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„Spiele helfen mir, weil ich darin nicht ich sein muss“

Foto: privat

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„Bitte wählen Sie ein Geschlecht.“ Dieser Satz steht am Anfang vieler Videospiele. Vor dem Abenteuer, der Geschichte, der Schlacht steht eine einfache Entscheidung – Mann oder Frau sein? Eine einfache Entscheidung? Nicht für alle Menschen.

Noch immer schränken Videospiele viele queere Menschen ein. Setzen ihnen ein Korsett von vorgeschrieben Geschlechtern und dem dazugehörigen Aussehen vor. Verhindern es, dass gleichgeschlechtliche Liebe stattfinden kann. Dabei könnten gerade Videospiele die Möglichkeit geben, Identitäten auszuleben. Oder zumindest zu simulieren. Spieler*innen sind da meist weiter als die Hersteller der Spiele selbst. Während die einen Lust auf Ausprobieren haben, haben die anderen oft Angst vor konservativeren Gamern.

„Ich stehe auf Männer und bin keine Frau“

James hat seine Identität durchs Gaming entdeckt, wie er erzählt: „Mit elf Jahren habe ich meinen ersten PC bekommen. Mein Vater hat damals ‚World of Warcraft‘ gespielt. Eigentlich ist das Spiel ab zwölf, aber nach viel Gebettel hat er mir erlaubt, einen eigenen Account zu haben“, erzählt der heute 22-Jährige. Von Anfang an habe er in Rollenspielen Männer gespielt, obwohl James selbst damals noch im Körper eines Mädchens lebte. In „World of Warcraft“ hat er viel Zeit in Online-Gilden verbracht, viele verschiedene Menschen kennengelernt, die alle unterschiedliche Identitäten hatten. „Zu vielen habe ich heute noch Kontakt“, sagt James.

In „Skyrim“ hat er sich verschiedene Mods, also Modifikationen, die Spiele erweitern, runtergeladen, die es ihm erlaubten, seinen männlichen Charakter ganz nach seinen Vorstellungen zu gestalten. In „Sims 3“ hat er tagelang am Aussehen seiner Spielfigur gearbeitet. Bis er am Ende dachte: So will ich auch aussehen.

„Unbewusst wusste ich immer, dass ich trans bin. Aber erst mit 14 wurde es mir wirklich klar: Ich stehe auf Männer und bin keine Frau.“ Er glaubt, dass dieser Prozess ohne Videospiele sehr viel länger gedauert hätte. „Ich habe so viel in Spielen rumprobiert und dabei gemerkt, dass das ja eigentlich ganz normal ist: Ein Mann zu sein, auf Männer zu stehen“, sagt er.

Videospiele werden tatsächlich immer inkludierender – gerade die,  die es den Spieler*innen erlauben, einen eigenen Charakter zu erstellen. Das heiß erwartete „Cyberpunk 2077“ soll es beispielsweise erlauben, einen Non-Binary-Charakter zu erstellen  Also einen, der weder Mann noch Frau ist – in den bisherigen Spielen des gleichen Studios gab es diese Option nicht. Doch war es ein langer Weg bis dahin. Und besonders solche Spiele, die feste Charaktere vorgeben, ermöglichen nur selten queere Identitäten oder Liebesleben. Da klaffen die Leerräume, werden kaum queere Geschichten erzählt – und wenn doch, dann in einer heterosexuellen Schablone.

 

Kiki wollte „The Witcher 3“ nicht spielen, weil sie sich von der Geschichte exkludiert fühlte

Für queere Menschen können diese Charaktere und Geschichten, aber wichtiger sein als für andere Menschen. Für Kiki zum Beispiel.

„Seit dem Spiel ‚Pokémon Y und Y‘ wähle ich ein Mädchen, aber eines, das ich dann androgyn mache“, sagt Kiki. Das ermögliche einen Geschlechterausdruck, der auch ihrem in der Realität entspräche. Kiki ist 33 Jahre alt und non-binary, lebt androgyn. „Ich war froh, als das Spiel es mir endlich erlaubte, mich auch in der virtuellen Welt so zu geben, wie ich mich ausdrücken möchte“, sagt Kiki. „Das war davor lange nicht möglich.“

