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Boulevard-Medien gehen unfair mit Frauen um

Foto: Valerie Macron, Daniel Leal-Olivas / AFP; Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Es gibt zwei Faktoren, die Britney Spears’ Leben leichter machen könnten. Erstens: Wenn ihr Vater nicht mehr ihr Vormund wäre. Und zweitens: Wenn es die Boulevardpresse nicht gäbe. Das entnehme ich zumindest der Dokumentation „Framing Britney Spears“, die Anfang Februar von der New York Times veröffentlicht wurde.

Der Film zeigt, wie das Pop-Idol trotz seines Status’ ausgebeutet wurde und welche Mediennarrative sich gegen die Sängerin wandten. Spoiler: Es sind so ziemlich alle, die Medien regelmäßig gegen Frauen anwenden. Die Medienwissenschaftlerin Milly Williamson zeigte schon in einem Paper von 2010, dass viele Medien, allen voran Boulevardmedien, immer wieder weibliche Prominente verunglimpfen. Ich möchte in dieser Folge einige der angewandten Narrative, die sich explizit gegen Frauen richten, aufdröseln. Denn leider gab es sie nicht nur in den frühen 2000ern, als Britney Spears noch ein Superstar war, oder in den 2010ern, als das Paper erschien – sie betreffen auch heute noch viele Promi-Frauen.  

1. Prüde oder zu sexy?  

Milly Williamson beschäftigte sich in ihrem Paper unter anderem explizit  mit Britney Spears. Williamson argumentierte, dass die Sängerin stets zwiegespalten gewesen sei: Sie sollte das gute Mädchen von nebenan darstellen – aber auch ein Sexidol. Erst galt sie als Heilige, später als Hure. Spears wurde zum Vorwurf gemacht, dass sie sich im Laufe ihrer Karriere beziehungsweise ihres Erwachsenwerdens (!) freizügiger kleidete und freier mit ihrer Sexualität umgehen wollte. Dieser Fokus der Medien auf Sexualität ist laut Williamson typisch für den medialen Umgang mit Frauen, während männliche Kollegen davon verschont blieben. Über diesen Doppelstandard hat Taylor Swift sogar einen ganzen Song geschrieben. In „The Man“ singt sie, dass ihr als Mann vermutlich viele sexistischen Fragen und Vorwürfe erspart bleiben würden. 

Von Frauen im Showbusiness wird oft Sexiness erwartet, die sich unter anderem aus der Überbetonung vermeintlich weiblicher Attribute, nackter Haut und/oder freizügiger Kleidung zusammensetzen soll. Das ergab 2015 auch eine Studie zu Popsängerinnen und Sexualisierung. Sobald Frauen aber mit ihrer Sexualität offen umgehen, besteht das Risiko, dass sie für genau die geforderte Sexiness verurteilt werden. So erlebte es beispielsweise auch Sängerin Chloe Bailey Anfang des Jahres. Damals wurde sie für ihr sexy Tanzvideo zur #BussItChallenge gefeiert. Kurz darauf veröffentlichte sie weitere freizügige Bilder und Videos. Viele Medien warfen ihr nun vor, aufreizende Inhalte zu posten – aus Geltungssucht. 

2. Untreue und „Homewrecker“

Nicht ganz unbeteiligt an Britney Spears’ Imagewandel war ihr Exfreund Justin Timberlake. Der hatte seine frühere Partnerin nämlich (zumindest indirekt) öffentlich des Fremdgehens beschuldigt und mit seinem Song „Cry me a River“ maßgeblich dazu beigetragen, dass Britney Spears als unmoralisch verurteilt wurde.

Untreue wird vielen Promi-Frauen als Kapitalvergehen ausgelegt. Man denke beispielsweise an die Hetze, die Sarah Lombardi über sich ergehen lassen musste, nachdem sie ihren Mann Pietro Lombardi betrogen hatte. Nur mit Mühe konnte sie ihr früheres Image wiederherstellen.

Schlimm wird es übrigens auch für Frauen, die mit einer vergebenen Person intim geworden sind. Die Schuld wird dann oft nicht dem verheirateten Mann zugewiesen, sondern der Frau, mit der er seine Partnerin betrogen hat. Diese Frau wird dann oft als „Homewrecker“ bezeichnet, das kann am ehesten mit „Ehezerstörerin“ übersetzt werden. Wie es sich anfühlt, dank der Presse von einem ganzen Land über Jahre hinweg als Homewrecker verurteilt zu werden, weiß Monica Lewinsky am besten. Als Praktikantin im Weißen Haus hatte sie eine Affäre mit dem damaligen Präsidenten Bill Clinton. Und erst kürzlich bot die größte Boulevardzeitung Deutschland einem Fußballstar die Plattform, seine Ex-Freundin als Homewrecker darzustellen. In beiden Fällen waren dabei die Männer deutlich bekannter und mächtiger.

