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Warum Fantasy so wichtig für junge Menschen ist

Foto: Reuters; Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Heute vor zehn Jahren bin ich gleich nach der Schule in den Zug gesprungen. Mein Ziel: das Kino, in dem ich mit meiner Freundin den letzten Teil der Harry Potter-Filme schauen würde. Wir waren aufgeregt und auch ein bisschen traurig, denn mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2“ endete eine Ära. Für viele Millennials gehörte Harry Potter einfach zum Aufwachsen dazu: das Warten auf die Bücher, das Wissen darüber, welchem Haus man angehören würde (ich bin eine Ravenclaw), der Hype um das Portal „Pottermore“ oder das Verfassen von Fan Fiction. 

Die Harry-Potter-Liebe der Millennials wird oft belächelt, unter anderem von Mitgliedern der nachkommenden Generation, der Gen Z. In einem viralen Tiktok-Video beschwerte sich eine Userin, dass Boomer Millennials und Gen Z immer wieder vermischen würden. „Ich will nicht mit Leuten in Verbindung gebracht werden, die denken, dass Harry-Potter-Filme eine Charaktereigenschaft sind“, sagte sie darin. Autsch. 

Millennials lieben ja nicht nur Hogwarts, sondern auch Mittelerde, Narnia oder Westeros

Klar, die Harry-Potter-Liebe mancher kann übertrieben wirken. Aber eigentlich ist es doch großartig, Fan zu sein, sich begeistern und mit anderen diese Leidenschaft teilen zu können. Und Millennials lieben ja nicht nur Hogwarts, sondern auch Mittelerde, Narnia oder Westeros. Ich oute mich deshalb in dieser Folge auch selbst als Fantasy-Fan und will der Frage nachgehen, warum gerade junge Menschen oft so sehr an Fantasy-Welten hängen.

In einem Interview von 2018 erklärten die Psycholog*innen Christine Gockman und Kevin Brown, dass Fantasy besonders kreativen Menschen einen Rückzugsort biete. Bei Kindern sorge Fantasy für besseres Vorstellungsvermögen, könne stimulieren und Optimismus, sozusagen den „Glauben an das Gute“, fördern.

Ich würde mich nicht als den klassischen Fantasy-Fan bezeichnen. Ich hatte sogar lange ziemlich feste Vorurteile wie zum Beispiel, dass Fantasy-Welten oft autoritäre Gesellschaftsstrukturen und veraltete Geschlechterbilder reproduzieren. Trotzdem habe ich in den vergangenen Jahren immer mehr Freude am Genre entwickelt. Mir gefällt das Potenzial, so richtig nerdy sein zu können. Fantasy-Welten sind oft unfassbar detailliert. Jedes Wesen, jeder Ort, jede Sage scheint miteinander verknüpft und eine Hintergrundgeschichte zu haben. Mir macht es zum Beispiel großen Spaß, mich in die Vorgeschichte von „Avatar – Herr der Elemente“ zu lesen und ich habe manchmal Tage damit verbracht, die Universum von „Game of Thrones“ oder Studio Ghibli zu erforschen. 

Ich glaube, ich mache das so gerne, um dem Alltag zu entfliehen und in einer anderen Welt zu versinken. Statt von Aufgaben des Alltags überwältigt zu sein, kann man in Fantasy-Welten Fabelwesen begegnen, zaubern, träumen, loslassen eben. Mich entspannt das.

Junge Erwachsene haben großes Interesse daran, Kindheitserinnerungen zu verewigen

Natürlich spielt bei dem anhaltenden Hype um Fantasy-Geschichten aus unserer Jugend aber auch eine große Portion Nostalgie eine Rolle. Nach dem Motto: „Als ich noch täglich Harry Potter gelesen habe, war alles besser.“ Das YPulse-Institut, das sich auf Forschung zu den Interessen der Gen Z und Millennials spezialisiert hat, argumentiert, dass junge Erwachsene prinzipiell einfach großes Interesse daran hätten, Kindheitserinnerungen zu verewigen. In einer 2017 vom Institut durchgeführten Umfrage gaben 75 Prozent der 18- bis 35-Jährigen an, ihre Verbindung zu ihrem inneren Kind aktiv aufrecht erhalten zu wollen. Demnach sei es logisch, dass sich ein Hype um Harry Potter, Einhörner und alles Magische bis ins Erwachsenenalter hält.