Doch Kiki spielt auch Online-Spiele wie „Final Fantasy 14“. Ein Rollenspiel, bei dem man sich am Anfang für eine Spezies und ein Geschlecht entscheiden kann – die Möglichkeiten sind hier eingeschränkt. „Ich habe mich für die Spezies Lalafell entschieden. Dadurch, dass sich Männchen und Weibchen kaum unterscheiden, ist es je nach Frisur und Kleidung fast unmöglich zu sagen, welches Geschlecht man spielt.“ Aus dem Spiel habe Kiki auch ihren Namen bekommen. „Mein Charakter wurde immer mit Kiki abgekürzt, irgendwann habe ich den Namen dann auch im nicht-virtuellen Leben angenommen.“

Kiki kennt es jedoch auch, ein Spiel nicht weiterspielen zu wollen, weil sie sich von der Geschichte exkludiert fühlt: „Mir hat ‚The Witcher 3‘ deshalb keinen Spaß gemacht, weil ich nur einen männlichen Mann mit männlicher Männlichkeit spielen durfte.“ Das Klischee des vom Testosteron nur so strotzenden Mannes – es beherrschte die Videospielindustrie sehr lange.

 

Queeren Menschen wird oft gespiegelt, was die Norm zu sein hat

„Schon als Kind wollte ich lieber eine Frau spielen“, sagt Kevin, 32 Jahre, auch non-binary. Er habe sich daraufhin Beschimpfungen von seinen Freunden anhören müssen: Nur Schwuchteln würden Frauen spielen wollen. Besonders die weiblichen Charaktere mit langen Haaren hatten es Kevin aber angetan, mit ihnen habe er sich verbundener gefühlt. „Auch wenn die in Videospielen oft gruselig sind: Sie sehen aus, als hätte man einen Mann erschaffen und dann marginale Änderungen für das Weibliche vorgenommen“, sagt Kevin. 

Mit Spielen, die nur Mann oder Frau als Optionen bieten, fühlt Kevin sich selten wohl. Viel interessanter sei es, die Räume dazwischen zu erkunden. Die Möglichkeiten virtueller Spiele zu nutzen, die die Realität verweigern. „Es ist schwierig, sich durch Unterhaltungsmedien zu wühlen, wenn die eigenen Interessen so sehr vom gezeigten heteronormativen Standard oder gar Ideal abweichen.“

Queeren Menschen wird oft gespiegelt, was die Norm zu sein hat – auch wenn dieses Narrativ langsam weniger laut wird. Ein Blockbuster-Videospiel mit queerem Protagonisten gibt es bis heute nicht. Doch Games können Räume bieten, mit dieser Norm zu brechen. Sei es, indem man die Identitäten spielt, die einem selbst nah sind. Die man sich auszuleben aber vielleicht nicht traut. Ein Erspielen des Selbst also. Genauso können Games aber auch die Möglichkeit bieten, Drag zu performen. Alle Kategorien, die wir haben, versuchen abzulegen. Wieso nicht als bunt geschminkte Dragqueen durch ein Mittelalter-Rollenspiel laufen? Doch noch gibt es da viele Barrieren – Identitäten, die einfach nicht spielbar sind.

 

„Spiele helfen mir, weil ich nicht ich selbst sein muss“

„Ich hatte lange keine Momente beim Spielen, in denen ich mich verstanden oder repräsentiert gefühlt habe“, sagt Larissa. Das erste Spiel, in dem sie etwas von sich selbst wieder fand, war das Rollenspiel „The Outer World“ aus dem Jahre 2019. Larissa ist asexuell. Erfrischend findet sie es daher, wenn eine weibliche Figur in einem Spiel mal kein Liebesobjekt ist. Aloy aus dem Action-Adventure „Horizon Zero Dawn“ sei etwa ein solcher Charakter: Aloy folgt ihrer Mission, reagiert auf Flirtereien, wenn überhaupt, dann nur sehr verhalten. Ihre eigene Geschichte steht im Mittelpunkt.

„Spiele helfen mir, weil ich nicht ich selbst sein muss, mit all meinen Problemen und Hindernissen, die Asexualität mit sich bringt“, sagt die 27-Jährige. Auch in Rollenspielen würde sie gerne Geschichten erleben, die es ihr ermöglichen, keine romantischen Kontakte einzugehen. Doch sie würde dann oft Teile der Story verpassen oder das ganze Spiel nehme direkt ein trauriges Ende.

Larissa hofft, dass asexuelles Leben, dass queeres Leben in Videospielen mehr Raum bekommt. Als Möglichkeit für jene, die sie nutzen wollen. „Repräsentation macht stark, gibt einem das Gefühl, valide und wichtig zu sein – anerkannt zu werden.“

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