3. „Die Rabenmutter“

Für Britney Spears kam der mediale Tiefpunkt 2007. Damals erlebte sie einen Nervenzusammenbruch, Paparazzi verfolgten sie dabei. Die Medien urteilten schnell: Spears sei verrückt geworden und daher eine schlechte Mutter. Letzteres nannte Williamson in ihrem Paper „the ultimate female crime“, also das Übelste, was sich eine Frau nach Meinung der Boulevardmedien zuschulden kommen lassen könnte.

Das ist auch Jahre später noch so: Als Model Chrissy Teigen kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes in einem Restaurant zu sehen war, wurde sie prompt als schlechte Mutter bezeichnet. Ihr Ehemann, der sie begleitet hatte, wurde hingegen nicht angegriffen. Sowieso ist mir kein Fall bekannt, in dem Männer angegangen werden, wenn sie kurz nach der Geburt mal ausgehen. Im Gegenteil: Treten Leistungssportler wie Skispringer Karl Geiger noch kurz vor oder sogar während der Geburt ihres Kindes bei einem Wettkampf an, ist die Sorge eher eine andere: Er habe womöglich wegen des Kindes den Kopf nicht für die WM frei.

4. Catfights

Ein ziemlich häufig verwendetes Narrativ: das des Catfights, des Zickenkrieges. Britney Spears wurde seit Beginn ihrer Karriere immer wieder mit Kollegin Christina Aguilera verglichen. Beide hatten als Kinder in der gleichen Fernsehsendung moderiert. Medial war das wohl Grund genug, um eine Konkurrenzsituation zwischen beiden zu konstruieren.  Das passiert vor allem, wenn es Newcomer gibt. So zum Beispiel im Fall von Rihanna, die zu Beginn ihrer Karriere als „neue Beyoncé“ bezeichnet wurde oder Cardi B, der immer wieder nachgesagt wurde, sie wolle Nicki Minaj den „Spitzenplatz“ als Rapperin streitig machen, gerade so, als sei nicht genug Platz für alle Frauen. 

Wenn es um die Konstruktion von Konkurrenz geht, muss ich auch immer wieder an den Umgang der britischen Presse mit Meghan Markle denken. Seit ihre Beziehung zu Prinz Harry öffentlich wurde, wurde sie für jede noch so kleine Tat wie den Verzehr von Avocado-Toast kritisiert oder als Goldgräberin oder Möchtegern-Opfer verunglimpft. Immer wieder wurde sie mit ihrer Schwägerin Kate verglichen, wobei die Presse Kate oft favorisierte. „Kate streichelt sich liebevoll den Babybauch“ schrieb einmal die Daily Mail. Zu Meghan fragte die Zeitung hingegen: „Warum muss sich Meghan ständig an den Babybauch fassen? Ist es Stolz, Eitelkeit oder Schauspielerei?“. Gegenüberstellungen wie von BuzzFeedNews zeigen, dass Kate für ihr Verhalten Lob erntete, während Meghan bei gleichem Auftreten zerrissen wurde.  

„Diese Narrative sind rückschrittlich, heuchlerisch und teilweise einfach bösartig“

Rabenmutter, Heilige oder Hure, Zicke, Goldgräberin, Homewrecker. All diese und weitere Narrative beruhen auf sexistischen Vorwürfen und Ansprüchen, denen Frauen nie gerecht werden können und nie gerecht werden sollten. Denn sie sind rückschrittlich, heuchlerisch und teilweise einfach bösartig. Sie werden von Medien immer wieder abgespult, wohl weil sie funktionieren: Leser*innen lesen das, Zuschauer*innen schauen das. Es muss aber eine Linie zwischen Interesse und dem Verlangen nach Dramen und Skandalen geben. Da stehen Medienmachende und Medienkonsumierende gleichermaßen in Verantwortung.

Es ist jetzt 13 Jahre her, dass der US-amerikanische Nachrichtensender ABC Britney Spears’ Nervenzusammenbruch mit „Glatzköpfig und Gebrochen – Ein Blick in Britneys kahlen Kopf“ titelte. Am liebsten würde ich solche Schlagzeilen für veraltet halten, etwas, das man heute weder schreiben noch lesen wollen würde. Wenn wir aber ehrlich sind, sehen wir: Es gibt immer noch einen riesigen Durst nach Dramen und Sensationen. Dass diese oft auf den Rücken von Frauen ausgetragen werden, wird im „besten“ Fall einfach vergessen. Im schlimmsten Fall aber wird es mit einkalkuliert und ohne schlechtes Gewissen in Kauf genommen. Das ist ein toxisches und misogynes Geschäftsmodell. Eines, das Betroffene psychisch fertig machen kann – Britney Spears ist nicht die Einzige.

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