Wer das hängengeblieben und doof findet, dem kann ich nur mit Schulterzucken begegnen. Ich finde alles gut, was uns mental mal eine Pause von dieser manchmal eher grausamen Welt gönnt. Und Fantasy-Bücher, -Filme und vor allem -Computerspiele können das nun einmal sehr gut. An dieser Stelle auch Grüße an alle, die einen großen Teil ihrer wertvollen Lebenszeit bei „World of Warcraft“ verbracht haben.  

Natürlich sind auch Fantasy-Welten keine idealen, gerechten Welten – auch an ihnen kann man Kritik üben. Genauso wie an den Menschen, die sie geschaffen haben. Gerade bei Harry Potter hadern viele Fans mit der Autorin: J.K. Rowling zieht mittlerweile vor allem für transfeindliche Äußerungen Aufmerksamkeit auf sich

Der Konsum von Fantasy-Werken, gerade auch von Harry Potter, kann sich grundsätzlich aber positiv auf unsere Werte und Sichtweisen auswirken. Das zeigt unter anderem die Studie „The greatest magic of Harry Potter: Reducing prejudice“. Psycholog*innen stellten darin fest, dass Schüler*innen und Studierende, die Harry Potter gelesen hatten, mehr Empathie für Marginalisierte empfanden als die Kontrollgruppen, die die Reihe nicht gelesen hatten. Loris Vezzali, die Leiterin des Forschungsteam vermutete, dass dies an zentralen Buch-Motiven wie Empathie, Verständnis und Gerechtigkeit liegen könnte. 

Fantasy-Fans unterstützen weniger wahrscheinlich toxische Ansichten

2019 wurde außerdem eine Studie zur Korrelation zwischen Genrevorlieben und Beziehungsansichten veröffentlicht. US-amerikanische Seiten wie Women’s Health oder Marie Claire berichteten über die Studie mit der Schlagzeile: „Harry Potter-Fans sind die besseren Partner“. So einfach ist es natürlich nicht, aber die Studienergebnisse sind dennoch interessant. Ein Team von Psycholog*innen hat 404 Fans verschiedener Genre nach ihren Ansichten zu Beziehungen befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass unter anderem Fans von Fantasy weniger wahrscheinlich als andere toxische Ansichten unterstützen. Die befragten Harry-Potter-Fans stimmten unter anderem Aussagen wie „Meinungsverschiedenheiten können zerstörerisch sein“ oder „eine Beziehung braucht keine offene Kommunikation, man muss auch so wissen, was der andere meint“ seltener zu als Befragte, die Harry Potter nicht gelesen hatten. 

Manche Harry-Potter-Fans behaupten auch, durch die Reihe schon recht früh ein politisches Bewusstsein erlangt zu haben. Zum Beispiel, weil die Bücher auch immer wieder diskriminierenden Umgang beschreiben, wie zum Beispiel als Draco Malfoy Hermine Granger als „Schlammblut“ aka minderwertig bezeichnet oder aber weil Voldemort und seine Todesser*innen im Grunde Faschist*innen sind. So sehr wie Fantasy Eskapismus bedeutet, so sehr kann das Genre eben auch politisch sein. Das zeigt auch eine 2021 erschienene Studie: Darin wurden „Die Tribute von Panem“ auf marxistische Standpunkte und das dargestellte Klassenbewusstsein analysiert.

Ob Harry-Potter-Fans wirklich per se die besseren Menschen sind, wage ich zwar zu bezweifeln, aber sie sind zumindest gar nicht mal so weird, wie Nicht-Fans denken. Und wie gesagt: Wenn uns Fantasy einen Raum für Kreativität, Spaß und Eskapismus bietet, dann halte ich gerne an meiner Vorliebe für zauberhafte Welten und magische Wesen fest.

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