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Sexualkunde ist nicht nur was für Jugendliche

Die Sexualkunde in der Schule ist oft dürftig. Nhi Le findet, dass sich auch Erwachsene aktiv mit Sexualbildung auseinander setzen sollten.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke; Foto: Adobe Stock; Bearbeitung: jetzt

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Ich werde nie vergessen, was Frau L. im Bio-Unterricht betonte: „Jungs, wenn ihr euren Penis wascht, dann müsst ihr die Vorhaut zurückziehen. Sonst wird es nicht sauber.“ Kichern. „Ich meine das ernst“, sagte Frau L. nachdrücklich. Warum hält sich diese Szene so hartnäckig in meinem Kopf? Wahrscheinlich, weil diese Aussage so explizit war – und so etwas Konkretes hörte man in Sexualkunde eher selten.

Sexualkunde und sexuelle Aufklärung – das verbindet man mit Schulunterricht, Abbildungen im Bio-Buch und vor allem der Pubertät. Aber eigentlich ist das zu kurz gedacht. Denn zwei bis vier Wochen Sexualkunde in der Schule und ein Gespräch mit den Eltern über Kondome reichen eben nicht fürs ganze Leben. Auch als Erwachsene sollten wir uns ständig über Sexualität, Identität und Körper weiterbilden.

Sexualkunde ist auch ein politisches Thema

Denn das Wissen aus der Pubertät ist in aller Regel lückenhaft. Zum einen, weil Wissen immer lückenhaft ist – niemand kann alles wissen. Zum anderen, weil sich die Gesellschaft auch in Sachen Sexualität, Geschlecht und Körper immer weiter entwickelt. In meiner Jugend beispielsweise kannte man noch keine Menstruationstassen, die man sich als umweltfreundlicheres Äquivalent zum Tampon vorstellen hätte können. Man wusste kaum, dass es so etwas wie Asexualität gibt. Und ich kenne auch viele Menschen, die von ihren Lehrer*innen eben nie gehört haben, wie man seinen Penis richtig wäscht.

Zum Thema Sexualkunde gehört nicht nur Wissen über den eigenen Körper, Reproduktion und Verhütung, sondern auch über Lust, sexuelle Identität, Missbrauch, Selbstbestimmung und vor allem Einvernehmlichkeit. Gerade bei letzterem habe ich das Gefühl, dass da ein Haufen Erwachsene nochmal großen Nachholbedarf haben.

Sexuelle Bildung ist nicht nur nie abgeschlossen, sondern vor allem keine Peinlichkeit. Was soll schlimm daran sein, im Internet nach „Wie wird eine Eizelle befruchtet?“ oder „Wie komme ich zum Orgasmus?“ zu googeln? Es geht hier schließlich im weitesten Sinne auch um unsere körperliche und seelische Gesundheit. Außerdem ist Sexualkunde auch einfach ein wichtiges politisches Thema. Ich meine damit nicht die Momente, in denen sie mit dem Kampfbegriff Frühsexualisierung versehen und für die eigenen Zwecke instrumentalisiert wird. Sondern dass gesellschaftliche Normen unser Verständnis von Sexualität prägen und andersherum. So zum Beispiel beim Thema Jungfernhäutchen, das weder ein Häutchen ist, noch nur bei „Jungfrauen“ vorkommt. Trotzdem ist es bis heute ein Symbol vermeintlicher Reinheit und Unschuld, kurz ein hartnäckiger, sexistischer Mythos. Die Vorstellung, dass der Mann mit seinem Penis das Häutchen wie ein Frischhaltesiegel durchbricht, ist einfach falsch. Die wenigsten werden aber wissen, dass es sich beim Hymen um einen Schleimhautkranz handelt, den Frauen ein Leben lang haben.

Soziale Medien bieten Raum für die sexuelle Bildung von besonders Marginalisierten

Wie soll das aber nun mit der Sexualkunde für Erwachsene funktionieren? Erstaufklärung findet meist in der Schule oder durch Gespräche in der Familie statt. Jetzt sitzt man als Erwachsene weder im Bio-Unterricht noch will man wohl seine Mama anrufen, um über Bienchen und Blümchen zu sprechen. Ich empfehle deshalb Gespräche mit Freund*innen, Serien wie „Sex, Explained“ auf Netflix oder auch Podcasts (schon mal aufgefallen, wie viele Sexpodcasts es gibt? Das Interesse ist also da!). Und dann ist da natürlich noch das gute alte Internet.

Damit meine ich nicht Pornowebsites, wobei die in einem bestimmten Maße auch helfen können, sondern Foren, Ratgeberseiten und Kanäle in den sozialen Medien. Soziale Medien können nämlich hinsichtlich sexueller Bildung besonders marginalisierten Menschen Raum bieten, deren Belange in der sexuellen Aufklärung oft zu kurz kommen. 

So argumentiert auch eine Gruppe nordamerikanischer Sozialwissenschaftlerinnen in einem 2018 veröffentlichten Paper. Sie beschreiben, dass queere, trans und rassifizierte Personen und ihre Erfahrungen in der Sexualaufklärung meist unberücksichtigt blieben. Genau deshalb würden sich vor allem LGBTQIA+ Jugendliche und junge People of Color online Raum nehmen. Dort schaffen sie Sichtbarkeit für ihre Anliegen, tauschen sich über Sexualität und sexuelle Gesundheit aus und finden Ressourcen, denen die Mehrheitsgesellschaft nur wenig Bedeutung zuschreibt. Als Positivbeispiele nennen die Autorinnen unter anderem Vlogs und den Erfahrungsaustausch unter Hashtags auf Twitter.

Also let’s talk about sex, auch als Erwachsene, denn es kann uns selbstbestimmter, respektvoller und zufriedener machen.

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