigen Gesellen und Gesellinnen auf die Barrikaden begeben, muss etwas schon ziemlich im Argen sein.

Das Problemkind der Medizinstudenten ist das PJ, das „Praktische Jahr“. Eigentlich sollte das PJ der krönende Abschluss eines jeden Medizinstudiums sein. Die Zeit, in der man das „gesammelte Wissen endlich austesten, anwenden und noch erweitern darf“, erzählt Meret Quante, Vorsitzende der Offenen Fachschaft Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Ein bisschen wie ein Referendariat für Ärzte eben. Dabei sind die Konditionen für die angehenden Ärzte so schlecht, dass es eigentlich unerklärlich ist, wie die Studierenden bisher über die Runden gekommen sind: Ein Jahr Vollzeit arbeiten, Überstunden und Nachtschichten inbegriffen, für ein Spitzengehalt von ganzen null Euro. Das ist tatsächlich Praxis an einigen Kliniken Deutschlands.

Vollzeit arbeiten für ein Spitzengehalt von null Euro

Das hat auch eine Umfrage aus dem Jahr 2018 des Marburger Bundes – das ist der Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands – herausgefunden: Von den 1300 Befragten, die zum Zeitpunkt der Erhebung ihr PJ absolvierten oder es gerade hinter sich gebracht hatten, gaben mehr als 30 Prozent an, in ihrem PJ eine Aufwandsentschädigung zwischen null und 300 Euro zu bekommen. Immerhin 16 Prozent erklärten, dass sie neben ihrer Vollzeitbeschäftigung in der Klinik noch einen Nebenjob hätten. 80 Prozent der Befragten gaben an, dass es an ihrer Klinik kein innovatives oder besonders hilfreiches Lehrkonzept gäbe. Die Quintessenz der Studie könnte nicht deutlicher ausfallen: „Medizinstudierende im PJ sind Lückenbüßer und billige Hilfskräfte. PJler übernehmen auch ärztliche Kernleistungen – ohne Aufsicht und Anleitung“, heißt es auf der Webseite.

Meret Quante hat das PJ noch vor sich. Die 23-Jährige studiert im siebten Semester, Kinderärztin möchte sie werden. Gerade schreibt sie ihre Doktorarbeit. Zusammen mit anderen Studierenden der Universität hat sie ein Video veröffentlicht, um Aufmerksamkeit für die Notsituation von Medizinstudenten zu generieren. „Mein PJ wird mir versaut, mein PJ ist gar nicht meines“, singen die Studierenden auf den Grundbeat von „Alles nur geklaut“, und später: „Ich werde niemals krank, denn Schichtsystem muss ohne Krankheit geh’n.“ Mehr als 12 000 Menschen haben das Video inzwischen gesehen.

Hinter dem Hashtag #fairesPJ steckt aber noch mehr: Es ist eine von vielen Aktionen, die die Medizinstudierende in ganz Deutschland im Januar gestartet hatten: Demonstrationen, Infostände und weitere Videos  – alles um auf die Online-Petition für ein faires Praktisches Jahr aufmerksam zu machen, die die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) im Dezember ins Leben gerufen hatten. Für die Verantwortlichen war klar, dass sich jetzt im Zuge des vor zwei Jahren von der Bundesregierung beschlossenen „Masterplan Medizinstudium 2020“ etwas am PJ ändern muss.

„50 000 Menschen dachten wir, schaffen wir vermutlich“ erzählt Melanie Weber, Mit-Initiatorin, „da waren wir optimistisch“. Dass jetzt allerdings schon mehr als 100 000 Menschen unterschrieben haben, „damit haben wir zunächst nicht gerechnet“. Bis zum 5. März kann man die Studierenden mit seiner Stimme unterstützen. Durch die Petition wird unter anderem gefordert, dass den PJlern eine Aufwandsentschädigung von 735 Euro (das ist der BAföG-Höchstsatz) ausgezahlt wird, und dass mindestens vier Stunden Lehrveranstaltungen und acht Stunden Selbststudium pro Woche stattfinden sollen – egal in welcher Klinik man sein PJ leistet.

100 000 Unterschriften sind gar nicht so leicht zu kriegen

Melanie rechnet sich hohe Chancen aus, dass die Forderungen, wenn die Petition beim Bundestag eingereicht worden ist, dort auch Anklang finden wird: „Das ist gar nicht so normal, dass eine Petition von 100 000 Menschen unterstützt wird“. Auch Ärzte würden sich zum Teil hinter die Forderungen der Studierenden stellen, erzählt Melanie. Klar, sie mussten schließlich selber mit dem PJ kämpfen. Gleichzeitig gibt es auch Kritik an den Forderungen: Das PJ sei ein Teil des Studiums und wer wird schon fürs studieren bezahlt, heißt es da.

Ob und in welchem Rahmen die Forderungen verwirklicht werden, muss man noch abwarten. Für Melanie wird es aber vermutlich zu spät kommen, ihr erstes Terzial des PJ im Münchner Klinikum Rechts der Isar beginnt schon im Sommer. Bezahlung: Keine. Aber hey, Melanie darf sich auf 3.20 Euro Kantinengeld am Tag freuen.

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