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Liv Strömquist erzählt von den Frauen berühmter Männer

Wie auch schon beim vorigen Buch ist Liv Strömquist selbst auf dem Titel zu sehen.
Bildrechte:avant-verlag

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Karl Marx kennt jeder, Albert Einstein und Jackson Pollock auch. Aber wer kennt Jenny Marx oder Lenchen? Wer kennt Mileva Marić oder Lee Krasner? Die wenigsten. Die schwedische Feministin und Comiczeichnerin Liv Strömquist hat diesen und weiteren Frauen berühmter Männer und „Genies“ nun ein ganzes Buch gewidmet. Oder fast ein ganzes Buch.

Gerade mal ein Jahr ist es her, dass in Deutschland Liv Strömquists zweites Buch „Der Ursprung der Liebe“ erschienen ist (das eigentlich ihr erstes war, es wurde nur später übersetzt). Darin beschreibt sie die Liebe als rein gesellschaftliches Konstrukt. In „Der Ursprung der Welt“, 2017 erschienen, klärt sie über das weibliche Geschlechtsorgan auf. Beide Bücher sind sehr lehrreich und dabei so lustig, dass man sie in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht lesen kann, ohne, dass alle gucken, weil man vor sich hin lacht (manchmal gucken sie aber auch, weil großformatige Vulven zu sehen sind). Diese Gefahr besteht auch diesmal wieder: Das neue Buch „I’m every woman“ macht ebenfalls sehr viel Spaß (und enthält sprechende und lachende Vulven).

Die Geschichten machen wütend – aber dann muss man doch wieder kichern

Dabei sind die Geschichten darin oft gar nicht zum Lachen. Es geht um Frauen, die wegen ihrer Männer ihr Potenzial nie entdecken oder entfalten konnten. Die lange oder für immer unsichtbar blieben. Die in ökonomische und emotionale Abhängigkeit gerieten und deren Lebensaufgabe es war, den Männern zu gefallen, zu gehorchen, sie zu stützen und zu pflegen. Man liest von den Frauen in Stalins, Marx’, Einsteins oder Elvis’ Leben und wie sie in den Beziehungen und Ehen physisch und psychisch ausgebeutet wurden. Stalins Frau Nadeschda Allilujewa etwa entkam ihrer schrecklichen Ehe nur durch den Suizid. Priscilla Presley lebte zwölf Jahre lang nach Elvis' absurden Regeln, bevor sie schließlich den Schritt wagte, ihn zu verlassen. Und Mileva Marić trug maßgeblich zur Relativitätstheorie bei, aber nachdem Einstein sie für seine Cousine verlassen und mit den beiden Söhnen allein gelassen hatte, erwähnte er ihren Namen nie wieder in seinem Werk.

im every woman fliesstext

Neben den Comics gibt's im Buch auch ganzseitige Illustrationen.

Bildrechte: Liv Strömquist, avant-verlag

Diese Geschichten, für die Strömquist in Fußnoten die Quellen angibt, machen wütend – aber dann muss man doch wieder kichern. Weil die Autorin es schafft, dass all die Tragik von absurdem, teils bösem Humor durchzogen ist. Wenn Einstein mit seiner Cousine abzieht, sagt er „So long, suckers“. Als Stalin seine zukünftige Ehefrau das erste Mal sieht, ist sie drei Jahre alt, und natürlich denkt er da: „Oh, süßes Kind! Könnte mir vorstellen, dass wir in 15 Jahren mal heiraten.“ Mehrere der Geschichten sind in einer „Preisverleihung“ miteinander verbunden, ein Kniff, den man schon aus den anderen Strömquist-Büchern kennt: Ein Moderatoren-Paar verkündet enthusiastisch die sieben „unsäglichsten Lover der Weltgeschichte“. Zwischendurch taucht auch die Zeichnerin selbst auf und meckert ein bisschen rum (über die Beatles). Und immer wieder überrascht sie mit großen, lustigen, provokanten Zeichnungen, etwa mit einer Doppelseite, auf der oben verschleierte, untenrum nackte Frauen zu sehen sind, deren Vulven durch lachende Münder ersetzt wurden.

Aber nicht nur der Humor hebt die Stimmung, sondern auch ein paar Geschichten mit einer Art Happy End. Lee Krasner, die Ehefrau von Jackson Pollock, wurde nach seinem Tod zu einer der einflussreichsten Vertreterinnen des abstrakten Expressionismus. Und die amerikanische Anarchistin Voltairine de Cleyre sowie die Künstlerin, Aktivistin und nebenher Lennon-Ehefrau Yoko Ono sind glänzende Beispiele für Frauen, die sich immer ihre Unabhängigkeit bewahrt haben.

Die Einzelschicksale haben etwas gemeinsam: Ihre Basis ist die strukturelle Ungleichheit von Mann und Frau

Der Titel des Buches, „I’m Every Woman“, ist der eines Songs der amerikanischen Musikerin Chaka Khan. Der Text ist den Comics vorangestellt und verweist darauf, dass all diese Einzelschicksale am Ende etwas gemeinsam haben: Ihre Basis ist die strukturelle Ungleichheit von Mann und Frau. Die Unterdrückung der Frau in einer Beziehung, ihre Degradierung zu derjenigen, die dem Mann „den Rücken stärkt“ ist traditionellen Rollenbildern geschuldet. Ebenso die Tatsache, dass ihre Intelligenz und ihr Talent oft ignoriert oder behindert werden (Albert Einstein soll Strömquist zufolge gesagt haben: „Frauen sind nicht für das abstrakte Denken geschaffen. Marie Curie ist die Ausnahme, welche die Regel bestätigt.“) Obwohl Strömquists Beispiele eher historische Extremfälle sind, kann man bis heute in vielen Beziehungen ähnliche Muster erkennen. Sogar in modernen mit eigentlich emanzipierten Partnern. Die Geschichten in „I’m Every Woman“ helfen dabei, sie zu erkennen und zu hinterfragen. Und machen außerdem noch einmal deutlich, dass der Mythos vom „männlichen Genie“ endgültig abgeschafft gehört.

Kritisieren kann man an „I’m Every Woman“ eigentlich nur zwei Punkte: Zum einen wurde das Kernthema nicht ganz so konsequent durchgezogen wie bei den Vorgängern. Zwischendurch geht es zum Beispiel kurz ums Konzept der Kernfamilie, um die Kehrseite der Gleichstellung im Kapitalismus oder um die Hure Babylon. Dadurch kommt das Buch etwas weniger strukturiert und kraftvoll rüber als die Vorgänger. Zum anderen sind auch hier wieder die Männer die Bösewichte. Zurecht, muss man sagen – aber nach drei feministischen Büchern mit Geschichten, in denen die Frauen unterdrückt oder stark sind, die Typen aber durchweg mies, wird es vielleicht mal Zeit für einen Strömquist-Comic, in dem Männer eine positive Rolle für die Sache der Frau spielen. Klar, vermutlich gibt es da weniger Beispiele. Aber wir wissen ja, dass es dem Feminismus am meisten hilft, wenn alle zusammenarbeiten. Das in einem Strömquist-Buch gezeigt zu bekommen, wäre sicher großartig. Und ganz bestimmt ebenfalls sehr lustig.

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